Année politique Suisse 1971 : Infrastructure, aménagement, environnement / Sol et logement
Mietwesen
Unbestritten blieb in beiden Räten die Einzelinitiative von Nationalrat Caroni (cvp, TI), der den
Schutz der Mieter nach OR auch auf Kündigungen wegen Verkauf der Mietsache und wegen Tod des Mieters ausdehnen wollte
[34]. Die Einzelinitiative von Nationalrat Brunner (fdp, ZG), der die Eigentümer von Wohnliegenschaften mit mehr als vier Wohnungen verpflichten wollte, den Mietern jährlich eine Rechnung auszuhändigen, stiess auf den Widerstand namentlich des Hauseigentümerverbandes. Dieser bezeichnete eine gesetzliche Auskunftspflicht als untragbare Zumutung. Die Nationalratskommission beschloss zwar Eintreten auf die Initiative, vertagte aber die Beratungen
[35]. Der Zentralsekretär des Hauseigentümerverbandes, Nationalrat Raissig (fdp, ZH) reichte seinerseits eine Motion ein. Er wollte im Strafgesetzbuch den neuen Tatbestand des Mietzinswuchers einführen
[36]. Die schärfsten Forderungen auf dem Gebiete des Mieterschutzes erhob das Mouvement populaire suisse des familles (MPF). Es erklärte sich vom Entwurf zum Wohnbauartikel unbefriedigt und kündigte die Lancierung einer neuen Volksinitiative an. Der Text dieses Vorstosses sah die Blockierung der Mietpreise in Gegenden mit Wohnungsnot vor. Der Bundesrat sollte zudem die Kompetenz erhalten, im Bereiche des Wohnungsmarktes von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen. Die PdA unterstützte das MPF
[37]. In Zürich reichte sie zudem eine Initiative ein, die den Kanton veranlassen wollte, mit einer Standesinitiative einen wirksamen Mieterschutz zu fordern
[38]. Die Association vaudoise des locataires forderte ebenfalls gegen Ende des Jahres in einer mit über 50 000 Unterschriften versehenen Petition mit dem Titel « SOS loyers » unter anderem, dass Hypothekarzinserhöhungen nicht einfach auf die Mieter überwälzt werden sollten
[39]. Die Idee der Wiedereinführung einer Mietpreiskontrolle erhielt zusätzlichen Auftrieb, als Bundesrat Celio seiner Überzeugung Ausdruck gegeben hatte, dass es ein Fehler gewesen sei, in den Grossstadtagglomerationen die Mietzinsüberwachung abzuschaffen
[40].
Von verschiedener Seite vorgetragene Vorschläge konzentrierten sich auf die Frage der Finanzierung des Wohnungsbaus. Der Bundesrat setzte eine Arbeitsgruppe ein, die überall dort nach Abhilfe suchen soll, wo der
Bau preisgünstiger Wohnungen an der Finanzierung zu scheitern droht
[41]. Die Nationalräte von Arx (cvp, ZH) und Flubacher (fdp, BL) reichten Motionen ein, mit denen sie eine Förderung des Wohnungs- und Hauseigentums über eine bessere Finanzierungshilfe durch den Bund anstrebten
[42]. Die Bankiervereinigung empfahl den Banken, der Finanzierung des Baus preisgünstiger Wohnungen eine verstärkte Präferenz einzuräumen; die Kreditzuwachsbegrenzung wurde für die Zwecke des Wohnungsbaus leicht gelockert
[43]. Die Banken selbst entwickelten verschiedene Modelle, mit deren Hilfe die Finanzierungsprobleme gelöst werden sollten; auch ein neues Bürgschaftssystem des Hauseigentümerverbandes sollte zu einer breiteren Streuung des Wohnungseigentums beitragen
[44].
