Année politique Suisse 2013 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Wettbewerb
Der Ständerat befasste sich in der Frühjahrssession des Berichtsjahres als Erstrat mit der
Revision des Kartellgesetzes. Auf institutioneller Ebene erteilte die kleine Kammer der vom Bundesrat vorgeschlagenen Schaffung einer Gerichtsinstanz eine Abfuhr. Ausschlaggebend für diesen Entscheid war die Befürchtung einer Verlängerung der Verfahren. Stattdessen beschloss der Ständerat eine Professionalisierung und Verkleinerung der Wettbewerbskommission (WEKO). Das zwölfköpfige Gremium, in dem bis anhin auch Vertreter von vier Verbänden (Economiesuisse, Schweizerischer Gewerbeverband, Schweizerischer Gewerkschaftsbund und Stiftung für Konsumentenschutz) Platz nahmen, sollte auf fünf unabhängige Sachverständige reduziert werden. In Bezug auf das Teilkartellverbot, d.h. die Grundsatzverbote von Preis-, Mengen- und Gebietsabreden zwischen Konkurrenten (Horizontalabreden) sowie von vertikalen Preisbindungen und Gebietsabschottungen zwischen Produzenten und Händlern (Vertikalabreden) folgte die kleine Kammer den bundesrätlichen Anträgen. Der Ständerat sprach sich bei den Vertikalabreden dafür aus, im Einzelfall abweichende Rechtfertigungsmöglichkeiten zuzulassen, sofern von solchen Abreden eine effizienzsteigernde Wirkung ausging. Entgegen dem Vorschlag des Bundesrats sollte die Beweisführung jedoch nicht den Unternehmen, sondern der Wettbewerbsbehörde obliegen. Ausserdem legte der Ständerat fest, dass wettbewerbsfördernde Arbeitsgemeinschaften und Poolverträge weiterhin zulässig bleiben sollten. Diese Kooperationsformen waren in der Baubranche und in der Versicherungsbranche häufig anzutreffen. Schliesslich sollten Bagatellfälle nicht von der WEKO aufgegriffen werden. Für eine Überraschung sorgte die Annahme eines Minderheitsantrags Hess (fdp, OW). Dieser sah – im Sinne einer im Vorjahr vom Nationalrat angenommenen Motion Birrer-Heimo (sp, LU) – vor, dass Lieferanten aus OECD-Ländern ihre Schweizer Kunden zu den dort üblichen Bedingungen beliefern mussten. Dieser Entscheid, der die Bekämpfung der “Hochpreisinsel Schweiz“ bezweckte, kam deutlich mit 25 zu 12 Stimmen zu Stande. Vertreter der unterlegenen Kommissionsmehrheit machten vergebens darauf aufmerksam, dass ein solcher Lieferzwang für ausländische Unternehmen ohne Schweizer Niederlassung kaum durchsetzbar war und der international gängigen Praxis widersprach. Nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass der Ständerat die Vorlage in gewissen Bereichen grundlegend verändert und somit neue Fragen aufgeworfen hatte, beschloss die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats (WAK-NR) im April, den Eintretensentscheid zu vertagen und weitere Abklärungen durchzuführen. Dies betraf vor allem den Umbau der Wettbewerbskommission und die Frage des Lieferzwangs. In der Presse wurde dies als Verzögerungstaktik einer aus Gewerbe- und Gewerkschaftsvertretern bestehenden unheiligen Allianz interpretiert. Im Oktober gab die WAK-NR bekannt, dass sich eine Mehrheit von 13 zu 9 Kommissionsmitgliedern gegen das vom Ständerat beschlossene Teilkartellverbot ausgesprochen hatte. Ein Gelingen der Gesetzesrevision erschien somit zunehmend ungewiss
[21].
In der Frühjahrssession lehnte der Ständerat eine Motion Birrer-Heimo (sp, LU) ab, die sich auf
Preisdifferenzierungen durch ausländische Anbieter bezog. Der Vorstoss, der im Jahr 2011 im Nationalrat eine Mehrheit erreicht hatte, wollte im Kartellgesetz den Grundsatz verankern, wonach sich Unternehmen unzulässig verhielten, wenn sie ihre Markenprodukte im Ausland zu tieferen Preisen vertrieben als in der Schweiz. Da dieses Anliegen vom Ständerat im Rahmen der Kartellgesetzrevision berücksichtigt wurde (siehe oben), erwies sich dieser Entscheid in der kleinen Kammer als unumstritten
[22].
