Année politique Suisse 1970 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Neue Linke
So war es auch bei der «Schweizerischen Volkspartei» (Parti populaire suisse), die sich nach ihrer Auflösung 1969 im Januar 1970 rekonstituierte [68]. Sie versuchte ihre schmale, china-orientierte Basis zu erweitern, indem neben Maoisten nun auch Stalinisten, Trotzkisten, Anarchisten u.a. zum Beitritt eingeladen wurden! Ihre neuen Sympathien wandten sich der palästinensischen « Befreiungsfront » zu; innenpolitisch will sie u.a. « contre le retour en Suisse des Jésuites et contre l'ouverture de nouveaux couvents» kämpfen [69].
Von den neueren kommunistischen Parteivereinen, die sich vorwiegend in der Westschweiz ausdehnen, waren die « Ligue marxiste révolutionnaire », die von ausgeschlossenen PdA-Mitgliedern im Kanton Waadt gegründet worden war, sowie ihre Schwestergruppe «Rouge» in Genf die einflussreichsten. Sie beabsichtigten, auch in der deutschen Schweiz Fuss zu fassen [70]. Der im Tessin von den Sozialdemokraten abgesplitterte « Partito socialista autonomo» (PSA), konnte sich 1970 konsolidieren; er führte mit der PdA eine Aussprache [71].
Ein Pendant zu diesen Gruppierungen scheint auch in Zürich entstanden zu sein. Der marxistisch-leninistische « harte Kern » der von der politischen Bühne abgetretenen Fortschrittlichen Studentenschaft Zürich fand sich wieder in der « Revolutionären Studentenschaft Zürich » [72]. Ihr gehört das im September aus dem Kantonsrat ausgetretene ehemalige PdA-Mitglied F. Rueb an, das eben noch registriert hatte, dass die « Neue Linke » in Zürich « praktisch vor dem Nichts » stehe [73]. Das wurde von anderen, ebenfalls sich «links» nennenden Grüppchen nicht nur verbal, sondern auch durch Taten, zumal im Zusammenhang mit dem « Autonomen Jugendzentrum Lindenhof », bestritten [74]. Die Kandidatur eines Vertreters der « Autonomen Linken », A. Chanson, bei einer Ersatzwahl in den zürcherischen Stadtrat fand bei den Kommunisten und ihnen nahestehenden Kreisen keine Unterstützung [75]. Es blieb indes auch unklar, ob A. Chanson seinen Schritt um der Publizität, um eines Experimentes oder gar um eines Ulkes willen getan hatte. Jedenfalls veranlasste ihn die geringe ihm zugefallene Stimmenzahl beim zweiten Wahlgang zurückzutreten.
Zwar vereinten sich die verschiedenen Strömungen der extremen Linken, in Zürich, wie in anderen Agglomerationen, bei Demonstrationen, namentlich am 1. Mai [76], dagegen befehdeten sie sich häufig auf ideologischem Gebiet [77]. Versuche, die Kontraste zu überbrücken, führten in einigen Städten zu Zusammenschlüssen von « APO »-Gruppen, welche aber, beispielsweise in Biel, auch wieder auseinanderfielen [78]. Eine gesamtschweizerische Arbeitstagung solcher Gruppen in Baden zeitigte in keiner Weise eine Einheit. Die Teilnehmer beschlossen lediglich die Zustimmung zur Initiative «Recht auf Wohnung» und die Zusammenlegung von zwei ihrer publizistischen Organe, « Zeitdienst » und «Apodaten » [79]. — Zeichnet sich in dieser Entwicklung eine fortschreitende Differenzierung zwischen einer dogmatisch-marxistischen und einer anarchistisch-libertären Linie ab?
P.E.
 
[68] Vgl. SPJ, 1967, S. 154, die neuen Parteistatuten (angenommen im Januar 1970) sowie das Communiqué und die Einladung vom Oktober 1970; Generalsekretär ist immer noch G. Bulliard.
[69] Art. 3 der Parteistatuten. Auch die «Organisation der Kommunisten in der Schweiz» (vgl. SPJ, 1968, S. 158), die 1970 an Terrain verlor (Domaine public; 140, 12.11.70), stellte sich auf die Seite der Araber (vgl. Oktober, 1/1970, Nrn. 2 u. 4; Octobre, 6/1970, Nrn. 35 u. 36).
[70] Vgl. Domaine public, 140, 12.11.70; ferner: GdL, 337, 12.10.70; TdG, 238, 12.10.70; NZZ, 596, 22.12.70; NDB, Berichte, 1970, Nr. 6, S. 17.
[71] Vgl. SPJ, 1969, S. 171. Die PSA zählte im Juni 1970 bereits 545 Mitglieder: CdT, 128, 8.6.70; NZZ, 261, 9.6.70; NZ, 295, 2.7.70; Zeitdienst, 19/15.5.70; 24, 19.6.70. Über Aussprache mit der PdA: NDB, Berichte, 1970, Nr. 2, S. 6 (nach Lavoratore).
[72] Zuerst unter dem Namen « Revolutionäre Aufbauorganisation Zürich »: Zeitdienst/Apodaten, 39, 9.10.70; 41, 23.10.70; NZ, 407, 5.9.70; 522, 12.11.70; NZZ, 554, 27.11.70; NDB, Berichte, 1970, Nr. 6, S. 15 f.
[73] NZ, 407, 5.9.70; 424, 15.9.70; NZN, 215, 15.9.70; vgl. auch Zürcher Student, 47/1969-70, Nr. 7, S. 15 (« 7 Thesen zum Neuaufbau der Neuen Linken »).
[74] Vgl. oben, S. 148; ferner: Zeitdienst/Apodaten, 43, 6.11.70; 50, 31.12.70; 1, 8.1.71 und folgende Nrn.
[75] NDB, Berichte, 1970, Nr. 6, S. 3 (nach Vorwärts); AZ, 265, 14.11.70; vgl. auch oben, S. 33.
[76] Die Parolen richteten sich namentlich gegen den Arbeitsfrieden, vgl. Zeitdienst, 12, 27.3.70; 14, 17.4.70; 16-20, 1.5., 8.5., 15.5.u. 22.5.70; 22, 5.6.70; NDB, Berichte. 1970, Nr. 3, S. 13 ff.; in Genf nahm die PdA an der offiziellen Feier teil: VO, 98, 4.5.70; ferner: TLM, 122, 2.5.70; GdL, 101, 2./3.5.70; TdG, 102, 2./3.5.70; Tw, 102, 4.5.70; PS, 98, 4.5.70.
[77] Vgl. oben, Anm. 73 und 74; ferner Erich Gruner in Bund, 53, 5.3.70; 54, 6.3.70; Walter Hollstein in NZ, 294, 1.7.70; 310, 10.7.70; 318, 15.7.70; Weltwoche, 46, 13.11.70.
[78] Biel: GdL, 12, 16.1.70; TdG, 13, 16.1.70; NZ, 69, 11.2.70; NZZ, 107, 5.3.70; 45, 28.1.71; Zeitdienst/Apodaten, 3, 22.1.71. Basel: NZ, 25, 16.1.70; 29, 19.1.70. St. Gallen: NZ, 303, 7.7.70.
[79] Zeitdienst, 28/29, 17.7.70; 34, 4.9.70; Zeitdienst/Apodaten, 35-37, 11.9., 18.9. u. 25.9.70; NZ, 423, 15.9.70; NZZ (sda), 428, 15.9.70.