Année politique Suisse 1969 : Economie / Crédit et monnaie / Geld und Währung
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Nationalbank
Eine unerwartete Wendung nahm die Diskussion um die Revision des Nationalbankgesetzes. Die 1968 unterbreitete Vorlage für einen Ausbau des Notenbankinstrumentariums hatte im wesentlichen vier Instrumente vorgesehen : eine Verstärkung der Offenmarktpolitik, eine Verpflichtung der Banken zur Hinterlegung von Mindestguthaben, die auf dem Zuwachs der Verbindlichkeiten berechnet werden, die Einschränkung des Gesamtzuwachses der Kreditgewährung der Banken und die gesetzliche Verankerung der Überwachung der Emissionstätigkeit [21]. Nachdem die vorberatende Kommission des Nationalrates im November 1968 den Eintretensbeschluss verschoben hatte, führte sie im Januar 1969 Hearings durch [22], und zwar mit Vertretern der Rechtswissenschaft, die uneinheitliche Meinungen zur Verfassungsmässigkeit der Vorlage äusserten [23], und mit Exponenten der Banken, die zeigten, dass das Bankgewerbe keine Einheitsfront mehr bildete [24]. Eintreten auf die Vorlage wurde zwar mit 16 : 9 Stimmen beschlossen; dann aber setzte sich ein Ordnungsantrag von Nationalrat Tenchio (GR) namens der Konservativ-Christlichsozialen durch, der verlangte, dass die Behandlung der Vorlage auszusetzen sei (Annahme mit 17 : 8 Stimmen), dass der Bundesrat die Gestaltung von freiwilligen Vereinbarungen erneut prüfen und vorantreiben möchte (18 : 4 Stimmen) und dass die Frage der Verfassungsmässigkeit nochmals abgeklärt werden solle (10 : 9 Stimmen) [25]. Der Bundesrat zeigte sich nicht gewillt, seine Vorlage zurückzuziehen, und die Vertreter der Nationalbank verteidigten das Instrumentarium weiter [26].
Die Bankiervereinigung reichte dann dem Bundesrat einen Entwurf zu einem Gentlemen's Agreement ein, welches ungefähr den gleichen materiellen Inhalt hatte wie das vom Bundesrat vorgeschlagene Gesetz. Der Vertragsentwurf beschränkte sich aber auf die Mindestguthaben und die Kreditbegrenzung. Die Banken waren der Ansicht, die Offenmarktpolitik könne auf dem Wege der Gesetzesinterpretation intensiviert werden, und die im März 1967 im Rahmen der Bankiervereinigung getroffene Konvention garantiere eine funktionstüchtige Kontrolle der Emissionstätigkeit [27]. Die nationalrätliche Kommission beschloss darauf mit 17 : 6 Stimmen, auf die Detailberatung des Gesetzesprojektes zu verzichten und dem von den Bankiers unterbreiteten Vertragsentwurf den Vorzug zu geben [28]. Der Vertragstext musste allerdings noch bereinigt werden. Nach langen Verhandlungen einigten sich die Nationalbank und die Bankiervereinigung in den Fragen der Laufzeit und vor allem der Kompetenzen. Der Verwaltungsrat der Bankiervereinigung wurde ermächtigt, mit dem Direktorium der Nationalbank über die Einforderung von Mindestreserven und über die Begrenzung der Kreditzuwachsraten zu entscheiden. Kann keine Einigung erzielt werden, so soll sich nach einem komplizierten Prozedere in letzter Instanz der Bankausschuss der Nationalbank durchsetzen können. Die Vereinbarung, die einen Rahmenvertrag darstellt, wurde auf drei Jahre fest abgeschlossen und kann erstmals am 1. September 1972 auf Ende 1974 gekündigt werden. Die Überwachung der Bestimmungen wurde den bankengesetzlichen Revisionsstellen übertragen: Es bestehen privatrechtliche Sanktionsmöglichkeiten [29]. Nachdem die grosse Mehrheit der 343 Bankinstitute mit einer Bilanzsumme von mehr als 20 Mio Fr. das Abkommen unterzeichnet hatte, konnte es in Kraft treten [30]. Damit hatte die gesetzliche Lösung ausgespielt.
