Année politique Suisse 1969 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Grund- und Mittelschulen
Im Bereich der mittleren und unteren Schulstufen wurden sowohl die Koordinations- wie die Reformbestrebungen weitergeführt. Zur Lösung der Frage der interkantonalen Schulkoordination, die namentlich wegen der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung dringend erscheint, standen sich zwei Vorschläge gegenüber. Einerseits wurde die von der Jugendfraktion der Schweizerischen BGB angekündigte eidgenössische Volksinitiative für Schulkoordination am 1. Oktober eingereicht [62]. Insbesondere in der Welschschweiz, wo die Schulkoordination schon verhältnismässig weit fortgeschritten ist, wurde jedoch diese Lösung über eine Revision von Artikel 27 und 27bis der Bundesverfassung mit Berufung auf die kulturelle und sprachliche Autonomie der Kantone abgelehnt [63]. Anderseits führten die zahlreichen Vorstösse der Anhänger vermehrter Bundeskompetenzen im Schulwesen zu einer dringlicheren Behandlung der Koordinationsbestrebungen durch die Kantone. Für den umstrittenen Übergang zum Herbstschulbeginn legte die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren Vorschläge vor, die ein sogenanntes Langjahr 1971/72 postulierten, und im Oktober konnte eine Grundsatzübereinstimmung über ein Konkordat über die Koordination im Schulwesen erzielt werden, das die Kantone zur Vereinheitlichung des Schuljahrbeginns, des Schuleintrittsalters und der Dauer der Schulpflicht bis 1972/73 verpflichten würde [64]. Das Schweizerische Jugendparlament änderte seine Haltung, indem es nun die Kondordatslösung unterstützte, wobei es jedoch für den Bund die Kompetenz forderte, Konkordate auf dem Gebiet des Schulwesens verbindlich zu erklären, sofern sich mindestens vier Fünftel der Kantone angeschlossen haben. Ausserdem sollte dem Bund die Bildungsforschung übertragen werden [65].
Die Kantone Basel-Stadt, St. Gallen, Schaffhausen und Solothurn bereiteten durch Grossratsbeschluss oder Volksschulgesetzrevision die vereinbarten Angleichungen schon vor. Im Kanton Bern dagegen wurde ein Gesetzesentwurf über Schulkoordination von der Kommission des Grossen Rates an die Regierung zurückgewiesen. In der Folge richteten die jurassischen Lehrer ein Gesuch an die Erziehungsdirektion mit der Bitte, den Herbstschulbeginnn 1972 wenigstens für die französischsprechenden Gebiete des Kantons in Kraft zu setzen, da sie befürchteten, sonst den angestrebten Anschluss an die Ecole romande zu verpassen [66].
Unterschiedliche Probleme stellten sich in bezug auf die konfessionellen Schulen. In St. Gallen legte die Regierung dem Grossen Rat einen Gegenvorschlag zur freisinnigen Gesetzesinitiative vor. Während die Initiative die Verschmelzung aller noch bestehenden konfessionellen Schulen innert 15 Jahren verlangte, unterschied das Gesetz über die Kräftigung der Schulverbände zwischen schwachen konfessionellen Schulgemeinden, die bis 1975 aufgelöst werden sollten, und kräftigen, über deren Auflösung oder Weiterbestand der Grosse Rat spätestens 1981 beschliessen müsste. Das Gesetz wurde im Februar 1970 vom Grossen Rat einstimmig genehmigt und die Initiative, da die Forderungen weitgehend erfüllt waren, zurückgezogen [67]. Umgekehrt machten sich in andern Kantonen Bestrebungen geltend, die Stellung der konfessionellen Schulen zu verbessern. Solothurn, das bisher als einziger Kanton ein staatliches Primarschulmonopol besessen hatte, hob dieses auf und eröffnete damit überhaupt erst die Möglichkeit zu privaten Schulgründungen. In Zürich lehnten Gemeinde- und Kantonsrat parlamentarische Vorstösse zugunsten einer unentgeltlichen Lehrmittelabgabe an Privatschulen ab, während in Bern ein gleichlautender Vorstoss vom Grossen Rat überwiesen wurde [68].
Die Reformtätigkeit richtete sich vor allem auf die Mittelschulen. Auf Anregung des Vereins Schweizerischer Gymnasiallehrer rief die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren eine Expertenkommission zum Studium der « Mittelschule von morgen » ins Leben, der Vertreter der Lehrerschaft von der Primar- bis zur Hochschulstufe angehören [69]. Prof. M. Imboden, der die Maturitätsschulen als Flaschenhals im gesamten höheren Bildungswesen bezeichnete, fasste die Postulate der Reformdiskussion thesenartig zusammen : Vermehrung der klassischen Maturitätstypen durch weitere eidgenössisch anerkannte Abschlussformen — Entwicklung neuer Schulungsmöglichkeiten für Schüler aus bildungsfernen Schichten — Einführung eines Abschlusses nach zehn Schuljahren (Mittlere Reife) als Ausgangspunkt für Berufsschulen für mittlere Kader — Auflockerung der beiden letzten Schuljahre im Sinne eines Wahlfächersystems zur Förderung spezifischer Begabungen — Bildung einer Art schweizerischen Colleges (zwei Abschlussjahre des Gymnasiums und erstes propädeutisches Jahr der Hochschulstufe) [70].
