Année politique Suisse 1970 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
Parteiensystem
Im Prozess eines beschleunigten sozialen Wandels, der insbesondere die Öffentlichkeit und die öffentliche Meinungsbildung neustrukturiert, verlieren die Parteien sukzessiv an Macht und Prestige. Auch 1970 wurde die « Profilneurose » wieder evident
[1]. Der Rollenschwund resultiert aus Einschränkungen und Einbussen verschiedener Pflichten. Die Parteien genügen der Aufgabe als Informationsträger und -vermittler nicht mehr. Sie leiden unter der Perfektionierung der Konkordanzdemokratie sowie unter dem Mangel des Instrumentariums, d.h. dem Mangel an Stäben und finanziellen Mitteln. Um wenigstens den letztgenannten Missstand teilweise auszumerzen, beschloss die Bundesversammlung die Finanzierung der Fraktionssekretariate, was indirekt einer Parteisubventionierung nahekommt
[2]. In den Legislativen der Kantone Aargau und Solothurn wurde die finanzielle Unterstützung der Parteien durch die öffentliche Hand gefordert
[3]. Zweifellos könnten sich die Parteien durch solche Massnahmen wieder besser profilieren.
Ein anderer Tatbestand, der 1970 wie kaum mehr seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund gerückt ist, betrifft die Spannungen im Verhältnis zu den Jugendlichen, welche sozusagen alle schweizerischen. Parteien erfahren
[4]. Das Zerbröckeln traditioneller, ideologischer Fronten im globalen System wirkt sich auch in der Schweiz als Verlust des Konsensus über das nationale Wert- und Normensystem aus. Auf Grund des vermehrten Einfliessens bis anhin tabuisierter Ideen, vornehmlich in jugendliche Schichten, vielleicht auch durch die Anstauung von Aggressionen infolge eines relativen Friedenszustandes, keimen desintegrative Energien auf, welche neue Spaltungslinien in der schweizerischen Parteienkonstellation durchschimmern lassen. Sie sind indes noch nicht fassbar. Nach aussen hin charakterisiert sich die Entwicklung als Generationengegensatz, was aber als Erklärung allein noch kaum genügt. Auch die Einteilung mittels historischer Schablonen wie beispielsweise « links », « rechts », « bürgerlich », « proletarisch » oder gar « faschistisch » mutet in einer komplexen Industriegesellschaft etwas undifferenziert an. Der Prozess einer Reideologisierung und einer gewissen Polarisierung setzte sich indessen auch 1970 fort
[5].
[1] Vgl. ERICH GRUNER, «Parteien und das Einflusspotential des Bürgers in der Politik », in Schweizer Monatshefte, 49/1969-70, S. 1056 if.; RICHARD REICH, « Image und Stellenwert der schweizerischen Parteien in der heutigen Politik », in SJPW, 9/1969 (erschienen Juni 1970), S. 7 ff.; Wie stellt sich ein Parteiloser zum Parteiwesen?, hg. von der Liberalsozialistischen Partei der Schweiz, Bern 1970; «L'avenir de la démocratie en Suisse: le rôle des partis politiques », Spezialnummer der Revue économique et sociale, April 1970 (Arbeitsgrundlage der Journées du Mont-Pèlerin 1970; über die Tagung: GdL, 96, 27.4.70; Bund, 97, 28.4.70; TdG, 101, 1.5.70).
[3] AG (Motion): Berner Tagblatt, 272, 5.10.70; Tat, 244, 17.10.70. SO (Postulat, vorn Kantonsrat überwiesen): NZ, 555, 1.12.70; Bund, 281, 1.12.70; Lb, 282, 3.12.70; NZN, 284, 4.12.70. Ferner: PETER HUG, Die verfassungsrechtliche Problematik der Parteienfinanzierung, Diss. iur., Zürich 1970; LEONHARD NEIDHART, Reform des Bundesstaates, Bern 1970, S. 75.
[4] Vgl. GRUNER, a.a.O., S. 1063 ff.; Ostschw., 10, 14.70; Tages-Anzeiger, 42, 25.2.70; TLM, 242, 30.8.70.
[5] Vgl. SPJ, 1968, S. 151; Lb, 171, 27.7.70; NZZ, 416, 8.9.70; JdG, 21.12.70.
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