Année politique Suisse 1966 : Infrastructure, aménagement, environnement / Energie
Wasserkraftwerke
Wenn der Bericht des Bundesrates nicht mit dem Bau weiterer Thermokraftwerke rechnete, so hielt er dagegen einen beschränkten Ausbau der Wasserkraftanlagen zur Überbrückung der Zeit bis zur Inbetriebnahme der ersten Atomkraftwerke, d. h. bis etwa 1970, für unentbehrlich. Die 1966 im Bau befindlichen Anlagen würden bis dahin sukzessive ihren Betrieb aufnehmen und vermöchten den steigenden Bedarf mehr oder weniger zu decken. Eine Inangriffnahme neuer Projekte erwartete der Bericht angesichts der allmählichen Erschöpfung der wirtschaftlichen Wasserkraftreserven sowie der steigenden Baukosten und Zinssätze nur in bescheidenem Ausmass. Auch der Bericht der Kommission Choisy rechnete damit, dass die Schätzungen über die Menge der noch ausbauwürdigen Wasserkräfte weitere Reduktionen erfahren würden. Eine Zunahme wurde namentlich für Pumpspeicheranlagen angenommen; diese dienen dazu, Überschussenergie der im Betrieb weniger elastischen Atom- und Thermokraftwerke durch Übertragung auf Pumpen in gespeicherte Wasserkraft umzuwandeln, die dann zur Deckung der Verbrauchsspitzen eingesetzt werden kann. Der Bau weiterer Laufkraftwerke wurde teils auf lokalen Energiebedarf zurückgeführt, teils auch durch beabsichtigte Nebenwirkungen begründet, wobei der Bundesrat nur von Überschwemmungs- und Naturschutz sprach, die Kommission Choisy dagegen auch von der Binnenschiffahrt. Eine wesentliche energiewirtschaftliche Bedeutung wurde dem Laufkraftwerk nicht zugemessen.
Dieser Beurteilung der Lage entsprach es, wenn einerseits neue Speicherkraftwerke zur Vollendung gelangten — darunter die umfangreichste Wasserkraftanlage der Schweiz, die Grande Dixence, die am 15. September eingeweiht wurde
[14] —, anderseits aber ein grösseres Laufkraftwerkprojekt am Rhein bei Koblenz (AG), an dem die NOK mit hälftiger Beteiligung der Badenwerk AG in Karlsruhe zu bauen begonnen hatten, auf Antrag des deutschen Partners aufgegeben wurde
[15]. An den beiden Aarekraftwerkprojekten Neu-Bannwil (BE) und Flumenthal (SO) hielten dagegen die interessierten Unternehmungen BKW und ATEL trotz Fortsetzung des namentlich von Naturschutzkreisen getragenen Widerstandes fest
[16]. Die solothurnische Regierung lehnte eine Aufhebung der Konzession für Flumenthal ab, was den Solothurnischen Naturschutzbund veranlasste, mit einer Wasserrechtsinitiative, wie sie im Kanton Bern zu einem teilweisen Erfolg geführt hatte, zu drohen
[17]. Die Unterstellung der Wassernutzungskonzessionen unter das Referendum wurde darüber hinaus zum Postulat für alle Kantone wie auch für den Bund erhoben
[18]. Der Präsident des Schweizerischen Bundes für Naturschutz, Nationalrat Bächtold (LdU, BE), erklärte jedoch im Herbst einen weiteren Kampf gegen die beiden mit der Juragewässerkorrektion zusammenhängenden Aarekraftwerke als aussichtslos und befürwortete eine Zusammenarbeit der Naturschutzorganisationen mit den Konzessionären, um auf die Gestaltung der Kraftwerklandschaft Einfluss zu gewinnen
[19]. Anderseits erneuerte der Naturschutzrat im Dezember die Forderung, dass keine neuen Wasserkraftwerke erstellt werden sollten
[20].
Eine solche grundsätzliche Ablehnung jedes weiteren Ausbaus der Wasserkraftnutzung stellte sich sowohl zur Auffassung des Bundesrates wie zur Haltung der Elektrizitätswirtschaft in Gegensatz. Der Bundesrat verlangte bei der Skizzierung seiner energiepolitischen Konzeption in seinem Bericht an erster Stelle einen niedrigen Preis für die Energieversorgung, an zweiter eine ausreichende und sichere Produktion im Interesse einer Wahrung der Unabhängigkeit des Landes und erst in dritter Linie den Schutz von Wasser, Luft und Landschaftsbild. Er begründete den direkten Sprung zur Atomenergie einerseits damit, dass Atomkraftwerke wirtschaftlicher seien als konventionelle Thermokraftwerke, und anderseits damit, dass die Versorgung mit Uran weniger auslandabhängig sei als diejenige mit Öl, weil jenes sich leichter transportieren und lagern lässt. Das Erfordernis der ausreichenden und sicheren Energieversorgung liess ihn aber zugleich an einem weiteren Ausbau der Wasserkräfte — unter Voraussetzung einer relativen Wirtschaftlichkeit wie auch einer gewissen Wahrung von Natur- und Gewässerschutzinteressen — festhalten. Von elektrizitätswirtschaftlicher Seite wurde entschieden vor einer allgemeinen Anti-Wasserkraft-Kampagne gewarnt, da eine solche die zunehmende Zurückhaltung des Publikums gegenüber Kraftwerkanleihen in gefährlicher Weise verstärken könnte
[21].
[14] Bund, 363, 17./18.9.66.
[15] NZ, 71, 12.2.66; 76, 15.2.66; NZZ, 1196, 18.3.66.
[16] NZZ, 1733, 20.4.66; 2016, 6.5.66; 2048, 9.5.66; NZ, 195, 29.4.66; 230, 22.5.66; Bund, 196, 23.5.66.
[17] NZZ, 2376, 29.5.66; NZ, 294, 29.6.66. Zur Berner Wasserrechtsinitiative vgl. SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 173 f.
[18] M. Byland in NZZ, 3526, 22.8.66.
[19] Schweizer Naturschutz, 32/1966, S. 117 ff.
[20] NZZ, 5518, 19.12.66.
[21] A. Winiger in NZZ, 2466, 4.6.66; als Ursache der Zurückhaltung gegenüber Kraftwerkanleihen wurden auch die Baukatastrophen von Mattmark am 30.8.1965 und von Robiei am 15.2.1966 angeführt.
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