Année politique Suisse 1968 : Partis, associations et groupes d'interêt
Partis
Les partis politiques renforcent leur caractère idéologique — Réorganisation du secrétariat général du Parti conservateur chrétien-social — Les radicaux adoptent une attitude d'expectative critique en politique étrangère — PAB : nouveau groupe de jeunes — Les démocrates zurichois envisagent la fusion avec les radicaux — Les socialistes sont partagés entre le pragmatisme du parti gouvernemental et une opposition de caractère idéologique — Victoire des dirigeants orthodoxes au sein du PdT — Activité expansionniste de l'Alliance des Indépendants qui lutte contre la démocratie de compromis.
 
Die eidgenössischen Wahlen, die 1967 das innere Leben der Parteien wesentlich geprägt hatten, beeinflussten dieses auch im vergangenen Jahre noch stark. Suchten doch sowohl die unterlegenen Regierungsparteien wie die siegreichen « Oppositionellen » aus ihren Misserfolgen oder Erfolgen gewisse Konsequenzen zu ziehen. Das äusserte sich nicht nur in Reorganisationsbestrebungen, z. B. bei den Konservativ-Christlichsozialen, sondern auch in programmatischen Debatten, am auffallendsten etwa bei den Sozialdemokraten. Das interne Gespräch in den verschiedenen Parteigremien, das noch zusätzlich durch die Diskussion der bundesrätlichen Richtlinien angeregt wurde, drehte sich demonstrativ um grundsätzliche Fragen, z. B. um das Verhältnis von Regierungs- und Oppositionspolitik und um Probleme der Zukunftsgestaltung. Man ist deshalb beinahe versucht, von einer Reideologisierung der schweizerischen Parteipolitik zu sprechen. Dass es so weit kam, ist freilich auch den ideologischen Neigungen der neuartigen jugendlichen Opposition zuzuschreiben, auf welche die Parteien Rücksicht zu nehmen hatten. Hatte man bisher den bei den Parteien vorherrschenden Pragmatismus beinahe als normal, ja als notwendig betrachtet, so erscholl nun allerseits der Ruf nach mehr Profil in der Parteipolitik. Das zeigte sich etwa in den parteimässig oft weit auseinandergehenden Stellungnahmen zu zentralen Fragen der Landespolitik, so zum Finanzprogramm, zur Ausgestaltung der Sozialversicherung und zur Aussenpolitik. Gerade in diesen Bereichen schieden sich die Geister mehr in links und rechts, als es die Konkordanzdemokratie hätte erwarten lassen.
 
Konservativ-Christlichsoziale Partei
Die deutlichsten Konsequenzen aus der Wahlniederlage von 1967 zogen, äusserlich gesehen, die Konservativ-Christlichsozialen. Ihr Zentralkomitee stellte seinen Jahresbericht unter das Motto «Der Ausgang der eidgenössischen Wahlen von 1967 — eine Herausforderung» [1]. In der Diskussion, die durch diesen Ruf eingeleitet wurde, fragte man eindringlich nach den Zukunftsaufgaben der Parteien in einem dynamischen Zeitalter und nach dem zu ihrer Lösung notwendigen neuen Instrumentarium. Prononcierte Vertreter der Partei setzten sich für die Institutionalisierung des Regierungsprogrammes und den Ausbau der Regierungsspitze zu einem wirksamen Leitungsorgan ein. « Dem Politiker, nicht dem Experten, liegt es ob, die Prioritäten zu setzen, die Wahl zwischen den möglichen Alternativen zu treffen, den politischen Entscheid zu fällen und ihn durchzusetzen» [2]. Gleichzeitig postulierte man die bundesrätliche Pflicht zu regelmässiger bundesrätlicher Berichterstattung am Ende einer Legislaturperiode [3]. Um die schweizerische Partei zur Erfüllung solcher Aufgaben besser zu befähigen, möchte man ihre Organisation straffen, die wirtschaftlichen Gruppen besser integrieren und der Gesamtpartei ein vermehrtes Mitspracherecht auf der Ebene der kantonalen Parteien einräumen [4]. Generell müssen die Parteien, so glaubt Nationalrat L. Schürmann, aufgewertet werden. Er verlangte darum in einer Motion in der Sommersession die gesetzliche Regelung des Partei- und Verbandswesens [5]. Am schweizerischen Parteitag in Chur (April), an dem der Luzerner Franz Josef Kurmann anstelle des Bündners Ettore Tenchio zum neuen Parteipräsidenten erkoren wurde [6], und an der Delegiertenversammlung in Olten (November), an der der langjährige Generalsekretär der Partei, Martin. Rosenberg, durch Urs Reinhardt aus Solothurn abgelöst wurde [7] spürte man den frischen Wind deutlich wehen. Nach der in Olten vorgenommenen Reorganisation des Parteisekretariates soll dieses hinfort aus drei Abteilungen bestehen, aus der administrativen Spitze, ferner aus je einer Abteilung Studien und Dokumentation sowie Information [8]. Wie sehr sich die Konservativen auf die Zukunft einstellen, zeigt die Bildung einer neuen Kommission, die sich mit prospektiven Studien abzugeben und neue Leitbilder zu entwerfen haben wird [9]. Davon zeugt weiterhin das neue Verständnis der Parteien, die etwa « als offene Studien- und Aktionsgemeinschaften zur politischen Weiterentwicklung des Landes » umschrieben werden [10]. Man ist überzeugt, durch solche Offenheit der Jugend den Anschluss an die ältere Generation zu erleichtern [11].