Dass das Wohnungsproblem namentlich in den grossen Städten noch keineswegs gelöst ist, zeigte sich auch an zum Teil heftigen Auseinandersetzungen auf regionaler und kantonaler Ebene. Während in der deutschen Schweiz die Idee des Wohnfriedens durch die Schaffung paritätischer Schlichtungsstellen und eines Mustermietvertrages vor allem durch den Hauseigentümerverband stark vorangetrieben wurde
[45], stiess in der Westschweiz die zwischen Vermietern und Gewerkschaften abgeschlossene Konvention auf die Kritik von Mieterverbänden und des MPF
[46]. In Lausanne kam es zu einem Protestmarsch, an dem sich etwa 2000 Mieter beteiligten
[47]. Im Genfer Eaux-Vives-Quartier führten Mieter eine Demonstration durch, während sie in Plainpalais einen Park besetzten
[48]. Aber auch in Basel wurde ein Haus vorübergehend besetzt. Zudem wurden nicht weniger als drei verschiedene Initiativen «zur Verteidigung des Wohnraums» lanciert
[49]. Schliesslich kam auch im Kanton Zürich eine Initiative der Sozialdemokraten zustande, die gegen den Häuserabbruch gerichtet war. An der Venedigstrasse hatten die Mieter ein zum Abbruch bestimmtes Haus besetzt und waren von der . Polizei vertrieben worden, was zu einer Demonstration von unzufriedenen Mietern und zu Auseinandersetzungen im Gemeinderat geführt hatte
[50].
[34] BBI, 1971, II, S. 613 f.; 806 f.; 1984 f.; Sten. Bull. NR, 1971, S. 1177 ff.; 1712; Sten. Bull. StR, 1971, S. 774 f.; 883.
[35] Verh. B.vers., 1971, V, S. 10; TA, 143, 23.6.71; 209, 8.9.71; NZZ, 290, 25.6.71; 446, 25.9.71; 478, 14.10.71; AZ, 196, 24.8.71.
[37] GdL, 225, 8.9.71; VO, 258, 8.11.71; 279, 2.12.71; TLM, 313, 9.11.71; TA, 262, 9.11.71; NZZ, 588, 17.12.71.
[39] GdL, 294, 17.12.71; NZZ (sda), 590, 18.12.71.
[40] AZ, 215, 15.9.71; Tw, 227, 29.9.71; NZ, 525, 14.11.71.
[41] NZZ, 124, 16.3.71.; AZ, 63, 17.3.71.
[42] Verh. B. vers., 1971, V, S. 21; S. 29; NZZ, 292, 27.6.71; NZN, 224, 25.9.71.
[43] NZZ (sda), 162, 7.4.71; vgl. oben, S. 77.
[44] Bulletin der Schweiz. Kreditanstalt, 77/1971, Oktober, S. 14 ff.; NZZ, 116, 12.3.71; 547, 26.11.71; Bund, 78, 4.4.71; Lb, 190, 18.8.71; BN, 338, 14./15.8.71; WALTER GULDIMANN, Gesunder Wohnungsmarkt, ein nationales Anliegen, Basel 1971.
[45] Stellungnahmen der Hauseigentümer: NZZ (sda), 176, 18.4.71; 277, 18.6.71; Bund, 101, 3.5.71; NZZ, 248, 1.6.71. Generalversammlung des Mieterverbandes: NZ, 287, 28.6.71.
[46] VO, 11, 15.1.71; 48, 27.2.71; 138, 19.6.71; 139, 22.6.71; TLM, 156, 16.5.71; 181, 29.6.71; TdG, 253, 30./31.10.71.
[47] TLM, 184, 3.7.71; GdL, 152, 3./4.7.71; VO, 238, 15.10.71; TdG, 279, 30.11.71.
[48] JdG, 132, 10.6.71; VO, 130, 10.6.71; TdG, 135, 14.6.71.
[49] NZ, 310, 28.7.71; 400, 1.9.71; 402, 2.9.71.
[50] NZZ, 154, 2.4.71; 157, 4.4.71; 158, 4.4.71; 170, 14.4.71; AZ, 79, 5.4.71; 82, 8.4.71; 108, 11.5.71.
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