Année politique Suisse 2013 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Strukturpolitik
Der Nationalrat setzte sich in der Frühjahrssession erneut mit der
Swissness-Vorlage auseinander. Im Vordergrund der Differenzbereinigung des Markenschutzgesetzes standen die genauen Kriterien, die zur Anwendung gelangen sollten, damit bestimmte Produkte in den Genuss der geographischen Herkunftsbezeichnung kamen. Im Bereich der Lebensmittel räumte die grosse Kammer eine gewichtige Differenz aus, indem sie auf die Linie des Ständerats einschwenkte: Mit einer Mehrheit von 107 zu 80 Stimmen entschied der Nationalrat, dass mindestens 80 Prozent des Rohstoffgewichts aus der Schweiz stammen musste, damit Lebensmittel als Schweizer Produkte galten. Ausgenommen von dieser Regelung waren Rohstoffe, die nicht in der Schweiz produziert werden konnten (z. B. Kakao) oder temporär nicht zur Verfügung standen. Somit verabschiedete sich der Nationalrat von seinem im Vorjahr beschlossenen Modell, das von der verarbeitenden Nahrungsmittelindustrie bevorzugt wurde. Dieses sah eine Unterscheidung zwischen wenig und stark verarbeiteten Lebensmitteln vor, wobei für Letztere ein Mindestanteil von lediglich 60 Prozent vorgesehen war. Für Aufsehen sorgte eine Sonderregelung in Bezug auf die Milchprodukte. Der Nationalrat entschied sich mit 128 zu 56 Stimmen, dass diese nur dann als einheimisch gelten würden, wenn die verwendete Milch ausschliesslich aus der Schweiz stammte. Bei den Industrieprodukten hielt der Nationalrat an seiner ursprünglichen Forderung nach einem Schwellenwert von 60 Prozent der Herstellungskosten fest, wobei die Kosten für Qualitätssicherung und Zertifizierung darin berücksichtigt werden konnten. Der Ständerat hatte sich im vergangenen Jahr für einen Anteil von 50 Prozent entschieden, der auch die Forschungs- und Entwicklungskosten einschloss. Diese Schwellenwerte gaben Anlass zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den betroffenen Industriezweigen. So drohte die Fédération horlogère (FH), der Dachverband der Uhrenindustrie, anfangs März aus der Economiesuisse auszutreten, da sich Letztere für die weniger strikte Variante von 50 Prozent eingesetzt hatte. In der Sommersession folgte der Ständerat bezüglich der Industrieprodukte der strikteren Version des Nationalrats. Mit 22 zu 21 Stimmen kam dieser Entscheid hauchdünn zu Stande. Somit konnte die letzte bedeutende Differenz bereinigt werden. Zudem sprach sich die kleine Kammer bei den Milchprodukten in Übereinstimmung mit dem Nationalrat zu Gunsten der einheimischen Landwirtschaft aus. Demnach mussten 100 Prozent des Rohstoffs Milch Schweizerischer Herkunft sein. Im Rahmen der Schlussabstimmungen wurde das Markenschutzgesetz im Nationalrat mit 135 zu 47 und im Ständerat mit 26 zu 13 Stimmen angenommen. Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), der dazu aufgerufen hatte, die Vorlage abzulehnen, verzichtete darauf, das Referendum zu ergreifen. Weit weniger umstritten erwies sich mit der Revision des Wappenschutzgesetzes der zweite Bestandteil der Swissness-Vorlage. Diese bezweckt eine Legalisierung der Verwendung der Schweizer Fahne und des Schweizerkreuzes auf Produkten von Unternehmen, welche die im Rahmen des Markenschutzgesetzes festgelegten Herkunftskriterien erfüllten. In der Schlussabstimmung wurde das Wappenschutzgesetz im Ständerat einstimmig und im Nationalrat mit nur einer einzigen Gegenstimme gutgeheissen
[9].
Im Zusammenhang mit den Beratungen über die Swissness-Vorlage nahm der Nationalrat in der Frühjahrssession eine Motion der ständerätlichen Kommission für Rechtsfragen (RK-SR) zur
geographischen Herkunftsbezeichnung im Rahmen von internationalen Verträgen an. Die kleine Kammer schwächte den Text des Vorstosses, der im vergangenen Jahr vom Ständerat gutgeheissen wurde, allerdings ab, indem sie an Stelle einer zwingenden eine dispositive Formulierung wählte. Demnach hatte der Bundesrat beim Abschluss von Freihandelsabkommen sowie von bilateralen Handels- und Wirtschaftsverträgen „nach Möglichkeit“ die Verwendung von geografischen Herkunftsbezeichnungen zu regeln. Dieser Modifikation stimmte im Juni des Berichtsjahrs der Ständerat zu
[10].
