Année politique Suisse 1971 : Chronique générale / Finances publiques
 
Finanzausgleich und Steuerharmonisierung
Die Probleme des Finanzausgleichs und der Steuerharmonisierung konnten mit der Annahme der Bundesfinanzierung nicht als gelöst betrachtet werden. Es waren denn auch eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten [15] und von politischen Vorstössen zu verzeichnen, die sich mit der Vereinheitlichung des Steuerrechtes und der Beseitigung von ungerechtfertigten Ungleichheiten auseinandersetzten.. So wurde etwa im Berner Grossen Rat ein Postulat erheblich erklärt, das forderte, der Kanton solle bei den Bundesbehörden vorstellig werden, « um die interkantonale Steuerkonkurrenz in vernünftige Grenzen zurückzuführen » [16]. Auch das Centre patronal romand zog gegen die gegenseitige Steuerunterbietung zu Felde und lancierte das Projekt eines interkantonalen Konkordats, mit dem zwischen den Kantonen eine Minimalbelastung von Einkommen und Vermögen bei natürlichen Personen sowie von Kapital und Gewinn bei juristischen Personen vereinbart werden sollte. Die darin vorgesehenen Steuerminima würden Uri, Nidwalden, Baselland und Zug zu Steuererhöhungen zwingen [17]. Auch die von den kantonalen Finanzdirektoren eingesetzte Kommission zur Vereinheitlichung des Steuerwesens, die nach ihrem Präsidenten benannte Kommission Ritschard, kündigte ihre Absicht an, die Steuerharmonisierung auf dem Konkordatsweg zu realisieren. Als Basis für die Vereinheitlichung des Steuerrechts soll ein Mustergesetz dienen. Dieses wurde den Kantonen bereits zur Vernehmlassung unterbreitet. Es musste aber auch noch auf das zu schaffende neue West-Gesetz abgestimmt werden. Es dürfte zudem keine einheitliche Steuerskala für natürliche Personen vorsehen [18]. Da eine wirkungsvolle Steuerharmonisierung und ein gleiches Ausschöpfen aller Steuerquellen durch alle Kantone als Vorbedingung für eine Neuordnung des Finanzausgleichs betrachtet wurde, wurde eine rein formale Harmonisierung als ungenügend kritisiert und zudem bezweifelt, dass der komplizierte Weg des Konkordats zum Ziel führen werde [19]. Nationalrat Biel (Idu, ZH) reichte deshalb eine neue Motion ein, mit der er den Bundesrat aufforderte, eine grundlegende Reform des schweizerischen Steuerwesens auszuarbeiten, die vorhandenen Steuerprivilegien auszumerzen und die Bemessungsgrundlagen, ihre Ermittlung und die Grundtarife einheitlich zu regeln [20]. Es wurde zudem bekannt, dass der Landesring eine fixfertige Steuerinitiative bereit halte, deren Lancierung er allerdings noch für inopportun betrachte [21]. Nationalrat Binder (cvp, AG) verlangte seinerseits in einer grundsätzlichen Motion eine Neuverteilung der Aufgaben, sowie die entsprechende Zuweisung der Finanzierungsquellen zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden [22].
Bei der Budgetdebatte im Nationalrat stellte Bundesrat Celio fest, dass ein allfälliges Arrangement mit der EWG nach einem Zeitraum von fünf Jahren Ausfälle bei den Zolleinnahmen im Umfang von etwa 1 Mia Fr. jährlich zur Folge haben dürfte. Er zeigte sich deshalb überzeugt, dass die Schweiz ohne eine namhafte Erhöhung des Umsatzsteuerertrages und daher ohne die Einführung eines eigenen Systems einer Mehrwertsteuer auf die Dauer nicht auskommen werde [23]. Die Kommission Rohner, die mit dem Studium neuer Einnahmequellen für den Bund beauftragt war, hätte bereits Grundzüge für ein solches System skizziert [24]. Eine Annäherung an ausländische Steuersysteme drängte sich nach der Meinung kritischer Stimmen auch deshalb auf, weil die Schweiz immer mehr zu einer « Steueroase für ausländische Millionäre » werde. Aufsehen erregte vor allem der Fall des deutschen Milliardärs Horten, der im Kanton Tessin auf legale Weise zu ausserordentlichen Steuervorteilen gelangte [25]. Erste Konzessionen musste die Schweiz in einem Doppelbesteuerungsabkommen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland machen [26].
 
[15] DIONYS LEHNER, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen im Hinblick auf eine Bundesfinanzreform, Bern 1971; WALTER WITTMANN, Bundesstaatlicher Finanzausgleich, Eine Globalbilanz, Zürich 1971 (Zeitfragen der schweizerischen Wirtschaft und Politik, 101); BN, 264, 29.6.71; 266, 30.6.71. Den Zusammenhang zwischen Finanzpolitik und Strukturpolitik zeigt sehr deutlich auf: FRANK RÜHL, «Staatsfinanzen und Strukturpolitik: Einige Gedanken in zukünftiger Absicht », in Die Schweiz, Jahrbuch der NHG, 43/1972, S. 217 ff.
[16] NZ, 66, 11.2.71.
[17] GdL, 115, 19.5.71; BN, 288, 14.7.71; Lb, 197, 26.8.71.
[18] TA, 181, 6.8.71; 194, 21.8.71; Tw, 184, 10.8.71; NZZ (sda), 488, 20.10.71 NZZ. 268, 13.6.71.
[19] Vgl. dazu CVP, Aktionsprogramm 71, S. 26 f.; FDP, Zielsetzungen 71, S. 23; AZ, 112, 15.5.71; Tw, 148, 29.6.71; NZN, 188, 14.8.71.
[20] Tat, 61, 13.3.71; Verh. B.vers., 1971, I/II, S. 20.
[21] BN, 338, 14./15.8.71; vgl. auch HEINZ HALLER, WALTER BIEL, Zukunftsgerechte Finanzreform für die Schweiz; ein finanzwissenschaftliches Gutachten und die darauf gestützten finanzpolitischen Vorstösse, Zürich 1971.
[22] Verh. B.vers., 1971, V, S. 23; Vgl. oben, S. 24.
[23] Sten. Bull. NR, 1971, S..1523.
[24] Bund, 287, 8.12.71; NZZ, 591, 19.12.71; mit der Frage hat sich eine Arbeitsgruppe der Liberal-demokratischen Union intensiv auseinandergesetzt, vgl. GdL, 244, 20.10.71.
[25] AZ, 5, 8.1.71; 7, 11.1.71; 9, 13.1.71; 123, 29.5.71; Vat., 9, 13.1.71; Lb, 19, 23.1.71; TLM, 61, 2.3.71.
[26] Vgl. oben, S. 83.