Année politique Suisse 1969 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Forschung
Die Bemühungen um eine Konzeption der schweizerischen Forschungspolitik wurden fortgeführt. Der Wissenschaftsrat stellte im November fest, dass sich eine Gesamtkonzeption der staatlichen Forschungsförderung auf eine gründliche Übersicht über die gegenwärtigen und zukünftigen Forschungsbedürfnisse stützen müsse, und beschloss, mit den Vorbereitungen für eine Bestandesaufnahme sogleich zu beginnen
[46]. Eine wichtige Initiative ging vom Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung aus, der in einer Eingabe an das EDI seine bisherigen und zukünftigen Aufgaben umriss und um eine Erhöhung der Bundesbeiträge nachsuchte
[47]. Die Eingabe empfahl einerseits im Sinne der vom Präsidenten des Forschungsrates, Nationalrat O. Reverdin, geforderten Festlegung von Prioritäten die Errichtung von Forschungsschwerpunkten, anderseits die bereits von Prof. M. Imboden angeregte Förderung der angewandten medizinischen Forschung durch den Nationalfonds
[48]. Für die Bildung von Forschungsschwerpunkten unterschied der Forschungsrat zwischen ständigen « Instituten von nationaler Bedeutung» mit hohem Investitionsaufwand und zeitlich befristeten «centres d'excellence ». Der Wissenschaftsrat, der die Eingabe im Auftrag des Bundesrats prüfte, verlangte für die Schaffung von «Instituten von nationaler Bedeutung» die Mitsprache aller Instanzen, die in der schweizerischen Wissenschaftspolitik Verantwortung tragen (Bundesrat, Wissenschaftsrat, Hochschulkonferenz)
[49]. Mit der Übernahme der Förderung der angewandten medizinischen Forschung (klinische Forschung, Sozial- und Präventivmedizin) durch den Nationalfonds konnte dem 1967 von der Akademie der medizinischen Wissenschaften erhobenen Postulat eines « Forschungsfonds für die Gesundheit » entsprochen werden
[50]. Für das Gebiet der Sozial- und Präventivmedizin schlug der Forschungsrat die Bildung einer Forschungskommission für die Gesundheit als selbständiges Organ des Nationalfonds vor, die je zur Hälfte durch den Bundesrat und durch den Senat der Akademie der medizinischen Wissenschaften zu ernennen wäre, und die der Konferenz der kantonalen Sanitätsdirektoren und dem Eidg. Gesundheitsamt als beratendes Organ zur Verfügung stehen sollte. Die eidgenössischen Räte bewilligten die Beitragserhöhung an den Nationalfonds in der Dezembersession. Der betreffende Bundesbeschluss sah die Anhörung des Wissenschaftsrats bei allen wichtigen Geschäften vor, insbesondere bei der Genehmigung des jährlich vorzulegenden Verteilungsplans und des alle drei Jahre zu erstattenden Berichts über die Gesamtplanung
[51].
Eine Gesamtkonzeption für die
Förderung der angewandten Forschung durch den Bund konnte bisher nicht erarbeitet werden, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Privatindustrie in dieser Frage nicht zu einigen vermochte
[52]. Besondere Schwierigkeiten zeigten sich bei der Neuformulierung der Aufgaben des Eidg. Instituts für Reaktorforschung (EIR). Die Kommission des Nationalrats für Wissenschaft und Forschung konnte auf Grund von Hearings mit Vertretern der Wirtschaft nicht zu abschliessenden Vorschlägen für die Tätigkeit des Instituts gelangen. Sie veranlasste die Überweisung einer Motion, die den Bundesrat beauftragte, das EIR in bezug auf seine Organisation zu überprüfen und ein langfristiges Forschungsprogramm auszuarbeiten. Bundesrat Tschudi gab bei der Entgegennahme der Motion zu verstehen, dass sich die Abteilung für Wissenschaft und Forschung des EDI mit Fragen der Reorganisation und der langfristigen Forschungsplanung des EIR befasse, dass jedoch kurzfristige Entscheide nicht zu erwarten seien
[53]. Für die Entwicklung der landwirtschaftlichen Forschung gewährten die eidgenössischen Räte namhafte Kredite
[54].
Im Bestreben, für unser Land lebensnotwendige Forschungszweige vermehrt zu fördern, untersuchte der Wissenschaftsrat gemeinsam mit der Abteilung für Wissenschaft und Forschung des EDI den Stand der Bemühungen auf dem Gebiet der Umweltsforschung; er regte eine unverzügliche Intensivierung der Forschung in denjenigen Bereichen an, in denen eine Verzögerung irreparable Schäden hervorrufen könnte
[55]. Die Expertenkommission für die Fragen der wissenschaftlichen Dokumentation legte ihren ersten Zwischenbericht, der insbesondere ein Koordinationsorgan und die Gründung eines Instituts für Informationswissenschaft postulierte, vor
[56]. Zur Entwicklung der Forschungsstatistik beantragte der Wissenschaftsrat die Errichtung eines speziellen Dienstes innerhalb des Eidg. Statistischen Amtes, um der Schweiz die Beteiligung an internationalen statistischen Erhebungen (im Rahmen der OECD, der UNESCO usw.) zu ermöglichen
[57].
