Année politique Suisse 2013 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Sprachen
Am 20. Februar feierte die rätoromanische Sprache ihr 75-jähriges Bestehen als vierte Schweizer Landessprache. Eine im Berichtsjahr erschienene Dissertationsarbeit umreisst die rätoromanische Renaissance ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu ihrer Etablierung als vierte Nationalsprache durch ein überaus deutliches Volksmehr von 92% im Jahr 1938. Die rätoromanische Abteilung der SRG zelebrierte darüber hinaus ihr 50-jähriges Bestehen [23].
Die aufgrund Emeritierung bedrohte Professur für die rätoromanische Sprache an der Universität Freiburg wurde im Berichtsjahr per Vertragsunterzeichnung weiterhin gesichert. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Churer Hochschule für Pädagogik die Professur mit jährlich bis zu CHF 100 000 unterstützt. Im Gegenzug verpflichtet sich der neue Stelleninhaber der Freiburger Professur zum Unterricht an der Hochschule. Diese Lösung erarbeitete eine auf Initiative der Bündner Regierung entstandene Arbeitsgruppe [24].
Der Bündner Sprachenstreit zog sich auch im Berichtsjahr weiter. Der Ende 2011 gefällte wegweisende Entscheid der Bündner Regierung, wonach der Schulunterricht ausschliesslich für zukünftige Primarschüler ab dem Schuleintritt in den verschiedenen Idiomen abgehalten werden kann, wurde vom Bundesgericht gestützt. Die Beschwerde von betroffenen Eltern, deren Kinder im Rahmen eines Pilotversuchs mit der Unterrichtssprache Rumantsch Grischun eingeschult worden waren und die nun eine Rückkehr zu den Idiomen forderten, wurde somit abgelehnt. Um in Zukunft einen zeitgemässen Unterricht in Sursilvan, Sutsilvan, Puter und Vallander gewährleisten zu können, beschloss die Bündner Regierung im November, bis im Mai 2014 ein Konzept zur Erstellung neuer Lehrmittel in den Idiomen zu erarbeiten. Mit diesem Entscheid gaben sich die Lia Rumantscha und Pro Idioms Engiadina – wenn auch nicht ohne Vorbehalte – zufrieden. Die Bündner Elterngruppe kündigte indes an, ihre Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterzuziehen [25]
Über die Bedeutung von Mundart wurde auch im Berichtsjahr rege diskutiert. Mit einer Vielzahl kantonaler Initiativen aus rechtskonservativen Kreisen mauserte sich ein ursprünglich pädagogisches Anliegen zu einer politischen Wertediskussion um Identität und Heimat. So lehnte etwa die Stimmbevölkerung in den Kantonen Glarus und Luzern zwei SVP-Anliegen ab, die den Kindergartenunterricht ausschliesslich in Dialektsprache abhalten wollten, und sprach sich damit im Gegensatz zu den Zürcher Stimmberechtigten, die 2011 ein ähnliches Anliegen gutgeheissen hatten, für eine gleichwertige Behandlung von Dialekt und Hochdeutsch im Vorschulalter aus. Während eine weitere Initiative dieser Art im Kanton Solothurn im Sammelstadium scheiterte, steht eine Volksabstimmung zur SD-Initiative „Ja zur Mundart im Kindergarten“ im Kanton Aargau noch aus. Mitte Jahr lancierte das Forum Helveticum ein Projekt zur Verbesserung der sprachkulturellen Verständigung. An einem ersten Treffen kamen Vertreter von Bildungsinstitutionen, Lehrerverbänden, Erziehungsdirektionen und der SRG zu Wort. Als angebracht empfanden die Teilnehmenden unter anderem eine verstärkte Aufklärungsarbeit in der lateinischen Schweiz zur Bedeutung der Mundart, da der geläufige Gebrauch der Dialektsprache dort nicht nur im wortwörtlichen Sinne auf Unverständnis stosse. Gleichzeitig soll in der Deutschschweiz die Funktion des Hochdeutschen als Instrument der nationalen Kohäsion betont werden [26].
Im September versammelten sich Lehrpersonen in Lugano zur ersten Tagung der Italienischlehrer. Sie befassten sich mit neuen Konzepten und Ideen zur Förderung der dritten Landessprache und bauten dabei auf den im Vorjahr unternommenen Bestrebungen zur Verbesserung des Stellenwerts der italienischen Sprache in der Schweiz auf. Der Kongress entstand unter anderem aufgrund der an den Gymnasien der Kantone St. Gallen und Obwalden geführten Diskussionen zur Abschaffung des Italienischen als Haupt- oder Schwerpunktfach. Die Streichung dieses Angebotes hatte sich allerdings nur in Obwalden durchgesetzt. Der Verband der Schweizer Italienischlehrer präsentierte an der Tagung die Forderung nach einem Sonderstatus des Italienischen an Schweizer Gymnasien: Jede Kantonsschule müsse den Unterricht in dieser lateinischen Sprache als Maturafach anbieten. Zur verstärkten Sensibilisierung schlug der Verband weitere Massnahmen wie eine Italo-Tessiner Woche an Deutschschweizer Schulen, Schüleraustauschprogramme und Weiterbildungskurse für die Lehrerschaft vor [27].
