Année politique Suisse 1970 : Economie / Politique économique générale / Konjunkturpolitik
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Einzelne Wirtschaftszweige
Die einzelnen Wirtschaftszweige hatten sich vor allem mit Problemen des Arbeitsmarktes auseinanderzusetzen. In den meisten Branchenberichten wurde über die Personalknappheit und die aus diesem Grunde nicht voll ausgelasteten Kapazitäten geklagt [48]. Für die Uhrenindustrie stellte sich eine besondere Frage: es galt abzuklären, was an die Stelle des Ende 1971 auslaufenden Uhrenstatus zu treten habe. Im Februar legte der Bundesrat einen Entwurf zur Vernehmlassung vor, mit dem die 1961 eingeleitete Abkehr von einer über dreissigjährigen Phase der Interventionspolitik besiegelt und die volle Wettbewerbsfreiheit eingeführt werden sollte. Zur Sicherung des guten Rufes der Schweizer Uhr auf dem Weltmarkt schlug er immerhin zwei neue Massnahmen vor: erstens müsse die Herkunftsbezeichnung « Swiss made » für Uhren im Rahmen der schweizerischen Markengesetzgebung verankert werden und zweitens sei dieser Herkunftsschutz mit der seit 1961 bestehenden und jetzt auszubauenden technischen Qualitätskontrolle zu verbinden [49]. Eine dritte Massnahme, die dem Bundesrat die Kompetenz eingeräumt hätte, zur Verhinderung von Missbräuchen die Ausfuhr von Uhren gewissen Vorschriften zu unterstellen, stiess im Vernehmlassungsverfahren auf Widerstand und wurde fallengelassen [50]. Gegen die beiden anderen Neuerungen machte im Nationalrat vor allem der Landesring heftige Opposition. Er lehnte sie als im Widerspruch zur Handels- und Gewerbefreiheit stehend ab und betonte, Qualität erreiche man nicht durch Kontrollen, sondern durch unternehmerische Leistung. Der Nationalrat betrachtete aber die auf zehn Jahre befristete Qualitätskontrolle als weiterhin notwendig und nützlich und genehmigte die beiden Vorlagen in der Gesamtabstimmung mit grossem Mehr [51]. Im Bereiche der Textilindustrie wurde ein neuer Dachverband gegründet, dem sich aber nicht alle Verbände anschlossen [52]. Ein neues Bundesgesetz über die Organisation der Stickerei-Treuhandgesellschaft, das die Ende 1971 auslaufenden Bestimmungen ersetzte, blieb unbestritten und wurde vom Nationalrat in der Wintersession genehmigt [53].
Der Fremdenverkehr konnte wiederum eine Rekordzahl an Übernachtungen in Hotels verzeichnen. Diese nahmen um 6 % zu und erreichten 33,88 Mio [54]. Angaben über die Frequenzen in Ferienwohnungen, Touristenlagern und Campings fehlen weiterhin. Eine solche Statistik wurde vom Direktor der Verkehrszentrale, W. Kämpfen, energisch gefordert. Sie sollte als Grundlage für die Planung des Tourismus dienen [55]. Von einer solchen Planung wurde immer mehr auch gewünscht, sie möchte verhindern, dass der Ausbau der touristischen Einrichtungen den Tourismus selbst zerstöre [56]. Die Fremdenverkehrswirtschaft bemühte sich, mit den neuen Entwicklungen Schritt zu halten. So beschloss der Hotelierverein die Schaffung eines elektronischen Reservationssystems [57]. Wegen des Personalmangels, der durch die strengere Fremdarbeiterregelung noch verschärft wurde, sahen sich die Hoteliers zu Rationalisierungen veranlasst [58]. In der Frage der Nebenanlagen an Nationalstrassen legte das EDI einen Expertenbericht zur Vernehmlassung vor; darin wurde vorgeschlagen, neben den bisherigen « Erfrischungsräumen » eigentliche Restaurants und Motels, aber auch Milchbars auf den Rastplätzen zu schaffen [59].