 
Freisinnige Partei
Auch der Freisinn setzte sich an seiner Delegiertenversammlung in Montreux im Mai mit den gegenüber den Bundesratsparteien erhobenen Vorwürfen auseinander. Der Fraktionspräsident, Nationalrat A. Weber (UR), wünschte seiner Partei mehr Profil. Nach den Worten des Generalsekretärs H.-R. Leuenberger sollte das Image der Partei durch eine klare politische Haltung und durch eine zukunftsorientierte Programmatik verbessert werden. Der Reformantrieb manifestierte sich insbesondere im Willen, konstruktive Mitarbeit bei der Totalrevision der Bundesverfassung zu leisten. Richard Reich, der Präsident der für die Totalrevision eingesetzten Kommission, unterstrich die Notwendigkeit einer eidgenössischen Auslegeordnung [12]. Von allen schweizerischen Parteien befasste sich die freisinnige Parteimiliz wohl am intensivsten mit dieser Frage. Verschiedene kantonale Parteien widmeten der Totalrevision besondere Tagungen [13]. Bemerkenswert war vor allem der Versuch, die Parteimitglieder durch Beantwortung von Fragebogen zu aktivieren [14]. Zeigten die meisten Antworten im allgemeinen eine deutliche Zurückhaltung, so lassen sich doch auch einige recht progressive Vorschläge registrieren. Wir denken dabei auch an die Gruppe der Genfer Jeunes radicaux, die in einer zur Feier ihres 50. Geburtstags herausgegebenen Broschüre die Partei aufmunterte, « de retrouver l'intransigeance de ses origines et, du même coup, son audience » [15]. Als Entgegenkommen gegenüber den Jungen darf wohl auch die Wahl des jugendlichen, erst 42jährigen Genfer Staatsrates Henri Schmitt zum neuen Parteipräsidenten gewertet werden.
In den Verhandlungen der Delegiertenversammlung, die dem Thema der schweizerischen Aussenpolitik gewidmet waren, zeigte sich der Freisinn allerdings mehr von seiner konservativen Seite. Seine Abgeordneten wurden mit dem Beitritt der Schweiz zur UNO (Nationalrat Freymond), zur EWG (Botschafter Jolies) und der Aktivierung des aussenpolitischen Bewusstseins konfrontiert. Die abschliessende Resolution war grossenteils auf Bewahren und Abwarten abgestimmt, ähnlich wie die Jahresberichte, die « diskussionslos und oppositionslos genehmigt wurden» [16]. Das veranlasste den Berichterstatter der «Feuille d'Avis de Lausanne » zur folgenden scharfen Bemerkung: «Entre habitués des hémicycles on cultivait de fraternelles généralités, . . . que les profanes de la politique ne comprennent fout simplement pas. L'étonnant au moment où craquent tant de charpentes, c'est la paix totale qui baigne le » sommet « de notre plus grande formation politique» [17].