Weitere Vorschläge zu Erhalt und Stärkung des Italienischunterrichts an Mittelschulen präsentierte im November die im Vorjahr eingesetzte Arbeitsgruppe der Schweizerischen Maturitätskommission (SMK). Die Experten empfehlen den Kantonen unter anderem, Italienisch auf der Sekundarstufe II im Rahmen eines Ergänzungsfaches anzubieten, und die Mittelschulen allenfalls zu verpflichten, Italienisch in einem für das Maturzeugnis relevanten Gefäss anzubieten. Des Weiteren solle geprüft werden, wie der Bund zusätzliche Unterrichtsangebote in der dritten Landessprache finanziell unterstützen könnte. Der Bericht der SMK thematisiert weiter auch Vorschläge zur Stärkung des Italienischangebots im Schulunterricht der Sekundarstufe I [28].
Der Sprachunterricht nahm auch aus Anlass einer zum 50. Jahrestag des Schweizer Beitritts zum Europarat organisierten Tagung über die Minderheitensprachen einen zentralen Stellenwert ein. Über 20 nationale und internationale Experten versammelten sich am 9. Dezember im Berner Rathaus zum Austausch über die bedeutenden internationalen Übereinkommen – namentlich dem Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten sowie der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitssprachen – und über die Rechtslage in der Schweiz. In der zweiten Tageshälfte diskutierten Fachleute über die aktuelle und zukünftige Ausgestaltung des Schulunterrichts von Minderheitssprachen, wobei unter anderem sowohl Vertreter des Kantons Tessin wie auch Obwaldens, wo im letzteren Fall das Hauptfach Italienisch im Gymnasium aufgrund mangelnder Nachfrage kürzlich abgeschafft wurde, zu Wort kamen. In seiner viersprachigen Rede betonte Bundesrat Berset (sp) die Bedeutung der Mehrsprachigkeit zur Bewahrung der kulturellen Identitäten in der Schweiz, wobei er politische Einflussmöglichkeiten zum einen durch das neue Sprachgesetz, zum anderen aber auch durch die Ausgestaltung des Sprachenunterrichts an Schulen gegeben sah. Über die Tagung wurde mit vereinzelten Ausnahmen im Westschweizer und rätoromanischen Raum ausschliesslich in den italienischsprachigen Medien berichtet [29].
Ende 2012 hatte der Bundesrat einen Bericht über die Vertretung der Geschlechter und Sprachgruppen in ausserparlamentarischen Kommissionen veröffentlicht. Zur Förderung einer ausgewogenen Vertretung in diesen Gremien empfahl der Bundesrat verschiedene Massnahmen zur Beseitigung von Ungleichheiten, lehnte jedoch sowohl eine Aufweichung als auch eine Verschärfung der Vorgaben betreffend Repräsentation von Geschlechtern und Sprachgemeinschaften in den Kommissionen ausdrücklich ab. Ebendieser Bericht bewegte die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK-N) im aktuellen Jahr zur Einreichung eines Postulats, worin sie den Bundesrat aufforderte, den bestehenden Bericht mit einer aktiveren Strategie zu versehen. Um eine ausgeglichenere Vertretung zu erreichen, sollten zudem alle Kommissionen zur Umsetzung der vorgeschlagenen Massnahmen verpflichtet werden. Die SPK-N forderte zur Vollstreckung der Massnahmen eine entscheidende Rolle für den Delegierten für Mehrsprachigkeit und beauftragte den Bundesrat zu prüfen, ob nicht private Firmen mit der Rekrutierung von Frauen und Personen aus der lateinischen Schweiz betraut werden könnten. In seiner Antwort zum Vorstoss führte der Bundesrat aus, dass er die bereits verabschiedeten Massnahmen momentan als ausreichend erachte. Es sei der Evaluationsbericht der Gesamterneuerungswahlen 2015 abzuwarten, bevor weitere Massnahmen beschlossen werden sollten. Gremien, die bei den nächsten Wahlen keine ausgewogene Vertretung erreichen werden, werden angehalten, dem Bundesrat Bericht über die aufgrund des bundesrätlichen Berichts bereits getroffenen Massnahmen zu erstatten. In diesem Sinne beantragte er das Postulat zur Ablehnung. Die SPK gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und plädierte im Nationalrat weiterhin auf Annahme. Die Respektierung von Minderheiten sei von essenzieller Wichtigkeit für die Aufrechterhaltung der Solidarität zwischen den Sprachregionen in der Schweiz. Gegen diese Argumente kam auch Bundeskanzlerin Corina Casanova mit ihren Ausführungen nicht an. Der Nationalrat überwies das Postulat beinahe geschlossen mit 162 zu 5 abweichenden Stimmen aus der SVP [30].
Zur Mehrsprachigkeit in der Bundesverwaltung, siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
 
[23] SoS, 19.2.13; NZZ, 20.2.13; SoZ, 25.8.13; Lit. Valär.
[24] SoS, 6.4.13; NZZ, 9.4.13.
[25] SoS, 12.7. und 21.11.13; NZZ, 12.10.13; vgl. SPJ 2012, S. 348.
[26] LZ, 4.1. und 23.9.13; SOGL, 6.5.13; NZZ, 25.6.13. Zu den Diskussionen zum Zweitsprachenunterricht im Rahmen des Lehrplan 21, siehe oben, Teil I, 8a (Ecoles obligatoires).
[27] NZZ, 6.9.13; vgl. SPJ 2012, S. 348; Lit. SMK.
[28] Medienmitteilung BFI vom 5.11.13; vgl. SPJ 2012, S. 348.
[29] Medienmitteilung BAK vom 21.11. und 9.12.13; CdT, 9.12. und 10.12.13. Zur vollständigen Presseschau, siehe http://www.eda.admin.ch/minorites.
[30] Po. 13.3014: AB NR, 2013, S. 933 f.