Année politique Suisse 1968 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Mittlere und untere Schulstufen
Im Bereich der mittleren und unteren Schulstufen fiel ein Entscheid von gesamtschweizerischer Bedeutung, indem der Bundesrat im Mai eine neue Maturitäts-Anerkennungsverordnung erliess [57]. Diese brachte vor allem die Gleichstellung des. Gymnasialtypus C (mathematisch-naturwissenschaftliche Richtung) mit den Typen A und B in der Zulassung zum Studium der Medizinalberufe und sah ausserdem für die Institutionen des sog. Zweiten Bildungsweges (Maturitätsvorbereitung für Erwachsene) sowie für Privatschulen unter bestimmten Voraussetzungen die Anerkennung ihrer Ausweise vor. Um die Lehrpläne der drei Maturitätstypen einander anzunähern, schrieb sie Minimalanteile der beiden hauptsächlichen Fächergruppen an der Gesamtstundenzahl vor. Auch für Schulsysteme mit sog. gebrochenem Lehrgang, bei dem die Gymnasialstufe weniger als sechs Schuljahre umfasst, wurden die Anerkennungsbedingungen festgelegt, wobei es den Kantonen freigestellt blieb, durch welche Vorbereitungsmassnahmen sie den geforderten reibungslosen Übertritt aus der Unterstufe gewährleisten wollten. Der Bundesrat übernahm somit nicht nur die von der Eidg. Maturitätskommission in den zähen Vorverhandlungen eingeräumten Konzessionen, sondern kam in der Frage des in der Ostschweiz für den Typus C üblichen gebrochenen Bildungsgangs den Forderungen der kantonalen Erziehungsdirektoren noch weiter entgegen. Die Neuregelung liess jedoch das Verlangen nach Anerkennung neuer Bildungskonzeptionen mit andersartigen und elastischeren Fächerkombinationen unbefriedigt. Der Chef des EDI bekundete immerhin bei der Behandlung zweier Interpellationen im Nationalrat die Absicht, die neue Verordnung grosszügig zu handhaben [58]. Im übrigen postulierte die Landesregierung in ihren Richtlinien mit Nachdruck einen Ausbau der Mittelschulen, namentlich zur Erfassung « studienferner » Schichten, allerdings als eine Aufgabe der Kantone [59]. Über den Gesichtspunkt einer Ausschöpfung der Begabtenreserve hinaus ging die Diskussion an einer Tagung des Vereins schweizerischer Gymnasiallehrer, die sich um ein neues Modell für die Schweizer Schule drehte; dieses betont anstelle der negativen Auslese die positive Begabtenförderung auf Grund von Parallelkursen mit unterschiedlichem Unterrichtstempo und freierer Fächerwahl [60].
Angesichts des nur langsamen Fortschreitens der interkantonalen Bestrebungen für eine Koordination der Schulsysteme wurde der Ruf nach einer Bundeskompetenz auf diesem Gebiet erhoben. Aus Jugendkreisen der BGB ging ein Plan für eine Revision der Artikel 27 und 27bis der Bundesverfassung hervor, die einerseits die Vereinheitlichung von Schuleintrittsalter, Schuljahrbeginn und Schulpflichtdauer vorschreiben und anderseits dem Bund eine Förderungs- und Koordinationskompetenz erteilen sollte. Der Zentralvorstand der Partei beschloss, die Initiative zu unterstützen [61]. Eine ähnliche Forderung wurde im Nationalrat erhoben; sie zielte auf einen Verfassungsartikel über das Bildungswesen [62]. Noch weiter ging das Schweizerische Jugendparlament, das dem Bund gleich die Organisation des Schulwesens, den Kantonen und Gemeinden dagegen nur die Ausführung zuweisen wollte [63]. Inzwischen schritt die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren zur Schaffung einer Zentralstelle für die Weiterbildung der Mittelschullehrer [64]. Besondere Koordinationsstellen errichteten die Erziehungsdirektoren der welschen und italienischen Schweiz [65]. Eine Vereinheitlichung innerhalb der Kantonsgrenzen strebten die St. Galler Freisinnigen an, indem sie eine Gesetzesinitiative zur Verschmelzung der noch bestehenden konfessionellen Schulgemeinden innert 15 Jahren lancierten. Obwohl dieser Vorstoss von konservativ-christlichsozialer Seite als Rückfall in den Kulturkampf gebrandmarkt und auch von den Sozialdemokraten und vom Landesring abgelehnt wurde, übertraf die Zahl der gesammelten Unterschriften diejenige der freisinnigen Wähler [66].
Auch in Mittelschülerkreisen war eine gewisse autoritätsfeindliche Strömung festzustellen. So wurde im April in Burgdorf eine Schweizerische Vereinigung progressiver Mittelschüler gegründet, die in einem Manifest Forderungen zu Schulordnung und Schulstruktur proklamierte [67]. Zu offener Auflehnung gegen die Schulautorität kam es jedoch nur im Tessin, vor allem am Lehrerseminar von Locarno, wo Wachstumsprobleme der Anstalt sowie persönliche und politische Spannungen zum Ausbruch der Krise beitrugen [68].
 
[57] AS, 1968, S. 693 ff. Vgl. dazu SPJ, 1967, S. 125; SPJ, 1965, in SJPW, 6/1966, S. 207.
[58] Interpellationen Müller (k.-chr., LU) und Haller (soz., AG), vom NR am 3.10 und 3.12. behandelt (NZZ, 611, 3.10.68; 749, 3.12.68; Vat, 239, 12.10.68); ferner Domaine public, 96, 25.7.68. Auf Neujahr 1969 anerkannte das EDI eine Anzahl Gymnasien des gebrochenen Bildungsgangs (NZZ, 796, 25.12.68; 797, 27.12;68).
[59] BBI, 1968, I, S. 1235, 1247.
[60] JdG, 276, 25.11.68; BN, 495, 22.11.68.
[61] NBZ, 152, 2.7.68; 184, 8.8.68; 290, 11.12.68; 298, 20.12.68.
[62] Vorschlag von NR Allgöwer (LdU, BS) in der Diskussion über die Maturitäts-Anerkennungsverordnung (NZZ, 749, 3.12.68), vgl. Anm. 58. Aus Zürcher Freisinnskreisen wurde ein eidgenössisches Rahmengesetz zur Sicherung der Freizügigkeit auf allen Bildungsstufen verlangt (NZZ, 616, 7.10.68; 688, 6.11.68).
[63] Vat., 256, 2.11.68.
[64] TdL, 292, 18.10.68; NZZ, 306, 20.5.68. Vgl. das 1967 von Gymnasiallehrerkreisen aufgestellte Postulat (SPJ, 1967, S. 126); ferner oben, S. 28.
[65] GdL, 52, 2./3.3.68; TdG, 154, 3.7.68. Vgl. oben, S. 28.
[66] NZZ, 348, 10.6.68; 749, 3.12.68; Ostschw., 221, 23.9.68; 297, 23.12.68. Es wurden 20 155 gültige Unterschriften abgegeben.
[67] NZ, 184, 22.4.68; Bund, 138, 16.6.68; 150, 30.6.68.
[68] NZ, 118, 12.3.68; NZZ, 163, 13.3.68; 165, 14.3.68; 334, 4.6.68; 337, 5.6.68; 732, 26.11.68; PL, 68, 23.3.68; 76, 2.4.68; Dop., 3.4.68; 161, 16.7.68; Tat, 84, 9.4.68.