Année politique Suisse 1971 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Grund- und Mittelschulen
Im Bereich der Primar- und Mittelschulen wurde einerseits die Koordinationsfrage weiterverfolgt, anderseits aber vermehrt zum Ausdruck gebracht, dass sich äussere Umstellungen ohne innere Schulreform nicht rechtfertigen liessen [12]. Der Bundesrat legte nunmehr den eidgenössischen Räten einen Bericht zur Schulkoordinationsinitiative vor. Darin empfahl er eine Ablehnung des Volksbegehrens und betonte, dass der Schulhoheit der Kantone eine grosse staatspolitische Bedeutung zukomme.; der Bund habe auf eigene Initiativen zu verzichten, solange die Kantone ihre Aufgaben befriedigend zu lösen vermöchten [13]. Am 9. Juni trat das Konkordat über die Schulkoordination, nachdem ihm die erforderlichen zehn Kantone beigetreten waren, in Kraft. Bis zum Jahresende hatten 18 Kantone das Konkordat ratifiziert [14]. Die Hoffnung des Bundesrates, dass damit den Kantonen ein Instrument zur Verfügung stehe, das es gestatte, die Anliegen der Initiative unter Wahrung der kantonalen Schulhoheit weitgehend zu verwirklichen, wurde indessen von den Befürwortern einer Bundeslösung nicht geteilt. Insbesondere sah sich das Initiativkomitee noch nicht veranlasst, die Initiative zurückzuziehen, da es die Verbindung von Konkordat und Bildungsartikelentwurf nicht als genügende Alternative betrachtete [15].
In weiteren Kantonen wurden die Anpassungen vollzogen, die der Beitritt zum Schulkoordinationskonkordat erforderte [16]. In Zürich fiel der Volksentscheid über den Herbstschulbeginn überaus knapp aus, was die Gegner veranlasste, durch eine Gesetzesinitiative die Rückgängigmachung des Umstellunggesetzes zu verlangen [17]. Die Berner Regierung musste eine abstimmungsreife Vorlage zurückziehen, da die Zulassung verschiedener Termine für den Schuljahrbeginn schwere Bedenken erregte. Bis zum Jahresende konnte keine neue Vorlage verabschiedet werden [18]. Damit schien die Vereinheitlichung des Schuljahrbeginns in den beiden bevölkerungsreichsten Kantonen noch keineswegs gesichert.
Die Zusammenarbeit der Kantone beschränkte sich jedoch nicht auf Organisationsfragen, sondern betraf auch das Gebiet der Schulreform. Die von der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren 1969 eingesetzte Kommission « Mittelschule von morgen» veröffentlichte einen Zwischenbericht, der für die Dauer der obligatorischen und nichtobligatorischen Schulzeit (1.-13. Schuljahr) eine Gesamtschule postulierte. Für das 5.-9. Schuljahr sollte es sich um eine differenzierte Gesamtschule handeln, das heisst der Unterricht wäre in Kern- und Wahlpflichtfächer aufzuteilen und die ersteren in Niveaukursen (mit wechselnder Schülerzusammensetzung) zu unterrichten. Auch das 10.-13. Schuljahr wäre als differenzierte oder aber als additive Gesamtschule, das heisst mit festen Klassenzügen, jedoch unter Beibehaltung der Durchlässigkeit, zu führen. Die Kommission empfahl, die Experimentiertätigkeit auszuweiten und zugleich zu koordinieren [19]. Damit hatte die öffentliche Diskussion um eine grundlegende Schulreform, die durch den ersten Gesamtschulversuch in Dulliken (SO) [20] eine starke Belebung erfahren hatte, eine breitere Basis erhalten [21]. Im Kanton Waadt wurden vom Grossen Rat Schulversuche in der Art des in Genf seit zehn Jahren erprobten Cycle d'orientation, einer additiven Gesamtschule mit grosser Durchlässigkeit, beschlossen [22].
