Année politique Suisse 2013 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Wahlen in kantonale Parlamente
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Neuenburg
Die Wahlen für den 115-köpfigen Grand Conseil des Kantons Neuenburg standen etwas im Schatten der Regierungsratswahlen (siehe unten). Da letztere aufgrund eines Todesfalls eines der Kandidierenden um zwei Wochen verschoben wurden, mussten die Wahllisten zwar bis zum 14. April eingeworfen werden, ausgezählt wurde allerdings erst zwei Wochen später, zusammen mit den Regierungsratswahlen. Die Urnen wurden bis dann versiegelt. Zu den Erneuerungswahlen traten insgesamt 483 Kandidierende auf neun Listen an. Die Linke hielt im Parlament eine knappe Mehrheit von 60 Sitzen: die SP war mit 36 Sitzen zweitstärkste Partei, die Grünen hielten 14 Sitze und die PdA zusammen mit SolidaritéS 10 Sitze. Mit dem Ziel, diese Mehrheit zu halten, trat die SP in allen sechs Wahlkreisen mit insgesamt 115 Kandidierenden an. Die vergangene Legislatur sei eine Zeitverschwendung gewesen; die SP wolle nun wieder frischen Wind bringen, Vertrauen schaffen und eine bessere Zukunft für den Kanton aufbauen. Auch die Grünen konnten ihre Listen gut besetzen und schickten 84 Personen ins Rennen. Sie wollten zusammen mit SP und PdA – die drei Parteien präsentierten auch gemeinsam eine Regierungsrats-Kandidatenliste (siehe unten) – die Kohabitation aus linker Parlamentsmehrheit und bürgerlicher Regierungsmehrheit sprengen. Die PdA, die sich wie bereits vier Jahre zuvor mit SolidaritéS verband, ging mit 41 Kandidierenden an den Start. Die extreme Linke wollte dabei auch eine Alternative zur SP sein, da die Sozialdemokraten in der Regierung zu häufig Kompromisse mit der Rechten eingegangen seien. Die FDP strebte die Eroberung einer rechtsbürgerlichen Vormacht im Parlament und die Verteidigung der Regierungsmehrheit an. Für die Grossratswahlen schickte die mit 41 Sitzen stärkste Partei in der Legislative 97 Kandidierende ins Rennen. Die Freisinnigen fokussierten in ihrem Wahlkampf auf die Sanierung der Kantonsfinanzen. Der Kanton dürfe nicht weiter über seine Verhältnisse leben. Zusammen mit den 14 Sitzen der SVP war die Rechte knapp in der Minderheit. Um dies zu ändern, trat die SVP mit 36 Kandidierenden in allen sechs Wahlkreisen an. Die Volkspartei erhoffte sich Schwung durch ihren Regierungsratskandidaten Yvan Perrin und machte sich für die Streichung von Sozialleistungen, die Gesundung der Kantonsfinanzen und eine Quellenbesteuerung von Grenzgängern stark. Neben den fünf arrivierten Parteien traten die CVP, die im Kanton Neuenburg eine marginale Rolle spielt und die hohe 10%-Hürde bei den letzten Wahlen jeweils verpasst hatte, und neu die BDP und die GLP an. Die Grünliberalen strebten mit 55 Kandidierenden Fraktionsstärke (5 Sitze) an. Die Ziele der BDP, die mit 12 Personen antrat und der CVP, die 34 Kandidierende ins Rennen schickte, waren etwas bescheidener: einen bis drei Sitze erobern. Die CVP, die vor allem ihre Familienpolitik hervorhob, wollte ursprünglich mit 36 Kandidierenden starten, musste aber zwei Personen streichen, die nicht im Besitz der Schweizer Staatsbürgerschaft waren. Seit einer 2007 von der SVP gewonnenen Referendumsabstimmung wurde der ausländischen Wohnbevölkerung von Neuenburg das passive Wahlrecht wieder verwehrt. Dieses war ihnen vorher gemeinsam mit dem 2013 weiterhin bestehenden aktiven Wahlrecht zugestanden worden. Die BDP wollte sich für mehr Sicherheit einsetzen und ging dazu ein Wahlbündnis mit CVP, GLP und FDP ein. Die neunte Liste, die Nouveau Parti Libéral (NPL), portierte neun Personen, die vorwiegend in La Chaux-de-Fonds und zwei weiteren Wahlkreisen antraten. Die NPL wurde vom 2011 aus der Regierung geschassten Frédéric Hainard gegründet, der sich selber auch zur Wahl stellte, was von einigen Politikern mit wenig Wohlwollen zur Kenntnis genommen wurde. Die neue Partei ging mit der SVP ein Listenbündnis ein.
