Année politique Suisse 1968 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Bildungspolitik
Zwei Bewegungen wirken sich auf unsere Bildungspolitik aus: einerseits die zunehmende Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung des Bildungswesens für die moderne Gesellschaft und anderseits die Krise im Verhältnis der heranwachsenden Jugend zur Struktur der bestehenden Bildungseinrichtungen, ja der bestehenden Ordnungen überhaupt. Es entsprach dieser über die kantonalen Grenzen hinausgehenden Problematik, dass der Bundesrat in seinen Richtlinien die Formulierung einer umfassenden nationalen Bildungs- und Forschungspolitik auf weite Sicht unter die Prioritäten einreihte, wobei er allerdings eine Zusammenarbeit mit den Kantonen wie auch mit der Wirtschaft vorsah und die Hauptverantwortung für das Volks- und Mittelschulwesen den Kantonen zuerkannte [1].
Um den Bund für seine bildungspolitischen Aufgaben besser auszurüsten, empfahl der Präsident des Wissenschaftsrates, Prof. M. Imboden, die Schaffung einer besonderen Abteilung innerhalb des EDI, dessen Sekretariat bisher auch für Kultur, Wissenschaft und Kunst zuständig gewesen war [2]. Der Bundesrat entsprach dieser Empfehlung, die von parlamentarischen Vorstössen unterstützt worden war, indem er auf den 1. März 1969 eine Abteilung für Wissenschaft und Forschung einrichtete, der zugleich das bis dahin dem Gesundheitsamt zugeteilte Maturitätswesen sowie die Fragen der Atomforschung übertragen wurden; weitergehende Wünsche nach einer Reorganisation des EDI verwies er an die eingeleitete Revision des Organisationsgesetzes der Bundesverwaltung [3].
Schon in seiner Schrift vom Winter 1967/68 über den Ausbau der schweizerischen Hochschulen hatte der Wissenschaftsrat auf die Bedeutung der Bildungswissenschaft hingewiesen [4]. Im Sommer erstattete er dem Chef des EDI einen speziellen Bericht über den Ausbau der Bildungsforschung, welche die Grundlagen für eine umfassende Bildungspolitik und Bildungsplanung zu schaffen hätte. Um die bestehenden Ansätze rasch zu koordinieren, schlug er die Einsetzung eines Kuratoriums für Bildungsforschung vor, das von der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren getragen und später in das vom Aargau geplante Institut eingegliedert werden könnte; Bundesrat Tschudi nahm den Vorschlag zustimmend auf [5]. Auch von anderer Seite erging der Ruf nach einer wissenschaftlich fundierten Bildungspolitik; bildungspolitische Hauptforderungen betrafen die Überwindung der milieubedingten Abstufung der Bildungschancen, die Erleichterung des Wechsels zwischen den einzelnen Bildungsrichtungen sowie die zeitliche Ausdehnung der Bildung über Schul- und Berufslehrealter hinaus zu einer « éducation permanente » [6]. Ein besonderes Postulat galt dem Ausbau der Bildungsstatistik [7].
Wie bereits erwähnt worden ist, wurde die Gärung in der Jugend 1968 zu einem Politikum [8]. Bundesrat Celio brachte in einer Rede in Lausanne das jugendliche Unbehagen mit dem Schwinden des Wertes erworbener Kenntnisse in einer dynamischen Gesellschaft in Zusammenhang [9]. In verschiedenen Städten drangen jugendliche Kreise mehr oder weniger ungestüm auf die Überlassung von gemeindeeigenen Lokalitäten für die Schaffung autonomer Jugendzentren; nach den Zürcher Sommerkrawallen schritten Verhandlungen und Vorbereitungen ausser in Zürich namentlich in Biel voran [10]. Im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Jugend steht auch die Vorbereitung eines von der Landesverteidigung losgelösten Bundesgesetzes über Jugend und Sport, das zunächst einer Verfassungsgrundlage bedarf; über Vorentwürfe zu einer solchen war ein Vernehmlassungsverfahren im Gange [11].
 
[1] BBl, 1968, I, S. 1235 f., 1247.
[2] NZZ, 244, 22.4.68.
[3] AS, 1969, S. 1 ff.; NZZ, 796, 25.12.68. Vgl. dazu Postulat Gut (rad., ZH), vom NR am 5.12. überwiesen (NZZ, 271, 3.5.68; 756, 6.12.68) und Kleine Anfrage von NR Wartmann (rad., AG) (NZZ, 783, 18.12.68). Zum Direktor der neuen Abteilung wurde der bisherige Delegierte für Fragen der Atomenergie, Prof. U. Hochstrasser, gewählt, dessen Amt aufgehoben worden war (NZZ, 78, 5.2.69).
[4] Schweizerischer Wissenschaftsrat, Ausbau der schweizerischen Hochschulen, Bern 1967, S. 19. Vgl. auch SPJ, 1967, S. 122 f.
[5] Wissenschaftspolitik, 2/1968, H. 4, S. 28 ff. Vgl. Stellungnahme Bundesrat Tschudis im NR (NZZ, 749, 3.12.68).
[6] Vgl. Lb, 15, 18.1.68; Vr, 282, 30.11.68; PETER SCHWEIZER, « Auf dem Weg zur Bildungsdemokratie », in Profil, 1968, S. 36 ff.; HANS ULRICH WINTSCH, «Für eine sozialdemokratische Bildungspolitik », in Profil, 1968, S. 305 ff.; insbes. zum Postulat der Bildungsforschung: Seminar des Verbandes der Schweiz. Studentenschaften im Gottlieb-Duttweiler-Institut (Vat., 13, 16.1.68), Modell der Arbeitsgemeinschaft für die Koordination der kantonalen Schulsysteme in der deutschsprachigen Schweiz (ADOLF A. STEINER, ETIENNE BERGER u. WALTER VOGEL, «Schulkoordination und Schulreform — ein untrennbares Paar », in Civitas, 23/1967-68, S. 412 ff.; Vat., 287, 9.12.68); Lb, 18, 22.1.68; ferner die Studie von HANS PETER WIDMAIER u. a., Zur Strategie der Bildungspolitik, Bern 1968.
[7] Postulat Wanner (rad., SH), vom NR am 18.12. überwiesen (NZZ, 786, 19.12.68); vgl. auch Wissenschaftspolitik, 2/1968, H. 4, S. 40.
[8] Siehe oben, S. 14 ff.
[9] Revue économique et sociale, 27/1969, S. 7 ff., insbes. 19 f.
[10] Zu den Zürcher Krawallen siehe oben, S.15 f. Vgl. zu Zürich ausserdem: NZZ, 378, 23.6.68; 421, 11.7.68; 426, 14.7.68; 427, 15.7.68; 503, 16.8.68; 769 u. 770, 12.12.68; Tat, 156, 5.7.68; Vr, 196, 22.8.68; zu Biel: NZ, 380, 19.8.68; 479, 16.10.68; Bund, 194, 20.8.68; GdL, 195, 21.8.68; 203, 30.8.68; TdG, 249, 23.10.68; 298, 19.12.68.
[11] Vgl. Antwort Bundesrat Gnägis auf Interpellation Cadruvi (k.-chr., GR) im NR (NZZ, 784, 18.12.68) ferner Bund, 45, 24.2.69; NZZ, 520, 23.8.68; 779, 17.12.68.