Im November wurde der politisch neutrale Verband schweizerischer Mittelschüler gegründet, der sich die Änderung der Maturitätsverordnung von 1968 zum Ziel setzte, wobei das Hauptgewicht auf die Erziehung zu kritischem Denken und auf eine Entfaltung der schöpferischen Kräfte durch einen aktuellen aktiven Unterricht zu legen wäre [71]: Auf der Primarschulstufe zielte die Reformarbeit neben den Bemühungen um gleiche Bildungschancen für die Mädchen hauptsächlich auf einen einheitlichen Beginn ,des Fremdsprachenunterrichts und auf die Einführung moderner Methoden im Rechenunterricht [72].
Auf dem Gebiet der Lehrerausbildung werden ebenfalls Reformen angestrebt. Eine vom Pädagogischen Institut der Universität Freiburg durchgeführte Strukturanalyse legte den Hauptakzent auf eine eingehendere praktische Vorbereitung der künftigen Lehrer [73]. Während einer Studienwoche diskutierten die Konferenz der Direktoren schweizerischer Lehrerbildungsanstalten und der Schweizerische Pädagogische Verband ein Modell, das eine berufliche Grundausbildung von vier Semestern, eine Betreuung der Junglehrer in den beiden ersten Dienstjahren sowie eine berufsbegleitende Fortbildung umfasst [74].
 
[62] Vgl. SPJ, 1968, S. 128; NBZ, 226, 29.9.69; NZZ, 660, 5.11.69. Ebenfalls eine Revision der Schulartikel der Bundesverfassung forderten die Motionen NR Müller (k.-chr., LU) (Verhandl. B.vers., 1969, I, S. 32), die gleichlautende Motion StR Wenk (soz., BS) (ebenda, S. 49) und das Postulat NR Meyer (rad., LU) (ebenda, S. 31). Die Vorstösse wurden in der Herbstsession überwiesen. Zur Parlamentsdebatte vgl. NBZ, 224, 26.9.69; NZ, 440, 26.9.69; TdG, 226, 27./28.9.69; GdL, 224, 26.9.69.
[63] Vgl. TdG, 23, 28.1.69; 48, 26.2.69; 112, 14./15.5.69; 126, 2.6.69; Lib., 124, 28.2.69; 185, 13.5.69; TLM, 133, 15.5.69; 152, 1.6.69; GdL, 124, 31.5./1.6.69; PS, 123, 4.6.69. Seit dem 1.11. 1969 ist ein Delegierter für die Welschschweizer Koordination im Amt.
[64] Vgl. NZZ, 631, 20.10.69. Der Schweiz. Lehrerverein sprach sich für den Herbstschulbeginn aus (vgl. NZZ, 567, 16.9.69). In einer Eingabe an die Konferenz befürwortete der Zentralverband schweiz. Arbeitgeber-Organisationen eine Beschleunigung der Koordinationsbestrebungen und Herbstschulbeginn (vgl. NZZ, 379, 24.6.69). Im September wurde ein Aktionskomitee für die Koordination des Schulbeginns im Frühjahr gegründet (vgl. NZZ, 536, 2.9.69).
[65] Vgl. SPJ, 1968, S. 128; NZZ, 644, 27.10.69.
[66] Vgl. TLM, 324, 20.11.69; ferner unten, S. 163 f.
[67] Vgl. SPJ, 1968, S. 128; Ostschw., 106, 7.5.69; 257, 6.11.69; 274, 26.11.69; 32, 9.2.70; NZZ, 746, 29.12.69; 83, 19.2.70.
[68] Vgl. zu Solothurn: NZZ, 383, 15.9.69; Bund, 215, 15.9.69; zu Zürich: NZZ, 633, 21.10.69; zu Bern: Bund, 115, 20.5.69.
[69] Präsident der Kommission ist Fritz Egger, Direktor der Zentralstelle für die Weiterbildung der Mittelschullehrer, Luzern (vgl. Lb, 35, 12.2.69).
[70] MAX IMBODEN, Thesen zur Fortentwicklung des föderativen schweizerischen Bildungssystems (vervielf.); Bund, 37, 14.2.69. Vgl. Sonderheft Gymnasium Helveticum, April 1969; KONRAD EUGSTER, « Zur Reform der Mittelschulen, besonders der Gymnasien », in Die Schweiz, Nationales Jahrbuch der NHG, 41/1970, S. 249 ff.
[71] Zur Gründungsversammlung fanden sich 120 Delegierte aus 44 von 150 Mittelschulen ein. Vgl. NZZ, 287, 27.6.69; 667, 10.11.69; Vat., 260, 10.11.69.
[72] Mit diesen Fragen befasste sich die von der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren eingesetzte pädagogische Expertenkommission, in der die Lehrerverbände vertreten sind. Vgl. Lb, 35, 12.2.69.
[73] K. FREY und Mitarbeiter, Die Lehrerbildung in der Schweiz, Weinheim-Basel 1969; dies., Der Ausbildungsgang der Lehrer, Weinheim-Basel 1969. Vgl. NZZ, 476, 6.8.69.
[74] NZZ, 657, 4.11.69.