Année politique Suisse 1966 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Forschung
Im Bereich der
Forschungspolitik traten die Probleme der angewandten Forschung in den Vordergrund. Vor allem im Zusammenhang mit dem Reaktorbau, aber auch auf anderen Gebieten besteht seitens industrieller Kreise ein Bedürfnis nach dem Einsatz staatlicher Mittel für Forschungsarbeiten, die wirtschaftlich nutzbar sind. Der Bund hat bisher für angewandte Forschung nur in besonderen Fällen grössere Leistungen erbracht
[21]; der Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützt prinzipiell allein die Grundlagenforschung. Nachdem bereits 1965 Ständerat Choisy die Bildung einer Art « Nationalfonds für angewandte Forschung » vorgeschlagen hatte, zielten 1966 Anregungen weiterer Exponenten der Industrie in ähnlicher Richtung
[22]. Es wurde auch eine vermehrte Erteilung staatlicher Forschungsaufträge an die Industrie — auf den Gebieten der Militärtechnik, der Energieversorgung und des Verkehrs — gewünscht
[23]. Bundesrat Tschudi äusserte sich im Februar zugunsten einer staatlichen Förderung von Gemeinschaftsforschungen mehrerer Firmen oder ganzer Wirtschaftszweige, um ein Zurückbleiben der Klein- und Mittelbetriebe, die zu eigener Forschung nicht in der Lage sind, zu vermeiden
[24]. Einer Methode, die allen Unternehmungen einer Branche die staatliche Unterstützung zukommen liesse, zeigte sich auch der Vorort, der im übrigen vor einer Wettbewerbsverfälschung durch Forschungssubventionen warnte, nicht ganz abgeneigt; es kam in der Frage der industriellen Forschung zu Kontakten zwischen ihm und dem Wissenschaftsrat
[25]. Anderseits äusserten sich Repräsentanten führender Industrieunternehmungen skeptisch über jede Staatshilfe
[26].
Nicht nur aus der Industrie, sondern auch aus medizinischen Kreisen wurde das Begehren nach Subventionen für angewandte Forschung laut. Unter Berufung auf den Vorschlag Ständerat Choisys verlangte Prof. R. Mach, Direktor der Therapeutischen Klinik am Genfer Kantonsspital, dringend einen «Nationalfonds für die Gesundheit », da die Kantone lebenswichtige medizinische Forschungen nicht mehr zu finanzieren vermöchten
[27]. Ständerat Borel (rad., GE) reichte eine entsprechende Motion ein, die jedoch auf Wunsch Bundesrat Tschudis angesichts der Finanzlage bloss als Postulat überwiesen wurde
[28]. Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften arbeitete inzwischen mit Vertretern des Nationalfonds ein Projekt für einen interkantonalen Forschungsfonds aus
[29].
Die Frage einer staatlichen Förderung der angewandten Forschung ist ein Problem von internationalem Ausmass. Gegenüber den gewaltigen wissenschaftlichen Anstrengungen der USA und der Sowjetunion sehen sich die europäischen Staaten zur Zusammenarbeit veranlasst, wenn sie nicht wissenschaftlich — und in der Folge auch wirtschaftlich und politisch — ins Hintertreffen geraten wollen
[30]; einen besonderen Aspekt der eingetretenen Gewichtsverschiebung bildet die Auswanderung europäischer Wissenschafter nach den grosszügiger ausgestatteten amerikanischen Forschungsstätten
[31]. Bereits bestehen gemeinsame Organisationen und Unternehmungen einer kleineren oder grösseren Zahl europäischer Länder auf den Gebieten der Atomforschung, der Reaktorentwicklung, der Raumforschung sowie der Molekularbiologie; die Schweiz ist an den meisten von ihnen beteiligt
[32]. Bilaterale Kontakte zur Förderung wissenschaftlicher Zusammenarbeit wurden Ende 1965 mit Österreich aufgenommen
[33]. An einer Ministerkonferenz der OECD über Wissenschaftspolitik im Januar — und ähnlich beim zwanzigjährigen Jubiläum der UNESCO im November — hob Bundesrat Tschudi die Wünschbarkeit vermehrter internationaler Planung und Koordination auf wissenschaftlichem Gebiet hervor
[34]. Vor einem inländischen Forum betonte er jedoch auch, dass ein Kleinstaat einen grösseren Teil seines Sozialprodukts für die Forschung einsetzen müsse als eine Grossmacht
[35]. Als Präsident des Kultur- und Wissenschaftsausschusses der Beratenden Versammlung des Europarats versuchte Nationalrat Reverdin die EWG-Staaten zu einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit in der Wissenschaftspolitik, die vom Römer Vertrag offengelassen worden ist, zu veranlassen
[36].
Für den Schweizerischen Nationalfonds hatten die eidgenössischen Räte bei der Bewilligung erhöhter Beiträge im Jahre 1965 eine Reorganisation verlangt. Im Juni erstattete der Bundesrat über die eingeleiteten Massnahmen Bericht. Es wurde in erster Linie der Posten eines hauptamtlichen Generalsekretärs geschaffen, der für die gesamte administrative Geschäftsführung verantwortlich ist
[37]. Beide Räte nahmen vom Bericht zustimmend Kenntnis
[38].
[21] Vgl. SPJ 1965, in SJPW, 6/1966, S. 206, und oben S. 72 ff. Mit der Frage der Förderung der angewandten Forschung befasst sich ein besonderer Unterausschuss des Wissenschaftsrates (NZZ, 1048, 11.3.66).