Der Nationalrat überwies in der Sommersession eine Motion der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats (SiK-SR), die den Bundesrat mit der Registrierung der Marken
„Swiss Army“, „Swiss Military“ und „Swiss Air Force“ sowie anderer Bezeichnungen der Truppengattungen der Schweizer Armee beim Eidgenössischen Institut für geistiges Eigentum (IGE) beauftragte. Der Ständerat hatte sich bereits im Dezember des Vorjahres für diesen Vorstoss ausgesprochen
[11].
Die Schweizerische Bundeskanzlei gab im Mai bekannt, dass die im November 2011 lancierte
Volksinitiative „für eine Wirtschaft zum Nutzen aller“ nicht zu Stande gekommen war.
Das Begehren hätte eine radikale Wende zu Gunsten einer Wirtschaftsordnung vorgeschlagen, welche die Umwelt und die lokalen gesellschaftlichen Strukturen berücksichtigen sollte
[12].
Aufgrund der Ergebnisse einer externen Evaluation zu den
Steuererleichterungen im Bereich der Regionalpolitik beauftragte der Bundesrat im Oktober das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), eine entsprechende Reform auf Verordnungsstufe vorzubereiten. Der Bund hatte von 2000 bis 2012 rund 450 Verfügungen für Steuererleichterungen von Firmen erlassen. Der Evaluationsbericht kam zum Schluss, dass jene Projekte, die im Jahre 2010 in den Genuss des Förderinstruments kamen, insgesamt 12 000 Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen geschaffen hatten. Für die betroffenen Regionen war die damit verbundene Wertschöpfung bedeutsam. Der Bericht empfahl jedoch, eine betragsmässige Obergrenze einzuführen, um übermässige Steuererleichterungen pro Arbeitsplatz zu vermeiden. In der Tat sparten drei Unternehmungen insgesamt über drei Milliarden Franken Bundessteuern, womit sie 70% der Rabatte abschöpften, die im Rahmen der direkten Bundessteuer gewährt wurden
[13].
Im Dezember genehmigte der Bundesrat einen Bericht über die
Regulierungskosten, die auf Stufe der Unternehmungen anfielen. Die höchsten Kosten von über einer Milliarde Franken pro Jahr wurden in den Bereichen Mehrwertsteuer, Rechnungslegung und Revisionsaufsicht, Baurecht, Umweltrecht und Arbeitssicherheit ausgemacht. Tiefe Kosten verzeichneten dagegen die Unternehmensstatistik sowie die Zulassung von ausländischen Erwerbstätigen. Der Bundesrat präsentierte 32 Massnahmen, die eine Senkung der Regulierungskosten beabsichtigten, ohne den Nutzen der verschiedenen Regulierungen in Frage zu stellen. Ein hohes Einsparpotential von mehreren 100 Millionen Franken sah die Landesregierung in der Etablierung eines Einheitssteuersatzes bei der Mehrwertsteuer sowie in der Harmonisierung der Baurechtsvorschriften
[14].
Gemäss einer im Juni des Berichtsjahres von der Credit Suisse veröffentlichten Studie mussten sich in den kommenden fünf Jahren 22 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmungen (KMU) mit einer
Nachfolgeregelung befassen. Vor diesem Hintergrund überwiesen die eidgenössischen Räte im Verlauf der Sommersession zwei Motionen, die im Rahmen des Firmenrechts eine entsprechende Vereinfachung bezweckten. Nach der Zustimmung der kleinen Kammer im vergangenen Jahr fand eine Motion Rime (svp, FR) auch im Ständerat eine Mehrheit. Um den Fortbestand vor allem der kleinen und mittleren Unternehmungen (KMU) zu erleichtern, zielte der Vorstoss auf eine Lockerung der Firmennamenregelung ab. Bis anhin musste bei Einzelfirmen, Kollektiv- und Kommanditgesellschaften sowie Kommanditaktiengesellschaften der Namen der Inhaberin oder des Inhabers der Einzelfirma bzw. die Namen der unbeschränkt haftenden Gesellschafterinnen und Gesellschafter der Personengesellschaften Teil des Firmennamens sein. Die Motion forderte, dass der Firmenname ungeachtet der Änderungen, die den Kreis der Gesellschafterinnen und Gesellschafter oder die Rechtsform betraf, fortbestehen konnte. Der Nationalrat nahm seinerseits eine Motion Bischof (cvp, SO) an, welche die identische Zielsetzung verfolgte. Der Ständerat hatte sich bereits im Vorjahr für dieses Geschäft ausgesprochen
[15].