Auf dem Gebiet der sog. Big Sciences, in denen sich die Schweiz um Mitarbeit im internationalen Rahmen bemüht, legte der Bundesrat dem Parlament neue vertragliche Abmachungen vor: Das Projekt eines 300 GeV-Protonen-Synchrotron des CERN (Supercern genannt) erforderte eine Revision des Abkommens von 1953, die von den eidgenössischen Räten genehmigt wurde, ohne dass damit über die Beteiligung der Schweiz am Supercern schon entschieden worden wäre
[58]. Auch ein im Februar unterzeichnetes Übereinkommen zur Gründung einer Europäischen Konferenz für Molekularbiologie wurde gutgeheissen
[59]. Zum Plan eines europäischen Zentrallabors für Molekularbiologie vermochte der Wissenschaftsrat indessen noch keine definitive Empfehlung abzugeben
[60]. Eine neue Initiative zur europäischen Zusammenarbeit ergriff der Technologierat der EWG mit seiner Einladung an neun Nichtmitgliedstaaten zu Gesprächen über wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, die vom Bundesrat positiv aufgenommen wurde
[61].
[46] Vgl Schweizerischer Wissenschaftsrat, Jahresbericht 1969, S. 28.
[47] BBl, 1969, II, S. 517 ff.
[48] Vgl. SPJ, 1968, S. 126 f.
[49] BBl, 1969, II, S. 510.
[50] Vgl. SPJ, 1967, S. 124; 1968, S. 126. Ciba und Geigy, die die Mitwirkung an einem nationalen Forschungsfonds für die Gesundheit abgelehnt hatten, gründeten ein Friedrich-Miescher-Institut für biochemisch-medizinische Forschung; vgl. NZZ, 211, 8.4.69.
[51] BBI, 1969, II, S. 1513 ff. Zur Parlamentsdebatte vgl. NZZ, 613, 9.10.69; 718, 9.12.69; 719, 10.12.69. Die jährlichen Beiträge des Bundes sollen 1970 70 Mio Fr. betragen und sich bis 1974 jährlich um 5 Mio Fr. erhöhen. Zusätzliche Erhöhungen auf maximal 100 Mio Fr. sind möglich, falls die Finanzlage des Bundes es gestattet.
[52] Vgl. NZZ, 203, 1.4.69.
[53] Vgl. oben, S. 94. Verhandl. B.vers., 1969, II, S. 43 f.; Sten. Bull. NR, 1969, S. 474 ff. Über die Abteilung für Wissenschaft und Forschung des EDI vgl. SPI, 1968, S. 119. Zur weiteren Koordination bezeichnete der Bundesrat eine Delegation für Wissenschaft und Forschung (Vorsteher des EDI, EPD und EVD) sowie einen interdepartementalen Koordinationsausschuss für Wissenschaft und Forschung. Vgl. NZZ, 650, 30.10.69.
[55] Vgl. Schweizerischer Wissenschaftsrat, Jahresbericht 1969, S. 30 f.
[56] Vgl. Wissenschaftspolitik, 3/1969, H. 2, S. 40 ff. Ein vom StR am 10.6.1969 überwiesenes Postulat Borel (rad., GE) verlangte eine Erweiterung und Beschleunigung der Arbeit der Expertenkommission. In Verhandl. B.vers., 1969, I, S. 46.
[57] Schweizerischer Wissenschaftsrat, Jahresbericht 1969, S. 36.
[58] BBI, 1969, I, S. 953 ff. Zum Supercern vgl. NZZ, 63, 30.1.69; 214, 9.4.69; 293, 16.5.69; 394, 1.7.69; TdG, 113, 16.5.69; NZ, 218, 16.5.69; JdG, 146, 26.6.69; GdL, 295, 18.12.69.
[59] BBI, 1969, I, S. 1033 ff. Vgl. TdG, 14, 17.1.69; 38, 14.2.69; JdG, 13, 17.1.69; 37, 14.2.69; TLM, 17, 17.1.69; NZZ, 98 u. 99, 14.2.69; 302, 20.5.69.
[60] Schweizerischer Wissenschaftsrat, Jahresbericht 1969, S. 30.
[61] Vgl. NZZ, 648, 29.10.69; 654, 2.11.69; 683, 19.11.69.
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