Année politique Suisse 1971 : Economie / Politique économique générale / Konjunkturpolitik
In den meisten einzelnen Branchen machte — bei aller Verschiedenheit der strukturellen Probleme — die Konzentration weitere Fortschritte. Am aufsehenerregendsten war dabei die Übernahme des eben erst zusammengeschweissten Ursina–Franck-Konzerns durch Nestlé. Die staatsrechtliche Beschwerde, welche die FUSAG im Namen einiger Aktionäre gegen den Fusionsbeschluss erhob, wurde vom Bundesgericht einstimmig abgelehnt
[50]. In der
Uhrenindustrie kam es zum Zusammenschluss der beiden bedeutendsten Firmengruppen des Anker- und des Roskopfuhrensektors und zum Verkauf einer bedeutenden Firma an eine amerikanische Gruppe
[51]. Anlass zu Diskussionen gab aber auch die Absicht der ASUAG, der in der Krisenzeit entstandenen Rohwerk-Holding, ihren ursprünglichen Bereich der Zulieferung zu sprengen und in die Fertiguhrenproduktion vorzustossen. Die in der Fédération Horlogère zusammengefassten Fertiguhrenfabrikanten befürchteten eine Diskriminierung der nicht zur ASUAG gehörenden Etablisseure. Das Problem stellte sich um so schärfer, als der Bund grösster Aktionär der ASUAG ist und so zum grössten Uhrenhändler zu werden drohte
[52]. Zu Spannungen innerhalb der Uhrenindustrie kam es auch wegen der Massnahmen, die das auf Ende 1971 auslaufende Uhrenstatut ersetzen sollten. Es ging darum, die schweizerische Herkunftsbezeichnung für Uhren (swiss made) gesetzlich zu verankern und mit einer obligatorischen technischen Qualitätskontrolle zu verbinden. Gegen die Qualitätskontrolle opponierten in erster Linie die Roskopf-Fabrikanten. Nachdem der Ständerat gegen den Widerstand des Landesring-Vertreters die genannten Massnahmen — gleich wie der Nationalrat im Vorjahr — in der Frühjahrsession genehmigt hatte, verzichteten die Roskopf-Fabrikanten allerdings auf ein Referendum
[53]. Die schweizerische Schuhindustrie geriet in eine gewisse Bedrängnis. Die Schliessung einer sich in deutschem Besitz befindlichen Fabrik veranlasste Arbeitnehmerorganisationen gegen « unvernünftige, rücksichtslose Schuheinfuhren » zu protestieren
[54].
Die Versicherungsgesellschaften, die mit Ständerat Broger (cvp, AI) erstmals einen Ombudsmann einsetzten, waren mit drei Problemen konfrontiert: die Grossrisiken erschwerten eine angemessene Prämienberechnung, die Geldentwertung zehrte an der Substanz, und schliesslich drängten die Probleme des Wettbewerbs, was im Fall der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung besonders deutlich wurde
[55]. Das Wachstum des Fremdenverkehrs, gemessen an den Übernachtungen, verlangsamte sich 1971 leicht
[56]. Bei verschiedener Gelegenheit wurde darauf hingewiesen, dass eine ungebändigte Ausdehnung des Tourismus in der Schweiz auch negative Folgen haben könnte. Man müsse qualitative Wachstumsziele in den Vordergrund stellen, die bedrohte natürliche Infrastruktur schützen und weitere Erschliessungen nur noch nach konsolidierten regionalpolitischen Leitbildvorstellungen zulassen
[57]. In diesem Zusammenhang ist auch ein Entwurf des Eidg. Amtes für Verkehr zur Revision der Verordnung über Skilifte und Luftseilbahnen zu sehen: die Kontrolle soll verschärft und Konzessionen nur noch dann erteilt werden, wenn die Belange der Raumplanung berücksichtigt sind
[58].