Der Strukturwandel im Detailhandel nahm seinen raschen Fortgang. Er wurde erleichtert durch die Tatsache, dass die Kleinhandelsumsätze 1970 wiederum stark zunahmen, nämlich um 7,4 % (1969: +6,9 %) [60]. Coop-Schweiz [61], die Toura-Organisation [62] und auch USEGO [63] bemühten sich, ihre Reorganisationsanstrengungen zu einem guten Ende zu führen. Die Eröffnung des Shopping-Centers in Spreitenbach mit seinen 50 Geschäften verschiedener Branchen stellte einen weiteren Markstein im Wandel der Einkaufsgewohnheiten dar und forderte die Geschäfte der Stadtzentren zu neuen Leistungen heraus [64]. Insbesondere wurde die Frage der Öffnungszeiten an verschiedenen Orten neu überdacht [65]. Die Schärfe des Wettbewerbs zeigte sich auch, als Denner auf dem « grauen Markt » Kosmetikartikel beschaffte und diese zu ausserordentlich günstigen Preisen verkaufte [66]. Die auf ähnliche Weise in den Verkauf gelangten Vitamintabletten wurden indessen teilweise beschlagnahmt, und die gerichtliche Auseinandersetzung der Discount-Firma mit den Bierproduzenten endete mit einer Abweisung der von Denner erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde durch das Bundesgericht [67]. Das hinderte Denner nicht daran, die betriebliche Organisation ebenfalls zu straffen und in die Westschweiz vorzudringen [68]. Einen Einbruch in bisherige Wettbewerbsverhältnisse bildete des weiteren der Beschluss der Uhrenfabrik Fortis, aus der Uhren-Konvention auszutreten und ihre Markenprodukte in Warenhäusern zu verkaufen [69]. Der Bericht der Kartellkommission über die Preisbildung auf dem Spirituosenmarkt zeigte in der Rückblende nochmals den Zusammenbruch der Kartellabsprache, die zu einem Preiszerfall geführt hatte [70]. Die neuen Verkaufs- und Verteilformen und das Fallen der Preisbindung der zweiten Hand, die auch am Schweizerischen Juristentag zur Sprache kamen [71], veranlassten die Promarca, ein neues, auf der Leistung beruhendes System der Verkaufskonditionen einzuführen. Die Anwendung dieses Systems sowie die Abklärung der Frage, ob auf Markenartikel weiterhin Richtpreise aufgedruckt werden sollen, überliess die Organisation den einzelnen Branchen [72].
Ein neues Verhältnis fand die Promarca auch zu den Konsumentenschutzorganisationen. Nachdem sie diesen anfänglich feindlich gegenüber gestanden hatte, schloss sie nun ein Abkommen über Richtlinien und Modalitäten für die Durchführung von Warentests mit ihnen ab. Die Stiftung für Konsumentenschutz konnte deshalb mitteilen, dass die in den fünf ersten Jahren ihres Bestehens durchgeführten 32 Tests auf abnehmenden Widerstand und zunehmendes Interesse stiessen [73]. Einer Meinungsumfrage, die ergab, dass 72 % der Befragten die Tests beachteten, wurde allerdings von der Wirtschaftsförderung nur ein geringer Aussagewert zugesprochen [74]. Der Bundesrat seinerseits bewilligte eine budgetierte Subvention an die Stiftung erst im September, was zu Vermutungen über Widerstände aus Industriekreisen gegen diesen Beitrag Anlass gab [75]. Im Sinne des Konsumentenschutzes handelte der Bundesrat auch, als er in einer Verordnung verfügte, dass alle Packungen mit verbindlichen Mengenangaben versehen sein müssen [76]. Die mehr konjunkturpolitisch motivierte Erschwerung der Abzahlungsverkäufe brachte eine Erhöhung der Mindestanzahlung auf 35 % (bisher 30 %) und eine Verkürzung der Höchstdauer von Abzahlungsverträgen auf eineinhalb Jahre (bisher 2 Jahre) [77]. Die Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen hielt ein Verbot für die einzige Möglichkeit, Missbräuche im Zugabewesen zu vermeiden. Das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb sollte nach ihrer Meinung in eine Charta des Wettbewerbs umgestaltet werden [78].
 
[48] Schweizerische Bankgesellschaft, Schweizerisches Wirtschaftsjahr 1970, Zürich 1970; Bulletin der Schweizerischen Kreditanstalt, 76/1970, Dezember.
[49] NZZ, 84, 20.2.70; NZ, 82, 20.2.70; GdL, 42, 20.2.70.
[50] BBI, 1970, II, S. 697 ff.; negativ über den Entwurf äusserte sich vor allem der Verband der Roskopf-Fabrikanten (GdL, sda, 100, 1.5.70; NZZ, 535, 17.11.70); weitere Stellungnahmen in NZZ (sda), 244, 30.5.70; Bund, 124, 1.6.70; GdL, 150, 1.7.70.
[51] JdG, 269, 18.11.70; Sten. Bull. NR, 1970, S. 833 ff.; Tat, 295, 16.12.70.
[52] NZZ, 515, 5.11.70.
[53] BBl, 1970, II, S. 1033 ff.; Sten. Bull. NR, 1970, S. 831 ff.