Basierend auf einem Bericht über das
gewerbeorientierte Bürgschaftswesen zog der Bundesrat im November eine positive Bilanz zur Wirkung dieses KMU-Förderinstruments. Ende 2012 konnten 1660 kleine und mittlere Unternehmen von einer Bürgschaft und damit von einem erleichterten Zugang zu Bankkrediten profitieren, was einem Volumen von 218 Millionen Franken entsprach. Gemäss Schätzungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) schufen Unternehmen mit Bürgschaften nach dem Antrag im Durchschnitt knapp 4,5 Arbeitsplätze. Aufgrund dieser Resultate gab der Bundesrat bekannt, dass er am bestehenden System festhalten wollte
[16].
Der Bundesrat kündigte Ende Juni an, den Schweizer Tourismus mit einem
Impulsprogramm für die Periode 2016-2019 zu unterstützen. Ein Bericht über die strukturelle Situation zeigte, dass die Branche mit einer deutlich schwächeren Nachfrage konfrontiert war. Zwischen 2008 und 2012 nahm die Zahl der Hotelübernachtungen um sieben, im Alpenraum gar um 13 Prozent ab. Der Bericht kam zum Schluss, dass die Schweizer Tourismusbranche im internationalen Vergleich zu teuer, zu wenig ausgelastet und zu kleinräumig organisiert war. 90 Prozent der Hotels beherbergten weniger als 50 Betten, und um die Tourismusförderung kümmerten sich landesweit 561 Organisationen. Der Bundesrat widersetzte sich der Idee, eine staatliche Tourismusbank nach österreichischem Vorbild aufzubauen. Nicht zuletzt aufgrund der Annahme der Zweitwohnungsinitiative im Jahre 2012, welche die strukturellen Schwierigkeiten im Tourismus verschärft hätten, wollte er dem Parlament jedoch ein Massnahmenpaket vorlegen. Das gewichtigste Element des Impulsprogramms betraf die Verwendung von 200 Millionen Franken aus der Neuen Regionalpolitik (NRP). Darüber hinaus schlug der Bundesrat vor, die Mittel der Agentur “Innotour“, welche Innovationen und Wissensaufbau im Tourismus unterstützte, um 10 auf 30 Millionen Franken aufzustocken. Zusätzlich zum Impulsprogramm gab der Bundesrat bekannt, dass er im Zusammenhang mit der Zweitwohnungsinitiative den finanziellen Spielraum der Schweizerischen Gesellschaft für Hotelkredit (SGH) vergrössern wollte, indem das vom Parlament im Jahre 2011 bewilligte und auf Ende 2015 befristete Zusatzdarlehen von 100 Millionen Franken bis Ende 2019 verlängert werden sollte. Die Branchenorganisationen (Schweizer Tourismus-Verband, Gastrosuisse, Hotelleriesuisse, Parahotellerie Schweiz und die Seilbahnen Schweiz) begrüssten die Stossrichtung der bundesrätlichen Vorschläge
[17].
Das Parlament überwies eine Motion Abate (fdp, TI), die eine
Anpassung der zweiten Verordnung zum Arbeitsgesetz an die Bedürfnisse des Fremdenverkehrs verlangte. Dadurch sollten die Bestimmungen über die Sonntagsarbeit für Einkaufszentren in Tourismusgebieten gelockert werden. Hintergrund war ein Streit um den Outlet “Fox Town“ in Mendrisio (TI), wo der Kanton und die Gewerkschaften 16 Jahre lang rechtswidrig Sonntagsarbeit zuliessen. Nach der Zustimmung durch den Ständerat im Vorjahr vereinigte der Vorstoss auch im Nationalrat eine Mehrheit auf sich. Dabei setzten sich in der Frühjahrssession die Bürgerlichen gegen den Widerstand der Ratslinken mit 121 zu 56 Stimmen durch
[18].