Die Schülerunruhen des vorangegangenen Jahres hatten zu Untersuchungen über Lehrmethoden in Genf und Aarau geführt. In beiden Fällen kamen die Untersuchungskommissionen zum Schluss, dass von einer Indoktrinierung der Schüler gegen das bestehende Gesellschaftssystem kaum gesprochen werden könne; die Schule als freiheitliche Bildungsinstitution habe die Pflicht, die Schüler zu kritischem Denken zu erziehen [23].
Die Expertenkommission « Volksschullehrerbildung von morgen », die 1970 von der Erziehungsdirektorenkonferenz eingesetzt worden war [24], kündigte erste Empfehlungen für eine Verbesserung der Lehrerausbildung auf Ende 1973 an. Erste Aussprachen hatten zur Forderung geführt, dass die Grundausbildung in der ganzen Schweiz intensiviert und vermehrt auf wissenschaftliche Grundlagen gestellt werden sollte. Sie sei durch eine Betreuung der Junglehrer während der ersten zwei Dienstjahre und durch obligatorische Fortbildungskurse während der ersten acht Dienstjahre zu ergänzen [25]. Regionale Zusammenarbeit in der Lehreraus- und -weiterbildung vereinbarten die Erziehungsdirektoren der Ostschweiz und diejenigen der Innerschweiz [26].
 
[12] NZZ, 73, 14.2.71; 249, 2.6.71.
[13] BBI, 1971, II, S. 1001 ff.
[14] Mitteilungen der Schweizerischen Dokumentationsstelle für Schul- und Bildungsfragen (vorher Zentrale Informationsstelle für Fragen des Schul- und Erziehungswesens in der Schweiz: NZZ, sda, 32, 21.1.71), 10/1971, Nr. 40, S. 9: bis Jahresende traten dem Konkordat folgende Kantone bei: 1970: AI und NE. 1971: OW, SO, VD, BL, GL,NW, LU, UR, SZ, ZG, GE, ZH, SG, VS, AR, FR.
[15] NBZ, 128, 5./6.6.71; TA, 226, 28.9.71; NZZ, 464, 6.10.71.
[16] Es handelt sich um die Kantone AI, ZG, LU, SG, UR und VS. Vgl. unten, S. 172 f.
[17] NZN, 129, 7.6.71; NZZ, 412, 5.9.71; 474, 12.10.71; 21, 13.1.72.
[18] Bund, 214, 14.9.71; 274, 23.11.71.
[19] NZZ (sda), 67, 10.2.71.
[20] Vgl. SPJ. 1970, S. 149 f.; zum Versuch siehe Erziehungs-Departement des Kantons Solothurn, Schulversuch Gesamtschule Dulliken, 2. Bericht, Solothurn 1971.
[21] NZ, 26, 18.1.71; 30, 20.1.71; 44, 28.1.71; 56, 4.2.71; 66, 10.2.71; 232, 25.5.71; NZZ, 420, 9.9.71; 450, 28.9.71; 517, 5.11.71; Bund, 214, 14.9.71. EUGEN EGGER, « Die Gesamtschule in Europa — Entwicklung und Erfahrungen », in Schulprobleme, Zürich 1970. Zu den Vorbereitungen weiterer Gesamtschulversuche in BL, BS, SG, SO und ZH vgl. URS HAEBERLIN, Der Weg zur Gesamtschule, Kreuzlingen 1971.
[22] GdL, 44, 23.2.71; 46, 25.2.71.
[23] Vgl. SPJ, 1970, S. 150; Aarau: BN, 25, 19.1.71; NZZ, 30, 20.1.71; Lb, 204, 3.9.71. Genf: JdG, 125, 2.6.71.
[24] Vgl. SPJ, 1970, S. 150 f.
[25] Bund, 63, 17.3.71; Lb, 153, 6.7.71; Ostschw. 131, 3.6.71.
[26] NZZ (sda), 551, 25.11.71; 594, 21.12.71.