[54] Die Volkswirtschaft. 44, 1971, S. 72; NZZ (sda), 78, 17.2.71.
[55] Vgl. unten, S. 117; NZZ, 14, 10.1.70; NZ, 28, 19.1.70; 160, 9.4.70; Bund, 267, 15.11.70; NZZ (sda), 288, 25.6.70.
[56] NZ, 250, 5.6.70.
[57] NZZ, 436, 19.9.70; NZZ (sda), 554, 27.11.70.
[58] Vgl. Kleine Anfrage von NR Carruzzo (k.-chr., VS) über die Personalnot im Gastgewerbe (NZZ, 527, 12.11.70); Warnruf der Hoteliers (Bund, 163, 16.7.70; NZN, 173, 28.7.70); Bund, 132, 10.6.70; NZZ, 286, 24.6.70.
[59] NZZ, 222, 16.5.70; 269,14.6.70; 273,16.6.70; TdG. 113, 16./17./18.5.70; Bund, 188, 14.8.70.
[60] Die Volkswirtschaft, 44/1971, S. 71; SPJ, 1969, S. 65.
[61] NZ, 137, 24.3.70; NZZ, 139, 24.3.70; Tw, 70, 25.3.70; NZZ, 271, 15.6.70.
[62] NZZ, 254, 5.6.70.
[63] NZZ, 20, 14.1.70 (Übernahme von Deggo); 92, 25.2.70; in Spreitenbach eröffnete USEGO den ersten, nach dem Franchise-System geführten Piazza-Laden: TA W, 26, 30.6.70.
[64] NZ, 118, 13.3.70; Lb, 239, 14.10.70; vgl. auch Thesen an der 13. Schweizerischen Handelstagung: Ostschw., 229, 1.10.70.
[65] So wurde der Abendverkauf im Kanton SG (Ostschw., 192, 19.8.70; 217, 17.9.70), in Chur (NBüZ, 330, 11.11.70; 349, 26.11.70) und in Olten (NZ, 428, 17.9.70) eingeführt, in Lausanne (GdL, 65, 19.3.70; 87, 16.4.70; 88, 17.4.70; 93, 23.4.70; 97, 28.4.70; 282, 3.12.70; TLM, 79, 20.3.70; 105, 15.4.70) und in Genf (JdG, 110, 14.5.70) diskutiert. In Bern fand eine Umfrage statt: Bund, 23, 29.1.70; 29, 5.2.70; 39, 17.2.70; 91, 21.4.70; Tw, 23, 29.1.70; 36, 13.2.70; 38, 16.2.70; 53, 5.3.70; im Kanton ZH war ein neues Gesetz in Beratung (NZZ, 412, 5.9.70; 428, 15.9.70; 439, 22.9.70; 440, 22.9.70; NZN, 287, 8.12.70).
[66] NZN, 266, 13.11.70; Lb, 266, 14.11.70; Weltwoche, 47, 20.11.70; die Situation auf dem Kosmetikmarkt war von der Kartellkommission als «eigentümlich» bezeichnet worden; vgl. SPJ, 1969, S. 65; NZZ (sda), 165, 11.4.70.
[67] NZZ (sda), 9, 7.1.70; 204, 5.5.70; NZ, 206, 10.5.70; NZZ, 433, 17.9.70; 538, 18.11.70.
[68] NZZ, 47, 29.1.70.
[69] GdL, 4, 7.1.70; 6, 9.1.70; Vat., 4, 7.1.70; Bund, 7, 11.1.70.
[70] Veröffentlichungen der Schweizerischen Kartellkommission, 5/1970, Heft 1. Eine weitere Studie betraf die Kontingentierung bei der Weineinfuhr, vgl. unten, S. 94.
[71] NZ, 418, 11.9.70; NZZ, 481, 16.10.70.
[72] GdL, 129, 6./7.6.70; NZZ, 257, 7.6.70; 450, 28.9.70; Lb, 303, 29.12.70.
[73] NZ, 6, 6.1.70; NZZ, 6, 6.1.70; Tw, 4, 7.1.70; 5, 8.1.70; Lb, 5, 8.1.70.
[74] Tw, 169, 23.7.70; JdG, 199, 27.8.70; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 33/34, 17.8.70.
[75] NZ, 6, 6.1.70; AZ, 76, 4.4.70; NZZ (sda), 424, 12.9.70.
[76] NZZ (sda), 327, 17.7.70.
[77] NZZ (sda), 90, 24.2.70. Vgl. oben, S. 64.
[78] NZZ (sda), 172, 15.4.70.