Année politique Suisse 1968 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt
Arbeitnehmer
Auf der Seite der Arbeitnehmerorganisationen hatten die beiden grössten gewerkschaftlichen Spitzenverbände erneut einen Mitgliederrückgang zu beklagen
[24]. Es drückt sich hierin vor allem die zunehmende Abwanderung von Arbeitskräften aus dem zweiten in den dritten Sektor aus
[25]. Die Gewerkschaften versuchten, diese Beeinträchtigung mit verschiedenen Mitteln zu kompensieren. Als naheliegendste Massnahme empfahlen einzelne, die Nichtorganisierten zu Ersatzleistungen oder, mehr oder weniger versteckt, indirekt zum Beitritt zu veranlassen. Man möchte dabei in den Gesamtarbeitsverträgen einen Solidaritäts- oder Anschlussbeitrag der Nichtorganisierten einhandeln oder den Organisierten gewisse Vorteile verschaffen, was von den Arbeitgebern bisher abgelehnt worden ist
[26]. Der Landesverband freier Schweizer Arbeiter (LFSA) distanzierte sich entschieden von jedem Versuch, Druck auf die Nichtorganisierten auszuüben
[27]. In den Reihen des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG) empfahl man statt dessen, sich dem neuen Arbeitertyp durch verbesserte gewerkschaftliche Dienstleistungen anzupassen, z. B. durch vermehrte Leistungen in der Weiterbildung
[28]. Vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund wurden entsprechende Fernkurse für Arbeiterbildung eingeführt
[29]. Zur Aktivierung der Arbeiter diskutierte man verschiedenenorts auch die Frage der Mitbestimmung im Betrieb. Man empfahl dabei, nicht einfach das deutsche Mitbestimmungsrecht zu kopieren, sondern einen eigenen, schweizerischen Weg zu suchen, etwa durch eine Revision des OR
[30]. Der LFSA wollte ein kommendes Mitbestimmungsrecht strikte auf soziale Fragen beschränkt wissen
[31]. Die Parallelität studentischer Forderungen nach Mitbestimmung führte auf gewerkschaftlicher Seite nur ausnahmsweise zu einem positiven Echo
[32], obschon sich auch die Studenten mehr und mehr quasi gewerkschaftlicher Methoden bedienten und Verbandspolitik betrieben
[33]. Wiesen die Arbeitgeber jede Art von direktem oder indirektem Koalitionszwang zurück, so zeigten sie sich anderseits sehr offen für die noch junge Einrichtung der Sozialpartnergespräche mit den Gewerkschaften, um in diesem Rahmen zentrale politische, soziale und wirtschaftliche Fragen zu besprechen, z. B. Probleme der Freizügigkeit, der AHV, der Fremdarbeiterpolitik usw.
[34]. Man begreift deshalb, dass sich der Gewerkschaftsbund gegenüber den Initiativvorstössen der Sozialdemokratie reserviert verhielt
[35]. Der Übergang des Präsidiums von Hermann Leuenberger an den vielbeschäftigten Präsidenten des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiter-Verbandes, Ernst Wüthrich, löste den Ruf nach einem vollamtlichen Präsidentenposten aus
[36]. Die Angestelltenverbände hatten sich weniger als die Gewerkschaften über Mitgliederrückgang zu beklagen. Die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA) verzeichnete ein Wachstum von 1193 Mitgliedern auf insgesamt 125 982 (0,9 %)
[37]. Sie konnte 1968 ihren 50. Geburtstag feiern, was sie zu einer Standortbestimmung veranlasste. Dabei wünschte sie eine zahlenmässig grössere parlamentarische Repräsentation der Angestellten und verlangte eine personelle Berücksichtigung in der Kartellkommission sowie eine besondere Stelle für Angestelltenfragen im BIGA
[38].
[24] Rückgang der Mitgliederzahl des Schweiz. Gewerkschaftsbundes von 441 203 um 4679 auf 436 524 (1,06 %) und des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes von 91 636 um 1157 auf 90 479 (1,26 %), Mitteilungen des Sekretariates des SGB; NZZ, 185, 25.3.69.
[25] So betrug der Rückgang der Arbeiter in der Metall- und Maschinenindustrie allein zwischen 1962 und 1967 ca. 11 %. Bezeichnenderweise ist auch im CNG der Rückgang der Mitglieder des Christlichen Metallarbeiter-Verbandes mit ca. 800 am stärksten.
[26] Vgl. SPJ, 1967, S. 157 f.; über die « prime aux travailleurs syndiqués» GdL, 195, 21.8.68; über die von der Gewerkschaft Textil, Chemie, Papier geforderte Anschlussgebühr NZ, 475, 14.10.68; vgl. auch oben, S. 108.
[30] Der Schweiz. Metall- und Uhrenarbeiter-Verband setzte eine entsprechende Studienkommission ein (gk, 43, 7.11.68; NZZ, 688, 6.11.68); über eine aus Angehörigen verschiedener Gewerkschaftsrichtungen zusammengesetzte Mitbestimmungskommission in Zürich s. oben, S.106; vgl. ferner die Forderungen des Schweiz. Bau- und Holzarbeiterkongresses in Biel (gk, 40, 17.10.68; NZZ, 632, 14.10.68).
[32] PS, 120, 28.5.68 ; TdG, 129, 4.6.68.
[33] Vat., 123, 27.5.68; NZZ, 402, 3.7.68; 644, 18.10.68 (Aktionsprogramm des Verbandes der Schweiz. Studentenschaften); 758, 6.12.68 (Der VSS unterstützt das ETH-Referendum).
[35] Bund, 143, 21.6.68; NZZ, 379, 24.6.68. Vgl. oben, S. 157.
[36] NZZ , 680, 4.11.68; 688, 6.11.68; 708, 15.11.68; Tw, 262, 7.11.68 ; gk, 43, 7.11.68.
[37] Mitteilung des Sekretariates der VSA.
[38] NZZ, 537, 1.9.68 (Standortbestimmung); Jubiläumsberichte: NZZ, 584, 23.9.68; NZ, 438, 23.9.68; TdG, 223, 23.9.68.
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