Année politique Suisse 1969 : Chronique générale / Politique étrangère suisse
Aussenwirtschaftspolitik
Zu dieser erfreulichen Entwicklung des innerkontinentalen Handels gesellten sich auch neue Impulse in der Frage der
europäischen Integration. Zu Beginn des Jahres waren zwar noch skeptische Äusserungen in bezug auf neue integrationspolitische Schritte laut geworden. Aus schweizerischer Sicht war besonders bedauert worden, dass die Idee der «Handelsarrangements» mit der EWG keine Fortschritte gemacht habe
[144]. Im Laufe des Jahres bahnten sich indessen neue Entwicklungen an. Einmal war das Jahr 1969 sowohl für die EWG als auch für die EFTA das letzte ihrer Übergangszeit. Das bedeutete namentlich für die EWG, dass sie bis Ende 1969 den Gemeinsamen Markt zu vervollständigen hatte. Die Währungsereignisse des Jahres — Abwertung in Frankreich, Aufwertung in Deutschland — zeigten deutlich, dass der gegenwärtige Integrationsstand in der EWG, der sich im wesentlichen auf den Verkehr von Waren und Produktionsfaktoren beschränkt, ohne gemeinsame Konjunktur-, Währungs- und Finanzpolitik nicht immer befriedigend zu funktionieren vermochte
[145]. Seit dem Abtritt General de Gaulles von der politischen Bühne war denn auch eine Belebung der europäischen Integrationsdiskussion festzustellen. Augenfälligster Ausdruck dafür war die Gipfelkonferenz der sechs Länder der Europäischen Gemeinschaften (EG), bei der die Staats- und Regierungschefs der Eröffnung von Verhandlungen zwischen der EWG und den beitrittswilligen Staaten grundsätzlich zustimmten und sich zudem bereit erklärten, auch mit den anderen EFTA-Staaten Gespräche über ihr Verhältnis zur EWG einzuleiten
[146]. Der Bundesrat dankte auf diplomatischem Wege den EWG-Ländern für ihr Verständnis
[147]. Die neuen Entwicklungen — Botschafter Jolles hatte die Ergebnisse der Haager Gipfelkonferenz als Durchbruch in der Integrationsfrage bezeichnet — wurden von den schweizerischen Behörden begrüsst, kamen sie doch der pragmatischen Grundhaltung, die nach wie vor den offiziellen Standpunkt der Schweiz bestimmt, entgegen. Es wurde betont, dass es der Schweiz nicht darum gehe, bei allfälligen Gesprächen in Brüssel mit einem fertigen Verhandlungsvorschlag aufzurücken, sondern dass die weiteren Entwicklungen abgewartet würden, wobei die schweizerische Bereitschaft zur wirtschaftlichen Mitarbeit auf allen Gebieten lediglich durch die politischen Konstanten der Neutralität, der direkten Demokratie und des Föderalismus eingeschränkt bleibe. Andererseits sei man für Verhandlungen auch nicht ungerüstet, habe man doch sowohl verwaltungsintern als auch mit den Spitzenorganisationen der Wirtschaft intensive Vorbereitungsarbeiten durchgeführt. Ein längerfristiges Europa-Konzept müsse noch ausgearbeitet werden
[148].
Die Schweiz beteiligte sich ihrer pragmatischen Politik gemäss an allen Projekten, die zu einer vertieften Zusammenarbeit mit der EWG Gelegenheit gaben. So nahm sie an Gesprächen teil, die zur Einführung einer Konvention über ein europäisches Patenterteilungsabkommen führen sollen. Diese Gespräche wurden als erster kollektiver Vorstoss zur Öffnung der Sechsergemeinschaft gegenüber dem restlichen Westeuropa gewertet
[149]. Positiv beantwortet wurde auch die Einladung der EWG, die die EFTA-Staaten sowie Irland und Spanien aufgefordert hatte, eine Anzahl Technologie-Projekte, die sich für eine gesamteuropäische Zusammenarbeit eignen könnten, zu prüfen und zu besprechen
[150]. Die Verhandlungen über ein Textilveredelungsabkommen führten zu einer Vereinbarung, die im September in Kraft treten konnte
[151]. Etwas weniger erfreulich waren die hohen Bussen, die die EG-Kommission gegen schweizerische Chemiefirmen verhängte. Sie warf ihnen vor, an einem Farbstoffkartell in der EWG beteiligt gewesen zu sein. Die betroffenen Firmen bestritten allerdings den Tatbestand und anerkannten zudem die Jurisdiktion der EWG über deren Grenzen hinaus nicht
[152].
Die Gremien der
EFTA, für die in Genf ein neues Gebäude eröffnet wurde, verfolgten die Entwicklungen in der EWG mit Interesse und Genugtuung. Auf ein gemeinsames Vorgehen gegenüber der Wirtschaftsgemeinschaft konnten sich die EFTA-Minister allerdings nicht festlegen. Bei den Verhandlungen mit Island wurden alle wichtigen Punkte geklärt, so dass der Beitritt dieses kleinen nordischen Staates zur Freihandelsassoziation beschlossen werden konnte, was von der Schweiz begrüsst würde. Anderseits sprach die schweizerische Vertretung an der Ministerkonferenz in Genf ihr Bedauern über die Aufrechterhaltung des im November 1968 von Grossbritannien eingeführten Importdepotsystems und der Beschränkungen der Devisenzuteilungen an britische Touristen aus
[153].