Im Bereiche des
Detailhandels machte die Konzentration ebenfalls weitere Fortschritte. Die wieder erstarkte USEGO-Gruppe übernahm die Waro AG und bei Coop fusionierten weitere Genossenschaften
[59], während die am raschesten expandierende Denner AG vergeblich versuchte, den Konsum-Verein Zürich (KVZ) zu übernehmen. Das Vorhaben scheiterte an den Kleinaktionären der traditionsreichen Zürcher Unternehmung
[60]. Die Schärfe des Wettbewerbs wurde bei verschiedenen kleinen Auseinandersetzungen deutlich. So erhoben sich aus Kreisen des Vororts und des Gewerbeverbandes Stimmen gegen die 1970 in Kraft getretene Eichverordnung; es wurde an deren Rechtlichkeit und Praktikabilität gezweifelt. Von den Konsumentenorganisationen und von Migros wurde die Ordnung hingegen als fortschrittlich verteidigt
[61]. Der Bundesrat vereinfachte die Ausverkaufsordnung insofern, als er für die Zukunft nur noch drei Arten von Verkaufsveranstaltungen zuliess: Total- und Teilausverkäufe sowie Sonderverkäufe
[62]. In zwei weiteren Fällen sorgte Denner für wettbewerbspolitische Unruhe. Mit dem Verkauf von Vitamin-C-Brausetabletten zu einem Preis, der etwa ein Drittel des in den Drogerien verlangten ausmachte, löste die Firma, von Migros später nachhaltig unterstützt, nicht nur eine lebhafte Diskussion um die gesundheitliche Wirkung dieses Präparats, sondern auch einen Erosionsprozess am Heilmittelmarkt aus
[63]. Zudem protestierte Denner gegen die Allgemeinverbindlicherklärung der Biersteuer-Erhöhung, die der Bundesrat im Anschluss an die Erhöhung des Bierpreises verfügte
[64]. Die gleiche Firma erhielt zudem durch einen bundesgerichtlichen Entscheid endgültig das Recht zugesprochen, Bier unter eigenem Namen zu verkaufen
[65]. Die kartellistische Situation auf dem Biermarkt soll überdies im Rahmen der breitangelegten Konzentrationserhebung der Kartellkommission neu überprüft werden
[66]. Für diese Kommission, die 1971 Berichte über Spirituosenmarkt, Papier- und Kartonmarkt, über die Einfuhr von Hartweizen sowie über die Verhältnisse in der Kioskbranche veröffentlichte
[67], rückte das Problem der Preisbindung der zweiten Hand in den Hintergrund. Sie hatte sich vermehrt den wettbewerbspolitischen Folgen der Konzentrationsbewegung zuzuwenden
[68]. Zu Beginn des Jahres wurden an zwei Tagungen ebenfalls die Fragen der Konzentration erörtert. Dabei wurde einerseits auf den betriebswirtschaftlich und technisch begründeten Drang zur Fusion, anderseits aber auch auf die nachteiligen Auswirkungen des «Gigantismus» auf das Personal und auf die Möglichkeiten der kreativen Selbständigkeit hingewiesen
[69].
Der
Konsumentenschutz wurde intensiviert: in Bern wurde die erste «Verbraucher-Poliklinik » eröffnet. Die Bundesstadt unterstützte diese Auskunftsstelle
[70]. Das Verlangen nach vermehrter Unterstützung der Konsumentenschutzorganisationen auch auf eidgenössischer Ebene konnte vom Bundesrat noch nicht erfüllt werden, da hiezu eine Verfassungsgrundlage fehlt
[71]. Immerhin wurde von der Kommission für Konsumentenfragen die Einführung eines Konsumentenschutzartikels in der Bundesverfassung geprüft. Interessierten Kreisen gab Bundesrat Brugger Gelegenheit, sich zum Fragenkreis zu äussern
[72]. Im Sinne eines verbesserten Käuferschutzes war auch die Einzelinitiative von Nationalrat Deonna (lib., GE), der als erster Parlamentarier von seinem Recht Gebrauch machte, einen fertigen Gesetzesentwurf einzureichen. Es ging ihm darum, in einem neuen Gesetz über Abzahlungs- und Vorauszahlungsgeschäfte Missbräuche besser zu bekämpfen. Sein Entwurf wurde in ein Vernehmlassungsverfahren geschickt
[73]. Zu einer aller dings umstrittenen Art von Selbsthilfe griffen welsche Hausfrauen. Um gegen die anhaltende Teuerung zu protestieren, organisierte der Westschweizer Konsumentinnenbund im November einen zehntägigen Einkaufsstreik. Für diese Zeit wurden die Hausfrauen aufgefordert, die Einkäufe auf das Notwendigste zu beschränken. Trotz der Unterstützung durch Bundesrat Celio hatte die Aktion nur einen mässigen Erfolg. Sie dehnte sich nicht auf andere Landesteile aus
[74].
[50] Bund, 9, 13.1.71; 104, 6.5.71; GdL, 105, 7.5.71; NZZ, 431, 16.9.71; 510, 2.11.71.
[51] SSIH (Société Suisse pour l'Industrie Horlogère) wird durch die Fusion mit ESTH (Economic Swiss Time Holding) zum drittgrössten Uhrenkonzern der Welt: NZZ, 60, 6.2.71; 61, 7.2:71; TLM, 153, 2.6.71.