Über die weiteren Liberalisierungsvorlagen im Bereich der Ladenöffnungszeiten berichten wir im Teil I, 7a (Temps du travail).
Die Verlängerung des Mehrwertsteuer-Sondersatz für Beherbergungsdienstleistungen wird im Teil I, 5 (Indirekte Steuern) behandelt.
Im Februar des Berichtsjahres legte der Bundesrat die Eckwerte des
künftigen Geldspielgesetzes fest. Nachdem im Vorjahr der direkte Gegenentwurf zur Volksinitiative „für Geldspiele im Dienste des Gemeinwohls“ von Volk und Ständen angenommen worden war, nahm das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zusammen mit den Kantonen, der Geldspielbranche sowie der Suchtprävention die Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmung in Angriff. Dabei sollte das Lotteriegesetz aus dem Jahre 1923 totalrevidiert und mit dem Spielbankengesetz zusammengeführt werden. Ein zentrales Anliegen betraf eine wirksamere Bekämpfung der Spielsucht. Die Veranstalter von Geldspielen sollten dazu verpflichtet werden, geeignete Schutzmassnahmen vorzusehen, um die Wahrscheinlichkeit einer Spielsucht zu verringern. Dabei sollte ein neues, unabhängiges und aus Fachleuten bestehendes Organ die Veranstalter beraten und die Aufsichtsbehörden in ihrer Arbeit unterstützen. Ausserdem wollte die Landesregierung unter gewissen Bedingungen das bestehende Verbot von Online-Casinospielen lockern. Geldspiele sollten also auch im Internet angeboten werden dürfen. Schliesslich setzte sich der Bundesrat zum Ziel, die Ungleichbehandlung der Besteuerung von Geldspielgewinnen zu beseitigen. Während Gewinne aus Lotterien und Wetten bisher versteuert werden mussten, waren Spielgewinne, die in Casinos erzielt wurden, steuerfrei. Der Bundesrat schlug vor, die Besteuerung von Geldspielgewinnen generell aufzuheben. Dank des daraus entstehenden Attraktivitätsgewinns der Geldspiele in der Schweiz erhoffte er sich eine Kompensation der unmittelbar anfallenden Steuerausfälle. Entgegen der ursprünglichen Planung schickte der Bundesrat den Vorentwurf nicht mehr im Jahre 2013 in die Vernehmlassung
[19].
Im Rahmen der Wintersession überwies der Nationalrat ein Postulat Lehmann (cvp, BS), das den Bundesrat beauftragte, in der Botschaft zum neuen Geldspielgesetz den in der Schweiz geltenden
Schutz vor Spielsucht mit jenem des grenznahen Auslands zu vergleichen
[20].
[9] BRG 09.086:
AB NR, 2013, S. 171ff.
; AB SR, 2013, S. 434ff.;
NZZ, 1.3.13,
NZZ, 11.3, 12.3., 7.6., 12.6., 14.6. und 27.6.13; vgl.
SPJ 2012, S. 160f.
[10] Mo. 12.3642:
AB NR, 2013, S. 186;
AB SR, 2013, S. 442f.; vgl.
SPJ 2012, S. 161.
[11] Mo. 12.3667:
AB NR, 2013, S. 1169;
AB SR, 2012, S. 1089.
[12]
BBl, 2013, S. 3147;
SPJ 2011, S. 183.
[13] Medienmitteilung SECO vom 23.10.13.;
NZZ, 24.10.13,
TA, 29.11.13;
Lit. B,S,S.
[14] Medienmitteilung SECO vom13.12.13.
[15] Mo. 12.3727 (Rime):
AB SR, 2013, S. 584f.; Mo. 12.3769 (Bischof):
AB NR, 2013,
S. 907.;
TA, 18.6.13;
Lit. Credit Suisse.
[16] Medienmitteilung SECO vom 20.11.13.
[17] Medienmitteilung SECO vom 27.6.13;
AZ, 28.6.13.
[18]
Mo. 12.3791:
AB NR, 2013, S. 152ff.;
NZZ, 20.3.13; vgl.
SPJ 2012, S. 163.
[19]
Medienmitteilung BJ vom 13.2.13.;
NZZ, 14.2.13;
TA, 5.6.13; vgl.
SPJ 2012, S. 164.
[20] Po. 12.4004:
AB NR, 2013, S. 2208.
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