 
Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei
Eine ähnliche Ruhe zeichnete auch die Jubiläumsfeierlichkeiten der beiden kantonalen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerparteien von Bern und Schaffhausen aus, die 1968 ihren 50. Geburtstag begehen konnten. Da die schweizerische Partei im vergangenen Jahr keinen Parteitag durchführte, so dürfen die beiden Veranstaltungen als symptomatisch für das Klima dieser Partei gelten. Professor K. Guggisberg, neben Bundesrat Gnägi Hauptredner der Berner Feier, betonte, die geistigen Grundlagen der BGB, die er in das Begriffspaar Mass und Mitte zusammenfasste, seien heute ebenso modern und aktuell wie vor 50 Jahren [18]. Die von Beat Junker und Rudolf Maurer verfasste Festschrift fällt dagegen durch ihre kritische historische Haltung auf, übrigens ein Hinweis darauf, dass die Partei den beiden Autoren, die ihr nicht angehören, ganz freie Hand liess [19]. Die Schaffhauser Erinnerungsfeier, an der ebenfalls Bundesrat Gnägi als Referent mitwirkte, fand am 29. April statt [20]. Ähnlich wie der bundesrätliche Redner hoben bei anderer Gelegenheit auch die Parteistützen hervor, dass eine Regierungspartei durch ihre Beteiligung am Bundesrat einen Teil ihrer Freiheit preisgebe und sich auf die bundesrätlichen Richtlinien recht eigentlich verpflichten lassen müsse [21]. Freilich wurde dabei die bundesrätliche Meinung unterstützt, dass die benachteiligte Stellung der Parteien gegenüber den Verbänden « unbedingt der Korrektur bedarf » [22]. Im übrigen bemühte sich auch die BGB, den erwachenden Eifer der jungen Garde für die Partei fruchtbar zu machen. Anfang Mai beschloss die Delegiertenversammlung der BGB-Fraktion der schweizerischen Jugendparlamente die Umwandlung der bestehenden Organisation in eine « Jugendfraktion der schweizerischen BGB » [23]. Eine von dieser bald darauf beantragte Volksinitiative, die in der Form der allgemeinen Anregung durch Neufassung der Artikel 27 und 27bis der Bundesverfassung für bessere Schulkoordination sorgen möchte, wurde vom Zentralvorstand unterstützt [24]. Damit dokumentierte dieser auch nach aussen, dass er der Jugend vermehrtes Mitbestimmungsrecht innerhalb der Partei geben will.
 
Liberale Partei
Auch bei den Liberaldemokraten machte sich die Tendenz bemerkbar, die Ansichten der Parteijugend vermehrt zur Geltung kommen zu lassen. Vorbereitet durch ein Seminar der jungen Liberalen von Basel und Genf [25], war der liberale Herbstkongress dem Thema der Totalrevision der Bundesverfassung gewidmet. Die Richtlinien, die hier für die Neuordnung unseres Staates entworfen wurden, erstaunen einesteils durch ihre Kühnheit (Ersetzung des Ständerates durch einen Rat der Regionen, Festlegung der sozialen Menschenrechte in der Verfassung). Andernteils bewegen sie sich ganz im Rahmen der liberalen Tradition (Verstärkung des Schutzes für die individuellen Freiheitsrechte, Allgemeinverbindlicherklärung von wirtschaftlichen Abkommen auf privatrechtlicher Basis, eine Wiederaufnahme der korporativistischen Tradition der dreissiger Jahre) [26]. Lehnten die Liberaldemokraten an ihrem Frühjahrskongress in Basel jede politische Aktion gegen die sog. Überfremdung entschieden ab [27], beschloss die politisch ganz anders gelagerte neu entstandene Rechtsgruppe der « Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat », eine neue Volksinitiative gegen die Überfremdung zu lancieren [28]. Dass der besondere politische Rechtstrend, der sich in solchen Unternehmungen manifestiert, gegenwärtig nicht nur in Genf (Vigilants!), sondern auch in gewissen Zentren der deutschen Schweiz einen günstigen Nährboden besitzt [29], beweist neben der Wahl zweier Parteivertreter in den Basler Grossen Rat [30] vor allem das rasche Mitgliederwachstum der neuen Rechtspartei. Die « Aktion » besitzt heute bereits 4500 zahlende Mitglieder, wovon 2900 im Kanton Zürich wohnhaft sind [31].