[52] NZZ, 13, 10.1.71; 82, 19.2.71; 529, 12.11.71; AZ, 28, 4.2.71.
[53] Vgl. SPJ, 1970, S. 67; Sten. Bull. StR., 1971, S. 78 ff., 204. AS, 1971, S. 1897 ff.; Tat, 14, 18.1.71; Bund, 27, 3.2.71; 41, 19.2.71; NZ, 141, 27.3.71.
[54] TA, 250, 26.10.71; NZZ (sda), 472, 11.10.71; 506, 30.10.71; NZ, 501, 31.10.71; vgl. auch Ww, 6, 2.2.71; NZ, 298, 4.7.71; 306, 8.7.71 (Schwierigkeiten der Firma Bally); gk, 30, 4.11.71.
[55] Vgl. unten, S. 105; Bund, 17, 22.1.71; NZZ, 240, 26.5.71; NZ, 582, 17.12.71; TA, 299, 22.12.71.
[56] Die Zahl der Übernachtungen stieg um 1,9 % (1970: +6 %) auf 36,33 Mio: Die Volkswirtschaft, 45/1972, S. 93.
[57] NZZ, 303, 3.7.71 (Prof. P. Stocker); Bund, 204, 2.9.71 (Prof. P. Risch); AZ, 182, 7.8.71 (W. Kämpfen); vgl. auch NZZ, 470, 9.10.71.
[59] NZZ, 149, 30.3.71; 476, 13.10.71; AZ, 74, 30.3.71; Lb, 133, 12.6.71. Vgl. auch Kleine Anfrage von NR Fischer (fdp, BE) betr. Konzentration im Detailhandel (Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 49, 3.12.71).
[60] NZZ, 197, 30.4.71; 205, 5.5.71; 218, 12.5.71; 513, 3.11.71.
[61] Tat, 73, 27.3.71; AZ, 162, 15.7.71; NZZ, 348, 29.7.71; 374, 13.8.71; NZZ (sda), 356, 3.8.71.
[62] Bund, 62, 16.3.71; Tw, 68, 23.3.71.
[63] Vgl. unten, S. 137; NZZ, 442, 23.9.71; 609, 30.12.71; NZ, 559, 3.12.71.
[65] Antwort auf Kleine Anfrage von NR Breitenmoser (cvp, BS) NZZ (sda), 376, 15.8.71; NZZ, 554, 28.11.71.
[66] NZZ (sda), 68, 11.2.71; 296, 29.6.71; NZZ, 456, 1.10.71; 554, 27.11.71; 591, 19.12.71; 610, 31.12.71.
[67] Veröffentlichungen der schweizerischen Kartellkommission, 5/1970, Heft 3/4 (Papier- und Kartonmarkt); 6/1971, Heft 1 (Spirituosen), Heft 2 (Hartweizen) und Heft 3 (Zeitungs- und Zeitschriftenvertrieb in Kiosken).
[68] Vgl. Antworten des Bundesrates auf Kleine Anfragen der NR Aebischer (evp, BE) (Bund, 47, 26.2.71) und Fischer (fdp, BE) (TA, 258, 4.11.71). Vgl. auch NZZ, 142, 26.3.71; BN, 127, 26.3.71.
[69] Tagung der Marketingleiter sowie Tagung im Studienzentrum Boldern; vgl. NZZ, 40, 26.1.71; 101, 2.3.71; 104, 4.3.71; NZ, 284, 25.6.71; JdG, 249, 26.10.71.
[70] AZ, 79, 5.4.71; Tat, 89, 17.4.71; NZ, 353, 5.8.71.
[71] Vgl. Überweisung des Postulats von NR Bratschi (sp, BE) Sten. Bull. NR, 1971, S. 472 f.; AZ, 126, 3.6.71; gk, 29, 26.8.71.
[72] TLM, 224, 12.8.71; AZ, 188, 14.8.71; GdL, 192, 19.8.71; Gewerkschaftliche Rundschau, 63/1971, S. 354 ff.
[73] NZ (upi), 247, 4.6.71; NZZ, 420, 9.9.71; NZZ (sda), 381, 18.8.71; 549, 24.11.71.
[74] GdL, 256, 3.11.71; TLM, 307, 3.11.71; 311, 7.11.71; TdG, 256, 3.11.71; VO, 255, 4.11.71; JdG, 271, 20./21.11.71; NZZ, 517, 5.11.71; 581, 13.12.71.
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