Im Mai unterzeichnete die Schweiz ein
Wettbewerbsabkommen mit der EU. Dieses regelte die Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden der beiden Vertragsparteien, ohne dass das Wettbewerbsrecht harmonisiert wurde. Das Abkommen setzte sich einen wirksameren Vollzug zum Ziel, indem es die gegenseitige Mitteilung von entsprechenden Massnahmen und die Koordinierung von miteinander verbundenen Sachverhalten ermöglichte. Darüber hinaus sollten im Falle von parallelen Untersuchungsverfahren die Schweizerische Wettbewerbskommission (WEKO) und die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission vertrauliche Informationen und Beweismittel austauschen können. Bis dato konnten die Wettbewerbsbehörden davon nur unter Einverständnis der von einem Verfahren betroffenen Unternehmen Gebrauch machen. Bevor der Vertrag in Kraft treten konnte, mussten das EU-Parlament und die Regierungen der Mitgliedsstaaten sowie die eidgenössischen Räte dem Abkommen zustimmen. Nur wenige Tage nach Bekanntgabe des Vertragsabschlusses verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft. Darin vertrat die Landesregierung unter anderem die Ansicht, dass das Abkommen einen Beitrag zur Bekämpfung der “Hochpreisinsel Schweiz“ leisten würde. In der Herbstsession genehmigte der Nationalrat das Wettbewerbsabkommen mit 128 zu 44 Stimmen. Einzig die Fraktion der SVP sprach sich dagegen aus. Der Entscheid des Ständerats war am Jahresende noch hängig
[23].
Die Ungleichbehandlung zwischen inländischen und ausländischen
Notaren führte im Berichtsjahr zu einer Uneinigkeit zwischen der Wettbewerbskommission (WEKO) und den Kantonen. Das Tätigkeitsgebiet von inländischen Notaren war auf ihren jeweiligen Kanton beschränkt. Gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union und das Berufsqualifikationsgesetz konnten derweil Notare aus der EU die schweizweite Anerkennung ihrer Berufsqualifikation beantragen. Dieser Umstand führte zu einer Inländerdiskriminierung, was gegen das Binnenmarktgesetz verstiess. Vor diesem Hintergrund eröffnete die Wettbewerbskommission (WEKO) im März des Berichtsjahrs eine Untersuchung, welche die Freizügigkeit der Notare ins Auge fasste. Im Rahmen einer Vernehmlassung wurden die Kantone sowie die betroffenen Bundesstellen zu einer Stellungnahme eingeladen. Im Oktober informierte die WEKO die Kantone und den Bundesrat über die Ergebnisse ihrer Untersuchung. Die Wettbewerbskommission empfahl den Kantonen, gleichwertige Ausbildungen von freiberuflichen Notaren aus anderen Kantonen anzuerkennen. Einschränkende Massnahmen wie Wohnsitzpflichten, Gegenrechtsbestimmungen oder Staatsbürgerschaftserfordernisse sollten aufgehoben werden. Ferner sollten Kantone mit Amtsnotariat bei der Stellenbesetzung auch ausserkantonal ausgebildete Notare berücksichtigen. Die Kantone sprachen sich grossmehrheitlich gegen die Marktöffnung aus. Sie waren der Auffassung, dass die Ausdehnung der Freizügigkeit in ihren Kompetenzbereich eingriff und vertiefte Kenntnis über die lokalen Gegebenheiten notwendig waren, um öffentliche Beurkundungen durchzuführen
[24].
Im April veröffentlichte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) eine Studie zu den Auswirkungen der
Revision des Bundesgesetzes über technische Handelshemmnisse (THG). Die Teilrevision des THG stand im grösseren Rahmen der Bestrebungen des Bundesrates, den Wettbewerb im Binnenmarkt Schweiz zu stärken. Mit der Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips, wonach Produkte automatisch in der Schweiz zugelassen waren, die nach den nationalen Vorschriften eines EU-/EWR-Staates hergestellt wurden, sollte ein tieferes Preisniveau zum Vorteil der KonsumentInnen und der Schweizer Exportfirmen erzielt werden. Die Studie des SECO konnte im Rahmen eines Vergleichs von 150 Produkten in der Schweiz gegenüber den vier Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich aber keine signifikante Preisreduktion nachweisen. Der dominante Einfluss der Aufwertung des Schweizer Frankens auf die relativen Preise stellte für die Auswertung allerdings eine erhebliche Erschwernis dar
[25].
Für Aufsehen sorgten im Juni die Ergebnisse eines unter der Federführung von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union (EU), durchgeführten
Preisvergleichs von Gütern und Dienstleistungen. Demnach lag das Schweizer Preisniveau im Jahre 2012 im Durchschnitt 58 Prozent über dem EU-Mittel und rund 45% über jenem der vier Nachbarländer und der drei Benelux-Staaten. Öffentliche Dienstleistungen lagen in der Schweiz 90 Prozent über dem EU-Durchschnitt, während Bildungsdienstleistungen gar mehr als 2,5 Mal teurer waren
[26].