Die Urnen für die Grossratswahlen wurden zwei Wochen nach dem Wahltermin entsiegelt und brachten eine Verschiebung nach Mitte-Rechts zum Vorschein. Die Linke musste Federn lassen, die Rechte stagnierte und in der Mitte mischten zwei neue Parteien mit, die GLP und die CVP. Die SP (26,5% Wähleranteil; 2009: 28,2%) büsste drei Sitze ein (neu 33 Sitze), die Grünen (11,2%; 2009: 12,6%) mussten zwei Sitzverluste (neu 12 Sitze) hinnehmen und die Allianz zwischen PdA und SolidaritéS (7,6%; 2009: 8,5%) verlor einen Sitz (neu 9 Sitze). Damit kam die Linke insgesamt noch auf 54 von 115 Sitzen. Die Rechte, bestehend aus FDP und SVP konnte die gesamthaft 61 Sitze halten, wobei sich allerdings Verschiebungen innerhalb des Lagers zeigten. Die FDP (28,7% Wähleranteil; 2009: 33,2%) musste auf sechs Sitze verzichten (neu: 35 Sitze) und die SVP (16,9%; 2009: 12,7%) legte um sechs Sitze zu (neu 20 Sitze). Sie überholte damit die Grünen als drittstärkste Partei. Ihr Regierungskandidat Yvan Perrin fungierte dabei wie erhofft als Lokomotive und holte in seinem Distrikt (Val-de-Travers) die meisten Stimmen. Ein weiterer Grundstein für den Erfolg sei auch gewesen, dass die SVP als einzige Partei die S-Bahn-Linie „Trans-Run“ abgelehnt habe, spekulierten die Medien. Neu ins Parlament zogen die GLP und die CVP ein. Dass die GLP, die erst seit wenigen Monaten im Kanton Neuenburg existierte, gleich fünf Sitze und 4,8% der Wählerschaft für sich gewinnen konnte, wurde als grosse Überraschung gewertet. Weil zwei Kandidierende der GLP genau die gleiche Anzahl Stimmen erhalten hatten, musste das Los entscheiden, wer als fünfter Kandidat in den Grossrat einzog. Auch für die CVP war der Sitzgewinn ein Erfolg, der allerdings vor allem der eingegangenen Listenverbindung und weniger dem leichten Wählerstimmenzuwachs zugeschreiben werden muss (2,7%; 2009: 3,2%); die im Kanton Neuenburg vorhandene 10%-Hürde gilt auch als übersprungen, wenn die verbundenen Listen zusammen über 20% Wähleranteile aufweisen. Mit diesem Sitzgewinn war die CVP erstmals in allen kantonalen Parlamenten der Schweiz vertreten. Keine Chance hatten die BDP (0,8%) und die NPL (0,8%) – trotz Listenverbindungen. In Zukunft dürfte der Grossrat im Kanton Neuenburg tripolar funktionieren. Erwartet wurde, dass die beiden neuen Parteien GLP und CVP, obwohl sie zusammen nur über sechs Sitze verfügen, im 115-köpfigen Grand Conseil Schiedsrichter und Zünglein an der Waage zwischen Links (54 Sitze) und Rechts (55 Sitze) spielen würden. Die bisherige Kohabitation zwischen linker Mehrheit im Parlament und bürgerlicher Mehrheit im Staatsrat kehrte sich im Berichtsjahr um, weil die Linke neu die Mehrheit in der Exekutive stellte (siehe unten). Der Frauenanteil hatte wie bereits 2009 (26,1%) erneut abgenommen: Nach den Erneuerungswahlen von 2013 sassen noch 26 Frauen im Grand Conseil (22,6%). Zu reden gab die tiefe Stimmbeteiligung von 30,8%. Eine Abgeordnete der SolidaritéS warf die Frage auf, ob das Parlament damit überhaupt noch über genügend Legitimation verfüge. In der Presse wurde eine bessere politische Bildung gefordert, damit Interesse und Verantwortungsgefühl wieder gesteigert werden können. Zum ersten Mal durften rund 25 000 der 133 000 Wahlberechtigten im Kanton Neuenburg auch elektronisch wählen. Von diesem Angebot machten allerdings nur rund 4 500 Personen Gebrauch (18%) [5].
 
[5] Wahlen vom 14.4.13: Presse vom 29.4.13; Exp., 30.4.13; www.ne.ch; bfs.ch; Wahlkampf: Exp., 23.1.13; NZZ, 5.2.13; Exp., 14.2., 22.2., 25.2., 26.2., 6.3., 19.3., 20.3., 21.3., 23.3., 27.3., 30.3. und 6.4.13; NZZ, 9.4.13; Exp. 12.4. und 15.4.13.