 
Demokratische Partei
Die seinerzeit von den Demokraten veranlasste Überfremdungsinitiative scheint eine entgegengesetzte Wirkung ausgeübt zu haben. Die Zürcher Demokraten sahen sich in der Hoffnung getäuscht, durch ihren Vorstoss den zunehmenden Wählerrückgang aufzuhalten und mussten sich deshalb die Existenzfrage stellen. Und dies gerade in einem Zeitpunkt, da sie sich anschicken wollten, den 100. Geburtstag ihres seinerzeit glorreichen Eintritts in die Zürcher Politik zu feiern. Dem Parteitag der Zürcher Demokraten vom Juni 1968 wurden von der Parteileitung drei Fragen unterbreitet: Auflösung der Partei, Fusion mit einer andern Kantonalpartei unter Beibehaltung autonomer Orts- und Bezirkssektionen, oder Weiterbestehen einer zeitgemäss reorganisierten Partei [32]. Der Parteitag beschloss, die organisatorische Selbständigkeit vorläufig zu wahren, aber in Fusionsverhandlungen mit dem Zürcher Freisinn zu treten [33]. Als weitere Variante wurde eine gemeinsame Dachorganisation mit BGB und Freisinn erwogen [34]. Die Bevorzugung des Freisinns wurde in der Folge durch gemeinsame Sitzungen beider Kantonsratsfraktionen unterstrichen [35]. Die gesamtschweizerische Demokratische Partei, die sich ausser auf die Zürcher vor allem noch auf die Glarner und Bündner Demokraten stützt, verhält sich vorläufig abwartend [36]. Die Bündner denken übrigens keineswegs an eine Preisgabe ihrer Partei, obschon auch sie zeitweise enger mit den Freisinnigen zusammenarbeiteten [37]. Sie betonten die Absicht, bei nächster Gelegenheit das seinerzeit verloren gegangene zweite Regierungsratsmandat zurückzuerobern [38].
 
Sozialdemokratische Partei
Droht heute nicht auch der Sozialdemokratie eine ähnliche Gefahr wie den einstmals mächtigen Demokraten, die seinerzeit durch den gleichzeitig geführten Wettkampf mit Freisinn und Sozialdemokraten dezimiert und vielerorts sogar aufgerieben worden sind? Steht nicht auch ihr, infolge der Konkurrenz des Landesrings und der heftigen Angriffe einer neuen, radikalen Linken, ein ähnlicher Zweifrontenkrieg nach aussen und Zersplitterung im Innern bevor? Tatsächlich verschärften sich im abgelaufenen Jahr in dieser Partei die Spannungen zwischen einem mehr evolutionären, auf eine pragmatische Politik eingestellten rechten und einem mehr ideologisch operierenden, oppositionellen linken Flügel. Solche Spannungen waren 1966 und 1967 zunächst nur in der Bieler Sektion zum Austrag gekommen, hatten sich aber hernach auch in der Zürcher Kantonalpartei gleicheinem Wetterleuchten kommender Stürme angemeldet [39]. René Meylan, der Direktor des sozialistischen Parteiorgans « Le Peuple / La Sentinelle », widmete diesem Zwiespalt, der ausserdem im Berner Jura [40], im Tessin [41], im Wallis [42] und in verschiedenen welschschweizerischen Sektionen in mehr oder weniger offenen Zwist übergegangen war [43], eine sehr instruktive Artikelfolge [44]. Er versuchte darin der Doppelfunktion der Sozialdemokratie als Oppositions- und Regierungspartei gerecht zu werden und leitete daraus ihre Pflicht des permanenten inneren Ausgleichs mit Blick auf das sozialistische Fernziel ab. Am instruktivsten für die Ausbalancierung dieser inneren Schwierigkeiten war 1968 das Geschehen in der Zürcher Partei. An einem ausserordentlichen Parteitag in Uster im Januar erfolgte zunächst die Abrechnung mit der pragmatischen « Links der Mitte »-Politik des Parteisekretärs U. Götsch. Es wurde ihr gegenüber geltend gemacht, die SP müsse als Gesinnungspartei mehr sein als ein « besserer Landesring » [45]. Eine zur Standortsbestimmung eingesetzte Kommission legte dem im November in Horgen stattfindenden ordentlichen Parteitag ein neues Programm der « radikalen Demokratie » vor, das den bisherigen Pragmatismus verabschiedet. Nach dem Referat des eigentlichen Spiritus rector dieser Neuorientierung, Fritz Heeb, soll die Zürcher Sozialdemokratie, um ihr verlorengegangenes Profil wiederzugewinnen, hinfort eine Politik der « offensiven gesellschaftlichen Veränderungen » betreiben. Ihr Ziel sei es, den heutigen Menschen von der Manipulation durch anonyme Mächte zu befreien, handle es sich nun um die Beseitigung einer wirtschaftlichen Oligarchie, welche die Demokratie aushöhle, oder um die Schaffung einer neuen, radikalen Hochschule, die als Modell einer radikalen Demokratie zu betrachten sei [46]. Mit diesen offensichtlichen Anleihen bei der « Neuen Linken » und der daraus folgenden Reideologisierung der Politik hofft man, das Vertrauen der rebellischen Jugend neu zu gewinnen [47]. Man verband mit dieser Linksschwenkung eine personelle Erneuerung der Parteispitze [48].
