Année politique Suisse 1966 : Politique sociale / Population et travail
Kollektive Arbeitsbeziehungen
Die Schweiz erfreute sich weiterhin eines so gut wie vollständigen Arbeitsfriedens
[8]. Die grösseren Auseinandersetzungen im Arbeitsverhältnis konnten nach teilweise langwierigen Verhandlungen friedlich beigelegt werden. Fast das ganze Jahr hindurch dauerte das Seilziehen im Baugewerbe, dessen Landesmantelvertrag Ende 1965 von den Gewerkschaften gekündigt worden war, da ihnen das Angebot einer Erhöhung der Stundenlöhne um 30-35 Rp. nicht genügte; die wirtschaftliche Bedeutung des Zwists veranlasste selbst Bundespräsident Schaffner zur Intervention. Am 9. November konnte ein neuer Vertrag abgeschlossen werden, der im wesentlichen Lohnerhöhungen von 30-40 Rp. pro Stunde, die Bildung einer dritten Lohnklasse zwischen Berufs- und Hilfsarbeitern, einen Ausbau des Schlichtungsund Schiedsverfahrens sowie eine auf 5 Jahre verlängerte Geltungsdauer brachte. Zudem wurden weitere Verhandlungen über paritätische Sozialeinrichtungen (Altersversicherung) und Berufsbildung sowie über eine Besserstellung der organisierten Arbeiter in Aussicht genommen. Mit materiellen Zugeständnissen erwirkte somit der Baumeisterverband eine vermehrte Stabilität, wobei zugleich eine stärkere Differenzierung der Arbeitnehmerschaft und eine Förderung der beruflichen Ausbildung zustande kam. Betont wurde auch eine neue Konzeption der Partnerschaft im Stil des Friedensabkommens der Metallindustrie. Die durch den Vertrag bedingte.Erhöhung der Baukosten wurde auf 2-5 % geschätzt
[9]. Eine Auseinandersetzung im Bankgewerbe drehte sich namentlich um den Vorbehalt der Banken, Reallohnerhöhungen nach der individuellen Leistung abzustufen; in der Grundsatzfrage gab schliesslich das Personal nach
[10].
Von Gewerkschaftsseite wurde verstärkt die Forderung nach besonderen Leistungen der Arbeitgeber zugunsten der organisierten Arbeiter erhoben. Am Kongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes bedauerte dessen Vizepräsident, Nationalrat E. Wüthrich, das Abseitsstehen grosser Teile der ausländischen wie auch der jüngeren einheimischen Arbeitnehmerschaft und betonte die Ordnungsfunktion der Gewerkschaften; aus dieser leitete er ein Interesse der Arbeitgeber an einer Förderung der gewerkschaftlichen Organisation ab, das sich in einer « Honorierung der gewerkschaftlichen Leistungen » äussern sollte. Wie vor ihm schon Prof. F. Marbach
[11] verglich er die von den Gewerkschaften verlangten materiellen Sonderzuwendungen mit Funktionszulagen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft
[12]. Die Forderung nach Sonderleistungen für die Organisierten wurde in die Hauptresolution des Kongresses aufgenommen
[13]. Ähnliche Beschlüsse fassten auch gewerkschaftliche Unterverbände
[14]. Demgegenüber empfahlen bürgerliche Kritiker, die Gewerkschaften durch Eigenleistungen materieller oder ideeller Art wieder attraktiver zu machen, wobei sie eine Unterstützung entsprechender Institutionen durch die Arbeitgeber befürworteten
[15].
[8] Durch zwei Streiks im Baugewerbe, an denen 38 Arbeiter beteiligt waren, wurden 62 Arbeitstage verloren (Die Volkswirtschaft, 40/1966, S. 9).
[9] NZZ, 5587, 30.12.65; 5599, 31.12.65; 33, 4.1.66; 4845, 11.11.66; 5182, 30.11.66; 5624, 29.12.66; PS, 264, 15.11.66; 296, 22.12.66; Bund, 499, 22.12.66. Zur Ratifikation durch die Verbände vgl. NZZ, 5372, 10.12.66; 5394 u. 5406, 12.12.66.
[10] Bund, 43, 1.2.66; 50, 5./6.2.66; TdG, 240, 14.10.66.
[11] Schweizerische Metall- und Uhrenarbeiter-Zeitung, 36, 7.9.66.
[12] Gewerkschaftliche Rundschau, 58/1966, S. 327 ff. Wüthrich erwähnte ausserdem das Beispiel der Firma Sulzer in Winterthur, deren Geschäftsleitung die Neueintretenden in einem Zirkular gemeinsam mit der Arbeiterkommission zum Anschluss an die Gewerkschaft einlade.
[13] Der französische Text spricht ausdrücklich von « prestations particulières » (PS, 240, 18.10.66), während in der deutschen Fassung formuliert wurde, dass die Ordnungsfunktion «besonders abgegolten» werden solle (Gewerkschaftliche Rundschau, 58/1966, S. 343).
[14] Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter (NZZ, 2487, 6.6.66), Gewerkschaft Textil-Chemie-Papier (NZZ, 4172, 3.10.66), Christlicher Holz- und Bauarbeiterverband (NZZ, 3834, 12.9.66) und Christlicher Metallarbeiterverband (NZZ, 3988, 21.9.66). Der Christlichnationale Gewerkschaftsbund hatte ein entsprechendes Postulat schon im Vorjahr in sein Aktionsprogramm aufgenommen (vgl. SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 200).
[15] NZ, 480, 17.10.66; NZZ, 4638, 29.10.66.
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