Année politique Suisse 1970 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
Grundrechte
Gegen die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, die Art. 45 der Bundesverfassung zulässt, hatte sich 1965 Nationalrat Waldner (soz., BL) mit einer Einzelinitiative gewandt. Die seinerzeit mit der Vorberatung betraute Nationalratskommission nahm im November Stellung, indem sie sich wohl für die volle Freizügigkeit der Bedürftigen aussprach, die Möglichkeit einer Verweigerung der Niederlassung aus sicherheitspolizeilichen Gründen in Ausnahmefällen jedoch beizubehalten empfahl. Sie erwog auch eine Übernahme der Fürsorgeregelung, welche die Kantone im Konkordat über die wohnörtliche Unterstützung vereinbart haben, in die Bundesverfassung. Dem EJPD erteilte sie den Auftrag, Vorschläge für entsprechende Verfassungsänderungen sowie für die Grundzüge einer Ausführungsgesetzgebung zu unterbreiten
[34].
Die Revision der konfessionellen Ausnahmeartikel blieb während des ganzen Jahres im Stadium der Diskussion, da Bundespräsident Tschudi das 1969 eingeleitete Vernehmlassungsverfahren auf Wunsch des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes bis Ende Dezember ausdehnte
[35]. In den bekanntgewordenen Antworten der Kantone und der Parteien zeichnete sich eine gewisse Tendenz zur einfachsten Lösung ab, die in einer blossen Streichung der Artikel 51 und 52 (Jesuiten- und Klosterartikel) bestünde; von einer Komplizierung der Vorlage befürchtete man eine Verminderung der Erfolgsaussichten. Eine Einbeziehung der Artikel 25 bis (Schächtverbot), 49 (Religionsfreiheit), 50 (insbesondere Bistumsklausel) und 75 (Ausschluss der Geistlichen aus dem Nationalrat) wurde gelegentlich empfohlen, jedoch nur in wenigen Fällen direkt verlangt. Allein die BGB erklärte die Einfügung eines Toleranzartikels als prüfenswert. Die Stellungnahmen der evangelischen Kantonalkirchen ergaben ein ähnliches Bild; allerdings enthielten einige von ihnen Kritik an der Missachtung des Grundsatzes der neutralen Staatsschule vor allem in den Kantonen Freiburg und Wallis wie auch an der diplomatisch-kirchlichen Doppelfunktion der Nuntiatur
[36]. Im Schweizerischen Protestantischen Volksbund, der keinen kirchenoffiziellen Charakter trägt, traten nur vereinzelte Sektionen für die Beibehaltung des bestehenden Rechtszustandes ein. Gegen die Gewährung voller Bewegungsfreiheit für die Jesuiten nahm ein Schweizerischer Bund aktiver Protestanten den offenen Kampf auf
[37]. Der Schweizerische Tierschutzverband wandte sich gegen eine Zulassung des Schächtens, das er als Tierquälerei verurteilte
[38].
Als eine Art Test für die Chancen einer Revision der eidgenössischen Ausnahmeartikel konnte man die Wiederherstellung der korporativen Selbständigkeit des Benediktinerklosters Mariastein werten, das der Kanton Solothurn 1874 säkularisiert hatte, ohne aber seine kirchlichen Funktionen völlig aufzuheben. Ein Gutachten Prof. M. Imbodens hatte 1964 festgestellt, dass das Kloster, in welchem stets einige vom Kanton besoldete Benediktiner tätig gewesen waren, ohne Verletzung von Artikel 52 der Bundesverfassung wieder in seine frühere Rechtsstellung eingesetzt werden dürfe. Die Restauration, die mit einer zehnjährigen finanziellen Starthilfe für das verselbständigte Kloster verbunden wurde, begegnete im Grossen Rat keiner Opposition, wohl aber im Abstimmungskampf, wo sich ihr die Jungliberalen mit Berufung auf Artikel 52 widersetzten, allerdings ohne Erfolg
[39]. Eine Eingabe, welche die Rechtmässigkeit des Entscheids anzweifelte, wurde vom Bundesrat negativ beantwortet
[40].
[34] NZZ, 527, 12.11.70. Vgl. Verhandl. B.vers., 1965, III, S. 5.
[36] Für die Stellungnahmen vgl. vor allem die Dokumentation des Jesuiten JOSEF BRUHIN, Der Jesuiten- und Klosterartikel der Schweizerischen Bundesverfassung, Bericht 9 (1970) u. 10 (1971) (vervielf., teilweise abgedruckt in NZ, 358, 7.8.70); ferner für die Parteien Der Ring, 8, 29.5.70 (LdU); Evangelische Woche, 25-33, 19.6.-14.8.70 (Evangelische); Bund, 153, 5.7.70 (FDPS); Vat., 5, 8.1.71 (Christlichdemokraten); für die Kantone Ostschw., 135, 13.6.70 (SZ); 150, 1.7.70 (AG); 188, 14.8.70 (SG); Vat., 171, 27.7.70 (LU); NZ, 362, 10.8.70 (SO); 467, 11.10.70 (BL): 16, 12.1.71 (BS); für die evangelischen Kirchen NZZ (sda), 602, 28.12.70.
[37] Vgl. JOSEF BRUHIN, a.a.O.; ferner NZZ, 329, 19.7.70; 339, 24.7.70; 4, 5.1.71; NZ, 329, 22.7.70; Bund, 274, 24.11.70. Ergebnis einer Umfrage bei ausgewählten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens veröffentlicht in Civitas, 25/1969-70, S. 721 ff.
[39] NZ, 82, 20.2.70; 141, 26.3.70; Lb, 42, 21.2.70; Bund, 128, 5.6.70; 130, 8.6.70; Vat., 155, 8.7.70. Die Annahme erfolgte mit 29 035 : 14 017 Stimmen. Bereits 1941 war die aus ihrem deutschen Zufluchtsort ausgewiesene Mönchsgemeinschaft in das Kloster zurückgekehrt.
[40] Lb, 252, 29.10.70; 16, 20.1.71.
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