Dass der Widerspruch zwischen dem sog. « Partei-Establishment » und den oppositionellen Kreisen durch programmatische Aktionen und personelle Veränderungen nicht so ohne weiteres aus der Welt geschafft werden kann, bewies indessen der Parteitag der schweizerischen Partei in Basel vom 15./16. Juni, von dessen Verlauf die Schlagzeile « pression d'une » base « dynamique sur le comité directeur du parti » noch verhältnismässig zurückhaltend Zeugnis ablegt [49]. Dem Kongress lagen gegen 90 Anträge von Sektionen vor, darunter sehr radikale, von denen freilich extreme (z.B der Antrag, einen Teil der Militärkredite für die Entwicklungshilfe zu verwenden) abgelehnt wurden. Die Parteileitung sah sich dabei verschiedentlich in Minderheit versetzt. Das Hauptresultat lässt sich kurz dahin zusammenfassen, dass die Partei verpflichtet wurde, zwei Volksbegehren in die Wege zu leiten. Das eine, das auch die Unterstützung des Vorstandes fand, soll ein umfassendes System der sozialen Sicherheit begründen, in dem die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) in eine Volkspension umzugestalten wäre (mit Renten von 60 Prozent des früheren Einkommens), in dem aber auch die Versicherung gegen Krankheit und Unfall zentral und obligatorisch zu ordnen wäre [50]. Das zweite, das mit 196 gegen 139 Stimmen gegen die Parteileitung durchgesetzt wurde, sieht die Umwandlung der Wehrsteuer in eine allgemeine Bundessteuer mit Entlastung der unteren Einkommensklassen und scharfer Progression vor [51].
 
Partei der Arbeit
Auch die Partei der Arbeit blieb von inneren Auseinandersetzungen zwischen einer radikalen Linksopposition und der Parteispitze nicht verschont [52]. Sie nahmen während der tschechoslowakischen Krise zusehends an Heftigkeit zu [53]. Denn die leitenden Instanzen, die vorher nur auf Druck von unten veranlasst worden waren [54], den tschechischen Reformkommunismus positiv zu bewerten, befanden sich nun im Dilemma zwischen der Parteitreue gegenüber der Sowjetunion und der Verurteilung des von der inneren Opposition als imperialistisch bezeichneten sowjetischen Vorgehens. Sie vermochte dieses Dilemma nur durch geschicktes taktisches Lavieren zu überwinden [55]. Im Vorfeld des 9. Parteitages mussten diese Zerwürfnisse ein besonderes Gewicht erhalten. Hatten doch die beiden Parteiorgane im Frühjahr eine «Einleitung zur Parteidiskussion » publiziert, in der die Mitglieder eingeladen worden waren, sich über die Rolle der Partei, auch über die Mittel und Methoden ihrer Tätigkeit, zu äussern [56]. Gleichzeitig wurden im Sommer Entwürfe zu einem neuen Parteiprogramm und neuen Statuten veröffentlicht; beide unterschieden sich freilich nur wenig von ihren Vorgängern [57]. Der Parteitag, der Anfang November unter Anwesenheit von 113 stimmberechtigten Delegierten stattfand, endete mit dem vollkommenen Sieg der Orthodoxen. An die Spitze trat ein Triumvirat von Vincent, Muret und Lechleiter; das Generalsekretariat wurde aufgehoben. Die Opposition wurde zwar nicht ausgebootet — so misslang der Versuch, die Jugendsektionen aufzulösen, — aber an den Rand gedrängt [58]. Diese Niederlage war für die Jungen um so bitterer, als sich die prochinesischen Parteien, die « Schweizerische Volkspartei» (früher KPS) und die «Organisation der Kommunisten der Schweiz » (OKS), in denen sie allenfalls hätten Unterschlupf finden können, momentan in einem Zustand der Desorganisation, ja zum Teil der geistigen Desorientierung befinden [59].