Auch an der
OECD-Ministertagung hob Bundesrat Schaffner, als er die Notwendigkeit der Nichtdiskriminierung von Ländern und Warengruppen durch Massnahmen von Staaten mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten betonte, die Reisedevisenbeschränkungen hervor, weil sie vor allem Nationen träfen, die wie die Schweiz einen für die Wirtschaft bedeutenden Touristenverkehr aufwiesen. An der gleichen Tagung wurden auch Probleme der Entwicklungshilfe erörtert, wobei die Schweiz auf Verständnis für ihre besondere Art der Anstrengungen, die zum grossen Teil durch Beiträge aus dem privaten Sektor getragen werden, stiess
[154]. Die OECD versuchte auch, die von den Industriestaaten allenfalls ins Auge gefasste Einführung von Zollpräferenzen zugunsten der Entwicklungsländer zu koordinieren. Die Schweiz reichte das Memorandum über ihre diesbezüglichen Absichten fristgerecht ein; die Arbeiten in der OECD waren aber noch nicht so weit gediehen, dass der UNCTAD-Sonderausschuss, der das Problem weiter behandeln wird, neue Konsultationen hätte einleiten können
[155]. Auch in bezug auf den Abschluss und die Anwendung von Rohstoffabkommen im Rahmen der UNCTAD ergaben sich keine neuen Aspekte. Die Schweiz blieb dem Zuckerabkommen weiterhin fern, weil die EWG, unser bedeutendster Zuckerlieferant, ebenfalls nicht unterzeichnete
[156]. Im Rahmen des GATT kamen gleichfalls keine neuen konkreten Resultate zustande. Die Vorarbeiten zur Lösung des Problems der Rückerstattung indirekter Steuern auf dem Export an der Grenze und desjenigen der nichttariflichen Handelshindernisse wurden fortgesetzt. Der Bericht der schweizerischen Regierung über die Anwendung ihrer Handelsrestriktionen auf dem Agrarsektor fand ein günstiges Echo
[157]. Der Bundesrat beschloss schliesslich, die auf den 1. Januar 1970 fällig werdende Inkraftsetzung der dritten der im Rahmen der Kennedy-Runde vorgesehenen Zollabbaustufen auf das Frühjahr hinauszuschieben, um dann im 1. Quartal 1970 aus konjunkturpolitischen Gründen alle drei noch ausstehenden Fünftel der Zollreduktion gesamthaft in Kraft zu setzen
[158].
[144] Tw, 47, 26.2.69; NZZ, 172, 19.3.69; 295, 16.5.69; 312, 25.5.69.
[145] Man sprach von wirtschaftlichen «Sachzwängen» namentlich auch im Zusammenhang mit dem Agrarmarkt. Vgl. NZZ, 642, 26.10.69; Bund, 67, 21.3.69.
[146] Vgl. oben, S. 41 f.
[147] Bund, 301, 24.12.69.
[148] Den offiziellen Standpunkt erläuterten Botschafter Jolles vor dem Basler Handels- und Industrieverein (NZZ, 385, 26.6.69), Bundesrat Celio am 75. Jahrestag der französischen Handelskammer in der Schweiz (TdG, 255, 31.10.69), Botschafter Weitnauer bei einem Vortrag in Paris (TdG, 114, 17./18.5.69); vgl. auch Pressekonferenz und Kommentare zum Besuch des Präsidenten der EG-Kommission, Jean Rey (GdL, 270, 19.11.69; 283, 4.12.69; NZZ, 693, 25.11.69; NZ, 542, 25.11.69; 559, 4.12.69; Bund, 286, 7.12.69); für die politische Diskussion vgl. oben, S. 41 f.
[149] NZZ, 205, 2.4.69; 308, 22.5.69. Vgl. Antwort auf die Kleine Anfrage von NR Rohner (k.-chr., BE) (NZZ, 478, 7.8.69).
[150] NZZ, 648, 29.10.69; 654, 2.11.69; 694, 25.11.69.
[151] Vgl. SPJ, 1968, S. 63; AS, 1969, S. 687; NZZ, 516, 24.8.69.
[152] NZZ, 468, 3.8.69; 474, 5.8.69; BN, 322, 6.8.69; TdG, 185, 9./10.8.69.
[153] EFTA-Bulletin, 10/1969, Heft 5, S. 22; Heft 8, S. 3; Heft 9, S. 21; 11/1970, Heft 1, S. 2; NZZ, 249, 24.4.69; 281, 9.5.69; 284, 11.5.69; PS, 255, 7.11.69; NZ, 513, 7.11.69; 514, 8.11.69; BN, 482, 18.11.69.
[154] NZZ, 100, 14.2.69; 103, 17.2.69; 112, 20.2.69. Vgl. oben, S. 49.
[155] BN, 129, 27.3.69; 131, 28.3.69; NZZ, 570, 17.9.69; 587, 24.9.69; Weltwoche, 1848, 11.4.69.
[156] Vgl. Antwort auf Kleine Anfragen der NR Eisenring (k.-chr., ZH) und Schütz (soz., ZH) in NZZ, 114, 21.2.69; Stellungnahme des Schweiz. Konsumentenbundes in NZZ, 474, 5.8.69; GdL, 12, 16.1.69.
[157] GdL, 118, 23.5.69; NZZ, 296, 18.5.69; 324, 30.5.69; 363, 17.6.69; 408, 7.7.69; 649, 30.10.69; 650, 30.10.69.
[158] NZZ, 743, 24.12.69; vgl. oben, S. 63; vgl. SPJ, 1968, S. 63.
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