Im Jahre 2005 hatte der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Lustenberger (cvp, LU) Folge gegeben, die bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen die Berücksichtigung der
Ausbildung von Lehrlingen als Kriterium forderte. Der Gesetzesentwurf eine entsprechende Änderung von Artikel 21 des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) vor. Im März des Berichtsjahres gab die nationalrätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-NR) die Ergebnisse der Vernehmlassung bekannt. Die Mehrheit der konsultierten Kantone, Parteien und weiteren interessierten Organisationen stand der Vorlage positiv gegenüber. Allerdings waren sich die Wirtschaftsverbände uneinig. Während der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) das Ansinnen begrüsste und darin eine Stärkung der dualen Berufsbildung sah, sprach sich der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) gegen den Gesetzesentwurf aus, da dieser seines Erachtens wettbewerbsverzerrende Anreize setzte. Im Mai nahm die WAK-NR mit 19 zu 6 Stimmen den Vorentwurf an. Die Behandlung des Geschäfts wurde im Nationalrat auf die Frühjahrssession 2014 angesetzt
[27].
Wie der Nationalrat im Vorjahr sprach sich auch der Ständerat für eine Motion Hodgers (gp, GE) aus, die Massnahmen zur
Verbesserung der Chancengleichheit zwischen den verschiedenen Sprachregionen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch den Bund verlangte, ohne dabei die Qualität der Dienstleistungen in Frage zu stellen. Der in der Herbstsession überwiesene Vorstoss ging auf statistische Erhebungen des Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) zurück, die erhebliche sprachregionale Unterschiede bei der Vergabe von Bundesaufträgen dokumentiert hatten
[28].
Im Januar stellte das Inkassounternehmen Intrum Justitia den “Radar Konsum und Verschuldung 2013“ vor. Die Studie widmete sich dem Verschuldungsrisiko der in der Schweiz wohnhaften KonsumentInnen. Sie kam zum Schluss, dass ein stabiles soziales Netzwerk, eine gute Ausbildung und ein zunehmendes Alter die Zahlungsmoral erhöhten. In geographischer Hinsicht zeigte sich, dass die BewohnerInnen der Agglomeration eine höhere Wahrscheinlichkeit aufwiesen, die Rechnungen zu begleichen als jene der Städte [29].Das Berichtsjahr wurde vom sogenannten “Pferdefleischskandal“ überschattet. In verschiedenen europäischen Ländern wurden in Lebensmitteln, die als Rindfleischprodukte deklariert waren, bis zu 100 Prozent Pferdefleisch und andere Fleischsorten nachgewiesen. Betroffen waren vorwiegend Tiefkühlprodukte wie Lasagne und Saucen. In der Schweiz wurden alle grossen Detailhandelsketten (Migros, Coop, Denner, Aldi, Lidl und Volg) Opfer von falsch deklariertem Fleisch. Als Reaktion auf diesen Skandal sah sich das Parlament im Rahmen der Totalrevision des Lebensmittelgesetzes dazu veranlasst, die Deklarationspflichten zu verschärfen. Über dieses Geschäft berichten wir im Teil I, 4c (Agrarpolitik) [30].
[21]
BRG 12.028:
AB SR, 2013,
S. 314ff.;
NZZ, 22.3., 23.3., 24.4. und 9.10.13,
SGT, 8.10.13,
TA, 20.4 und 25.4.13.; vgl.
SPJ 2012, S. 165.
[22] Mo. 11.3984:
AB SR, 2012, S. 353f. ; vgl.
SPJ 2011, S. 187.
[23]
BBl, 2013, S. 3959ff.; BRG 13.044:
AB NR, 2013,
S. 1635ff.; Medienmitteilung SECO vom 17.5.13;
NZZ, 18.5, 23.5. und 26.9.13.
[24]
Medienmitteilung WEKO vom 11.10.13;
NZZ, 14.6. und 12.10.13.
[25]
Medienmitteilung SECO vom 25.4.13;
NZZ, 26.4.13;
Lit. Seco.
[26]
NZZ und
TA, 25.6.13.
[27] BBl, 2013, S. 5441ff.; Medienmitteilung WAK-NR vom 14.5.13;
TA, 15.5.13.
[28] Mo. 12.3739:
AB SR, 2013, S. 685ff.
[29]
NZZ und
TdG, 9.1.13.
[30]
NZZ, SGT und
TdG, 21.3.13.
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