 
Landesring der Unabhängigen
Einzig der Landesring konnte sich im vergangenen Jahre offenherzig als Oppositionspartei betätigen. Auch er tat dies freilich gleichsam « systemkonform », wie ein am ordentlichen Landestag im März durchgeführtes Forumgespräch über Opposition und Regierung ergab. Man könne, bemerkte der Zürcher S. Widmer, nicht gleichzeitig den Stadtpräsidenten stellen und bei jeder Gelegenheit auch noch Opposition machen [60]. Nationalrat W. Allgöwer aus Basel fasste die Beteiligung einer Oppositionspartei an Regierungsratswahlen als Ideenwettbewerb auf, wogegen Nationalrat W. Biel aus Zürich die Opposition des Landesrings mehr von der grundsätzlichen Seite her verstanden wissen wollte, gleichsam parallel laufend zum Konkurrenzprinzip der Migros in der Wirtschaft. Ihr Ziel müsse es sein, die gegenwärtige schweizerische Kompromissdemokratie in Frage zu stellen [61]. Im Hinblick auf diese Aufgabe stiess der Landesring auch in ihm bisher verschlossene Kantone vor. So wurden 1968 in den Kantonen Genf, Neuenburg, Solothurn und Graubünden Standesringe gegründet [62].
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E.G.
 
[1] Vat., 18, 22.1.68.
[2] Vat., 141, 19.6.68; Ostschw., 144, 22.6.68.
[3] NZZ, 251, 24.4.68.
[4] Vat., 18, 22.1.68.
[5] Ostschw., 133, 8.6.68; Verhandl. B.vers., 1968, 11, S. 33.
[6] Vat., 100, 9.4.68; 107, 7.5.68; Ostschw., 100, 29.4.68; 102, 1.5.68; Lib., 99, 29.4.68; NZZ, 261, 29.4.68.
[7] Vat., 275, 25.11.68; Lib., 47, 25.11.68; 50, 28.11.68; Ostschw., 273, 25.11.68; NZZ, 728, 25.11.68; NZ, 546, 25.11.68.
[8] Diese Abteilungen unterstehen A. Hartmann und R. Helfenberger.
[9] Als erste Früchte solcher Bemühungen sind etwa die Studien von L. Schürmann über prospektives Denken in der Politik, von Richard Schwertfeger über Zukunftsperspektiven der Schweizer Wirtschaft (Civitas, 24/1968-69, S. 358 ff.) und ein Aufsatz von R. Schnyder von Wartensee über prospektive Haltung (Civitas, 24/1968-69, S. 5 ff.) zu erwähnen.
[10] Vat., 275, 25.11.68.
[11] Man vergleiche etwa das ebenda zitierte Bekenntnis des neuen Parteipräsidenten, wonach « politische Macht nicht mehr auf dem Boden der alten Gehorsamsdisziplin, sondern nur mehr auf dem Boden fundierter Argumente, sachlicher Überzeugungen und ausgewiesener Leistung» beruhen müsse; vgl. die vom Generalsekretariat herausgegebene Dokumentation zur Delegiertenversammlung « Neue Zeit — Neue Aufgaben ».
[12] NZZ, 318, 27.5.68; 332, 31.5.68; NZ, 239, 7.5.68; TdL, 147, 26.5.68; TdG, 123, 27.5.68.
[13] NZZ, 733, 26.11.68; NZ, 547, 25.11.68 (Aargau); TdL, 331, 26.11.68; GdL, 282, 2.12.68 (Waadt); NZZ, 616, 7.10.68 (Zürich); 614, 4.10.68 (St. Gallen).
[14] Vgl. Umfrage der Zürcher (NZZ, 629, 11.I 1.68) und der Waadtländer (TdL, 331, 26.11.68).