Die eidgenössischen Räte folgten den Anträgen ihrer vorbereitenden Kommissionen [31] und beschlossen Nichteintreten auf die Gesetzesvorlage. Die sozialdemokratische Fraktion hielt, mit der PdA und einzelnen anderen Parlamentariern zusammen, als einzige Regierungspartei am Entwurf des Bundesrates fest. Der Landesring und der Gewerbevertreter Fischer (rad., BE) lehnten nicht nur die Gesetzesvorlage ab, sondern wandten sich auch gegen den privatrechtlichen Instrumentariumsersatz, in dem sie in erster Linie eine Umgehung des Referendums sahen [32]. Die neue freiwillige Vereinbarung hatte auch sogleich ihre Bewährungsprobe zu bestehen. Am 20. August einigte sich die Nationalbank mit den Banken, auf den 1. September eine Kreditbegrenzung in Kraft treten zu lassen. Die beiden Partner beschlossen, die Zuwachsraten, berechnet auf dem Ausgangsvolumen von Ende August, auf maximal 9-11,5 % zu beschränken [33]. Ein Zeitungsartikel und vor allem eine Fernsehsendung machten indessen die Öffentlichkeit auf Indizien und Daten aufmerksam, die darauf schliessen liessen, dass bei einigen Bankinstituten im August eine weit überdurchschnittliche Kreditausweitung und zum Teil eine Änderung des Buchungssystems erfolgt war, und zwar mit der Absicht, vor dem Inkrafttreten der Kreditbeschränkung eine möglichst günstige Ausgangslage zu schaffen. Dieser Sachverhalt, der sich später, wenn auch nicht im Umfang der vor dem Fernsehen gemachten Angaben, bestätigte, veranlasste die Vertragspartner, den Stichtag für den Stand der inländischen Kredite der Banken, auf welchem der zulässige Kreditzuwachs berechnet werden sollte, vom 31. August auf den 31. Juli zurückzuverlegen [34].
 
[21] BBl, 1968, II, S. 253 (Botschaft); vgl. SPJ, 1968, S. 59 ff.
[22] NZZ, 46, 22.1.69; Lb, 17, 22.1.69; vgl. SPJ, 1968, S. 61.
[23] Prof. H. Nef verneinte die Verfassungsmässigkeit der Vorlage, die Professoren M. Imboden und R. Bäumlin bejahten sie mit unterschiedlicher Begründung.
[24] Im Gegensatz zum Präsidenten der Bankiervereinigung und zu den Grossbanken befürworteten die Kantonal- und Lokalbanken die Einführung von Kreditbegrenzungen. Vgl. auch BN, 79, 21.2.69.
[25] Lb, 18, 23.1.69; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 4, 27.1.69.
[26] NZZ, 68, 31.1.69; Ostschw., 26, 31.1.69; Bund, 28, 4.2.69; Tw, 126, 3.6.69.
[27] NZZ, 278, 8.5.69; 283, 9.5.69; NZ, 207, 8.5.69; vgl. SPJ, 1968, S. 58.
[28] NZ, 237, 29.5.69.
[29] Vat., 155, 8.7.69; Lb, 176, 1.8.69; NZZ, 542, 4.9.69 (Pressekonferenz der Schweizerischen Bankiervereinigung).
[30] Nach den letzten Angaben im StR wurde das Abkommen von 326 der 343 Banken mit einer Bilanzsumme von mehr als 20 Mio Fr. unterzeichnet. Diese zustimmenden Institute verfügen über eine Bilanzsumme von 138 Mia Fr. oder 99 % der Bilanzsumme aller angefragten Banken (Sten. Bull. StR, 1969, S. 338). Für provisorische Zahlen vgl. auch NZZ, 533, 1.9.69. Bedeutende Ausnahmen bilden die Migros Bank (Tat, 209, 6./7.9.69) und die Bank in Reinach.
[31] Kommission des NR mit 18: 5 Stimmen (GdL, 208, 6./7.9.69), Kommission des StR mit 8: 4 Stimmen (NZZ, 691, 24.11.69).
[32] Der NR beschloss am 1.10.69 mit 80: 62, der StR am 16.12.69 mit 31: 1 Stimmen Nichteintreten (Sten. Bull. NR, 1969, S. 597 ff.; Sten. Bull. StR, 1969, S. 337 ff.). Für Stellungnahmen aus Gewerbekreisen vgl. auch NZ, 226, 21.5.69; 260, 11.6.69; NZZ, 357, 15.6.69; Schweizerische Gewerbe-Zeitung, 3, 17.1.69; 4, 24.1.69; 23, 6.6.69; 36, 5.9.69.
[33] NZZ, 518, 25.8.69; 519, 25.8.69.
[34] BN, 436, 20.10.69; NZ, 485, 22.10.69; Tw, 247, 22.10.69; NZZ, 631, 20.10.69; 649, 30.10.69; 679, 17.11.69. Vgl. auch Erklärungen von Kommissionspräsident Luder (rad., SO) vor dem StR (Sten. Bull. StR, 1969, S. 338 f.).