Année politique Suisse 1966 : Politique sociale / Population et travail
 
Arbeitszeit
Im Vordergrund stand 1966 dagegen die Frage der Arbeitszeit, wo sich ein Entscheid über die Forderung des Betriebspersonals des Bundes (SBB, PTT, Militär und Zoll) nach Einführung der 44-Stunden-Woche aufdrängte. Der Bundesrat beschloss im Februar, diesen Entscheid der Bundesversammlung zu überlassen und ihr ein stufenweises Vorgehen zu beantragen: Übergang von der 46- zur 45-Stunden-Woche beim Fahrplanwechsel im Mai 1967, Abbau der 45. Arbeitsstunde unter Berücksichtigung der Lage auf dem Arbeitsmarkt frühestens 1969; zur Anordnung dieses zweiten Schrittes sollte der Bundesrat ermächtigt werden [20]. In der im März veröffentlichten Botschaft stellte der Bundesrat in Abweichung von seiner Haltung bei der Arbeitszeitverkürzung von 1958 fest, dass ihm weder das Beamtengesetz noch das Arbeitszeitgesetz für die Verkehrsanstalten die Kompetenz zur Festsetzung der Arbeitszeit des Personals dieser Anstalten zuspreche. Er anerkannte mit Rücksicht auf die Verhältnisse in der Privatwirtschaft grundsätzlich die Berechtigung des Begehrens um Einführung der 44-Stunden-Woche, betonte aber die Schwierigkeiten für dessen Verwirklichung infolge der angespannten Lage bei den Finanzen von SBB und PTT sowie auf dem Arbeitsmarkt [21].
Der Beschluss des Bundesrates erregte bei den Personalverbänden, die den Übergang zur 44-Stunden-Woche für den Mai 1967 verlangten und sich dabei auf ein Angebot Bundesrat Spühlers vom November 1965 beriefen [22], heftige Opposition. Man sprach von einer Vertrauenskrise und drohte mit Gegenmassnahmen [23]; der Zentralvorstand der PTT-Union erwog verzögernde Arbeit nach Vorschrift sowie einen eintägigen Warnstreik [24]. Die Delegiertenversammlung des Föderativverbandes beschränkte sich freilich darauf, Kundgebungen, parlamentarische Anträge sowie eine Aufklärungskampagne anzukündigen [25]. Die PTT-Vereinigung, der die PTT-Union angeschlossen ist, begnügte sich in der Folge mit diesem Aktionsprogramm [26], das auch die Unterstützung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes erhielt [27]. Die christlichen Bundespersonalverbände organisierten ihrerseits Protestversammlungen [28], die sogar noch vor denjenigen des Föderativverbandes stattfanden; der Christlichnationale Gewerkschaftsbund gab eine Sympathieerklärung ab [29]. Etwas später erfolgte die kritische Reaktion der Gegenseite; der Zentralverband der schweizerischen Arbeitgeberorganisationen und die Schweizerische Handelskammer lehnten jede Arbeitszeitverkürzung für das Bundesbetriebspersonal unter Hinweis auf die Anspannung des Arbeitsmarktes und die Konjunkturdämpfungspolitik des Bundes ab [30].
Die parlamentarische Behandlung ergab einen Kompromiss zwischen dem Antrag des Bundesrates und den Forderungen der Personalverbände. Einerseits wurde die Befugnis zur Festsetzung der Arbeitszeit des Betriebspersonals dem Bundesrat zugewiesen, der diese Kompetenz in bezug auf das Verwaltungspersonal bereits besass. Anderseits machte aber das Parlament von der ihm vom Bundesrat zuerkannten Zuständigkeit noch einmal Gebrauch, indem es die Einführung der 44-Stunden-Woche auf Ende Mai 1968 anordnete; die Übergangsmodalitäten wurden damit dem Bundesrat überlassen [31]. Diese Lösung trat zunächst in einem unter zahlreichen Enthaltungen zustandegekommenen Mehrheitsantrag der Nationalratskommission zutage [32]. Sie setzte sich sodann im Nationalrat als Mittelweg zwischen dem namentlich von der BGB-Fraktion sekundierten Antrag des Bundesrates und den hauptsächlich von Sozialdemokraten und Christlichsozialen unterstützten Personalforderungen durch [33]. Der Ständerat, der anfänglich an der Hinausschiebung und Staffelung der Arbeitszeitverkürzung festzuhalten versuchte, gab bei der Differenzenbereinigung dem Nationalrat nach [34]. Das von Arbeitgeberseite nach der ersten Lesung im Nationalrat angedrohte Referendum [35] wurde nicht ergriffen.
Der Föderativverband wandte sich nun wieder an den Bundesrat, um von ihm mindestens die Gewährung der 45-Stunden-Woche auf Ende Mai 1967 zu erwirken; ausserdem verlangte er nach Möglichkeit die Einführung der Fünftagewoche bzw. die Freigabe ganzer Ausgleichstage. Der Bundesrat lehnte unter Berufung auf seine Konjunkturpolitik sowie auf die Stimmung in der Bevölkerung eine so frühzeitige Arbeitszeitreduktion ab, zeigte sich aber zu einer gewissen Staffelung bzw. Vorverschiebung bereit und verfügte eine solche nach Ablauf der Referendumsfrist im Januar 1967 [36].