[15] Jeunesse radicale progressiste, Genève 1918-1968, Manifeste de la jeunesse radicale progressiste..., Novembre 1968, S. 17; vgl. PS, 277, 30.11.68; NZ, 594, 23.12.68.
[16] NZZ, 238, 27.5.68.
[17] Feuille d'avis de Lausanne, 122, 27.5.68.
[18] NBZ, 252, 18.10.68.
[19] BEAT JUNKER/RUDOLF MAURER, Kampf und Verantwortung, Bernische BGB 1918-1968, Bern 1968.
[20] Klettgauer Zeitung, 64 ff. von Ende April 1968, mit kurzer Parteigeschichte.
[21] NBZ, 141, 19.6.68. Vgl. oben, S. 10.
[22] Ebenda.
[23] NBZ, 125, 30.5.68.
[24] NBZ, 171, 2.7.68; NZZ, 765, 10.12.68. Vgl. oben, S. 128.
[25] BN, 238, 11.6.68.
[26] GdL, 248, 23.10.68; 252, 28.10.68; BN, 453, 28.10.68; NZZ, 665, 28.10.68; Liberal-demokratische Union der Schweiz, Mitteilungsblatt, 1968, Nr. 31.
[27] Mitteilungsblatt, 1968, Nr. 29; GdL, 47, 26.2.68; NZZ, 26.2.68.
[28] NZZ, 319, 29.5.68. Im Gegensatz zum früheren, von den Demokraten eingeleiteten Volksbegehren gegen Überfremdung enthalten die Unterschriftenbogen einen ausdrücklichen Verzicht auf eine Rückzugsklausel. Vgl. oben, S. 105.
[29] Bezeichnenderweise stehen heute in beiden Bewegungen Leute an der Spitze, die sich schon in den dreissiger und vierziger Jahren auf der damaligen Rechten befunden hatten. Präsident der Genfer Vigilants ist nunmehr Mario Soldini, 1935 engster Mitarbeiter des Faschisten G. Oltramare. Bei der «Aktion» wechselte das Präsidium von Eduard Perret zu Nationalrat James Schwarzenbach. Vgl. TdG, 182, 5.8.68; NZZ, 319, 27.5.68; SPJ, 1967, S. 23.
[30] Vgl. oben, S. 29.
[31] NZZ, 379, 24.6.68.
[32] Lb, 145, 24.6.68; NZ, 279, 20.6.68; Vat., 145, 24.6.68; Vr, 71, 25.3.68.
[33] Lb, 151, 1.7.68; NZZ, 387, 26.6.68.
[34] NZZ, 363, 17.6.68; Tat, 147, 25.6.68.
[35] Lb, 162, 13.7.68.
[36] NZZ, 92, 12.2.68.
[37] NBüZ, 38, 12.2.68.
[38] NBüZ, 62, 11.3.68. Der Versuch der Zurückeroberung fand bereits im Februar 1969 statt, und zwar im Wettkampf gegen die Freisinnigen, vgl. NZZ, 88, 10.2.69; NBüZ, 40 ff., Februar 1969.
[39] SPJ, 1966, S. 146 f.; 1967, S. 152 f.
[40] Z. B. Spaltung der Sektion Delémont im Zusammenhang mit dem Separatismus, kantonales Volksbegehren der jurassischen Sozialdemokraten für die Einführung von drei Wochen Ferien gegen die bernische Parteileitung; Bund, 12, 14.1.68; 14, 18.1.68; GdL, 300, 23.12.68; NBZ, 13, 17.1.68; NZ, 29, 18.1.68; TdG, 15, 18.1.68.
[41] PS, 9, 12.1.68.
[42] Beilegung des Walliser Konflikts: PS, 283, 7.12.68.
[43] Der Neuenburger Parteikongress vom Oktober wahrte die Einheit der Partei auf Grund eines antikapitalistischen Programmes, aber mit deutlicher Grenzziehung gegenüber der PdA (PS, 236, 14.10.68). Der Waadtländer Parteikongress erkor unter fünf Anwärtern für den Regierungsrat den jüngsten, Pierre Aubert (TdL, 330, 25.11.68).
[44] PS, 9, 12, 15, 18, 21, 29, 33, 12.1.-9.2.68.