[22] So befürwortete H. Wolfer, Vizepräsident der Gebr. Sulzer AG, die Verwendung des Nationalfonds auch zugunsten der angewandten Forschung, wobei die einzelnen Kredite von einem « Rat zur Förderung der angewandten Forschung» zu bewilligen wären, der parallel zum Forschungsrat, dem Organ für die Grundlagenforschung, dem Stiftungsrat des Nationalfonds unterstellt werden könnte; zugleich wünschte er die Aufnahme von Vertretern der Industrie in die Forschungskommissionen des Nationalfonds an den Hochschulen, um die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Hochschulen enger zu gestalten (NZZ, 1870, 28.4.66). F. Hummler, Präsident des Centre électronique horloger und der Schweizerischen Vereinigung für Weltraumtechnik, empfahl der Privatwirtschaft, sich so zu organisieren, dass sie dem Staat in der unumgänglichen Zusammenarbeit als gleichwertiger Partner gegenübertreten könne (GdL, 154, 5.7.66, Beilage « La Gazette technique »). Vgl. auch ANTON E. SCHRAFL, « Grundzüge einer schweizerischen Forschungspolitik », in Europa, 33/1966, 11, S. 23 ff.
[23] So von H. Wolfer in NZZ, 1870, 28.4.66.
[24] Vortrag vor der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft (NZZ, 579, 10.2.66).
[25] Bericht über Handel und Industrie der Schweiz im Jahre 1965 sowie Mitteilungen über die im Vereinsjahr 1965/66 vom Vorort behandelten Geschäfte, S. 60 f. u. 172 ff. Aus Anlass der Reaktorförderungsfrage setzte der Vorort Anfang 1966 eine « Arbeitsgruppe für Fragen der Forschungspolitik » ein, die sich mit dem Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft in der angewandten Forschung befasste. H. Wolfer, Mitglied dieser Arbeitsgruppe, empfahl deren Ausbau zu einer ständigen Institution, die der Wissenschaftsrat in Fragen der Forschungspolitik zu konsultieren hätte (NZZ, 1870, 28.4.66; vgl. auch oben, Anm. 22).
[26] So W. Boveri an der Generalversammlung von Brown, Boveri & Cie. (NZZ, 3072, 14.7.66) und E. Junod an der Generalversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für chemische Industrie (BN, 383, 9.9.66).
[28] NZZ, 5334, 8.12.66. P. Béguin regte ein Zusammenwirken von Bund, Kantonen und chemischer Industrie zur Finanzierung an (GdL, 168, 21.7.66, u. 180, 4.8.66).
[30] Vgl. NR O. Reverdin an der gemeinsamen Tagung der Beratenden Versammlung des Europarats und des EWG-Parlaments (NZZ, 4029, 24.9.66; vgl. auch oben S. 29) und in Europa, 33/1966, 11, S. 7 f.; ferner H. Thiemann, Generaldirektor des Battelle Memorial Institute in Genf, und O. Reverdin am Jahreskongress der Europa-Union (Europa, 33/1966, 12, S. 13 ff.) sowie StR Choisy in GdL, 154, 5.7.66, Beilage « La Gazette technique ».
[31] Nach einer Erklärung Prof. U. Hochstrassers, des Delegierten für Fragen der Atomenergie, wandern 22 % der Absolventen schweizerischer Hochschulen nach den USA ab (GdL, 101, 2.5.66).
[32] Neben dem CERN in Meyrin (GE), das der Grundlagenforschung in der Atomphysik dient, seien auf dem Gebiet der Reaktortechnik das OECD-Forschungs- und Versuchsprogramm in Halden (Norwegen) und das OECD-Entwicklungs- und Bauprojekt Dragon in Winfrith (Grossbritannien) erwähnt, zu deren weiterer Mitfinanzierung der Bundesrat um die Ermächtigung ersuchte, die erforderlichen Kredite jährlich in den Voranschlag aufzunehmen (BBl, 1966, II, S. 357 ff.; Zustimmung des StR in NZZ, 5320, 7.12.66). Vgl. auch Bericht des schweizerischen Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1965, S. 47 ff.; Europa, 33/1966, 11, S. 7 f. u. 20 f., und NZZ, 1048, 11.3.66.
[34] NZZ, 144, 13.1.66; 156, 14.1.66; 4722, 4.11.66; 5128, 27.11.66.
[35] Vor der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft (NZZ, 579, 10.2.66).
[36] An der Gemeinsamen Tagung von Europarat und EWG-Parlament schlug er vor, dass die von der EWG im Rahmen ihrer mittelfristigen Wirtschaftspolitik geschaffene Arbeitsgruppe für Wissenschaftspolitik, in deren Auftrag auch eine Zusammenarbeit mit andern Ländern vorgesehen ist, ihren Bericht erst nach Konsultation aller übrigen interessierten Staaten Europas vorlege (NZZ, 4029, 24.9.66).
[37] BBI, 1966, I, S. 951 ff. Der Posten wurde im Herbst durch M. Blumenstein besetzt (NZZ, 4161, 2.10.66).
[38] NZZ, 4077, 27.9.66 (NR); 5169, 29.11.66 (StR).
Copyright 2014 by Année politique suisse
Ce texte a été scanné à partir de la version papier et peut par conséquent contenir des erreurs.