Die durchgehende Fünftagewoche forderte auch das Verwaltungspersonal des Bundes, das noch jeden zweiten Samstag arbeitete; ausserdem wünschte es die Verkürzung der Mittagspause unter Einrichtung von subventionierten Verpflegungsstätten für das Personal [37], wie sie in Zürich nach Durchführung eines Versuchsjahres vom Gemeinderat für die Stadtverwaltung beschlossen wurde [38].
Ansprüche auf Verlängerung der Ferien wurden ebenfalls vom Bundespersonal erhoben. In einer Eingabe an den Bundesrat verlangte der Föderativverband die Einführung der dritten Ferienwoche für alle Arbeitnehmer des Bundes und begründete dieses Begehren mit Rekrutierungsschwierigkeiten, die namentlich im Gebiet von Kantonen mit einem gesetzlichen Mindestferienanspruch von drei Wochen beständen [39]. Für die Gewährung einer dritten Ferienwoche nach dem ersten Dienstjahr sowie einer vierten nach 20 Dienstjahren setzte sich der Christliche Chemie-Textil-Bekleidungs-Papier-Personalverband ein [40].
top
P.G.
 
[20] NZZ, 545, 9.2.66: 571, 10.2.66.
[21] BBl, 1966, I, S. 374 ff.
[22] Vgl. SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 198 f.; NZZ, 592, 11.2.66; BN, 78, 21.2.66; Tw, 60, 12./13.3.66. Nach der Darstellung des Föderativverbandes offerierte Bundesrat Spühler am 29.11.1965 die Einführung der 44-Stunden-Woche auf den Fahrplanwechsel 1967.
[23] Ostschw., 35, 11.2.66; Tw, 39, 16.2.66.
[24] NZZ, 622, 13.2.66.
[25] NZZ, 706, 18.2.66.
[26] Bund, 70, 19./20.2.66. Die Sektion Zürich-Post der PTT-Union behielt sich noch im März die Anwendung des Streiks als Kampfmittel vor (NZZ, 1006, 8.3.66).
[27] NZZ, 937, 4.3.66. Zu den Kundgebungen vgl. NZZ, 1228 u. 1234, 21.3.66; Tw, 67, 21.3.66: GdL, 67, 21.3.66; sie appellierten an die eidgenössischen Räte und an das Volk, sie möchten den Entscheid des Bundesrates korrigieren. Auch der Verband der Beamten und Angestellten der Eidgenössischen Zentralverwaltungen unterstützte den Föderativverband, warnte aber vor « unbedachten Aktionen » (NZZ, 632, 14.2.66).
[28] Erklärung des Vorstandes der Christlichen Bundespersonalverbände in Vat., 36, 12.2.66; zu den Kundgebungen vgl. Vat., 55, 7.3.66; Ostschw., 56, 8.3.66: NZZ, 1100, 14.3.66. Der Schweizerische Verband des Christlichen PTT-Personals distanzierte sich entschieden von der Streikdrohung (Bund, 70, 19./20.2.66).
[29] NZZ, 937, 4.3.66.
[30] NZZ, 1614, 14.4.66 (Zentralverband der Arbeitgeberorganisationen); 2386, 31.5.66 (Handelskammer). Beide Stellungnahmen machten geltend, dass die Hälfte der in der Wirtschaft tätigen Arbeiter noch 46 und mehr Stunden pro Woche beschäftigt sei.
[31] BBI, 1966, II, S. 458 f. Dem Verwaltungspersonal wurde die 44-Stunden-Woche schon 1958 zugestanden.
[32] NZZ, 2219, 20.5.66. Von 27 Kommissionsmitgliedern stimmten 9 dafür und 5 dagegen.
[33] Debatte vom 21./22.6.1966 (Sten. Bull. NR, 1966, S. 360 ff.).
[34] Behandlung im StR am 21.9. u. 4.10. (Sten. Bull. StR, 1966, S. 239 ff. u. 270), im NR am 29.9.1966 (Sten. Bull. NR, 1966, S. 559 ff.).
[35] Schweizerische Arbeitgeber-Zeitung, 61/1966, S. 519 f.
[36] NZZ, 5106, 25.11.66; 5173, 29.11.66; 374, 28.1.67. Am 27.1.1967 beschloss der Bundesrat für die PTT und einzelne weitere Betriebe den Übergang auf 44 Stunden in einem Schritt am 1.1.1968, für das übrige Personal (namentlich SBB) eine Staffelung: 45 Stunden ab August 1967, 44 Stunden Ende Mai 1968. Auch die Berücksichtigung der Begehren um Fünftagewoche und ganze Ausgleichstage wurde angeordnet. Am 30.10.1966 hatten die Briefboten in Zürich eine Kundgebung für ein verlängertes Wochenende abgehalten (NZZ, 4671, 31.10.66). Vgl. dazu die Diskussion um einen Leistungsabbau bei der PTT oben S. 87.
[37] Eingabe des Verbandes der Beamten und Angestellten der Eidg. Zentralverwaltungen an den Bundesrat (NZZ, 22, 3.1.66). Vgl. auch NZZ, 5090, 25.11.66.
[38] NZZ, 3944, 19.9.66; 3989, 21.9.66; 4951, 17.11.66. Dem Personal wurde dabei die Wahl zwischen ein- oder zweistündiger Mittagspause freigestellt.
[39] NZZ, 5106, 25.11.66; 5508, 19.12.66. Von der 16. Besoldungsklasse an abwärts haben die 20-24 jährigen Bundesbediensteten nur auf zwei Wochen Ferien Anspruch.
[40] Bis 1966 « Christlicher Textil- und Bekleidungsarbeiterverband » (Vat., 207, 7.9.66).