[45] Vr, 23, 29.1.68; Profil, 1968, S. 1 ff.; 1969, S. 4; NZZ, 81, 6.2.68; BN, 52, 3./4.2.68.
[46] Vr, 277, 25.11.68.
[47] Zur Beurteilung NZZ, 765, 10.12.68; Weltwoche, 1829, 29.11.68; NZ, 581, 15.12.68 (Abschied vom Godesberger Programm). In seinem Artikel « Die Sozialdemokratische Partei des Kantons Zürich unterwegs» versteht R. Lienhard den Begriff « radikale Demokratie » als Gegenbegriff gegen den « Pseudoradikalismus der jungen Linken » (Profil, 1969, S. 1 ff.).
[48] Rücktritt von Parteisekretär U. Götsch; Wahl eines Dreierpräsidiums, bestehend aus Kantonsratspräsident Hans Storrer, Fritz Heeb und Theo Keller, Winterthur.
[49] TdG, 140, 17.6.68; weit affektvoller BN, 248, 17.6.68 u. 252, 19.6.68 (Die Sozialdemokraten wollen sozialistischer werden, Der Kongress tanzte links rückwärts); NZZ, 371, 19.6.68 (Flucht nach vorne); Vat., 142, 17.6.68 (Parteitag der inneren Zerrissenheit und der utopischen Politik). Selbst ein zurückhaltender Beurteiler wie Max Weber gestand, dass dieser Parteitag «wahrscheinlich der heftigste war» seit der Zeit, « da es um die Frage der Landesverteidigung und um die Beteiligung am Bundesrat ging » (Tw, 141, 19.6.68).
[50] Vgl. oben, S. 110 f. u. 114.
[51] Vgl. oben, S. 68; zu den Formulierungen Vr, 139, 17.6.68; Tw, 139, 17.6.68; PS, 136, 17.6.68; NZ, 270, 15.6.68; 271, 16.6.68; 273, 17.6.68.
[52] Sie deuteten sich schon im Mai an, als der PdA-Kantonsrat F. Rueb vom Parteichef Vincent wegen seiner Mao- und Marcuse-treuen Linie gerüffelt wurde; VO, 107, 10.5.68; 114, 18.5.68; 115, 19.5.68; NZZ, 316, 24.5.68.
[53] « Rebellion bei den Kommunisten » (NZZ, 574, 18.9.68).
[54] VO, 76, 30.3.68; 86, 11.4.68; 93, 23.4.68; NZZ, 213, 4.4.68.
[55] VO, 193, 21.8.68; 197, 26.8.68; 200, 29.8.68; « Die Partei der Arbeit und die Ereignisse in der CSSR », Berner Vorwärts, September 1968; NZZ, 515, 22.8.68; 524, 26.8.68.
[56] VO, 93, 23.4.68; Vorwärts, 19, 9.5.68; Ostschw., 180, 5.8.68.
[57] VO, 148, 29.6.68; Vorwärts, 31, 1.8.68; 32, 8.8.68.
[58] VO, 256, 4.11.68; 257, 5.11.68; Vorwärts, 45, 7.11.68; 46,14.11.68; NZZ, 707, 4.11.68; 731, 15.11.68; NZ, 511, 4.11.68; 523, 11.11.68; TdL, 309, 4.11.68; GdL, 258, 4.11.68; Vr, 270, 16. 11.68.
[59] SPJ, 1967, S. 154. Die Etincelle erschien während acht Monaten überhaupt nicht und schlug in den Ende 1968 veröffentlichten Nummern (Nrn 31 ff.) antisemitische Töne an, unterstützte die Überfremdungsinitiative und empfahl, die rebellischen Studenten in Arbeitslager zu stecken. Der Octobre (Nrn 26 ff.) dagegen sekundierte jene und polemisierte gegen die PdA.
[60] Tat, 77, 1.4.68.
[61] Rede W. Biels bei den Baselbieter Freisinnigen (NZ, 563, 4.12.68).
[62] Tat, 40, 17.2.68; NZ, 565, 5.12.68 (Genf); GdL, 17, 22.1.68; Bund, 225, 25.9.68 (Neuenburg); NZZ, 217, 5.4.68; NZ, 174, 16.4.68 (Solothurn); NZZ, 217, 5.4.68 (Graubünden).
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