Année politique Suisse 1971 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Berufsbildung
Bei der Veröffentlichung des Entwurfs für eine Revision des Bildungsartikels hatte das EDI zusätzlich die Frage gestellt, ob die verfassungsrechtliche Grundlage für das Berufsbildungswesen in den Wirtschaftsartikeln zu belassen oder ob sie zur Betonung der Einheit des Bildungswesens in den Bildungsartikel aufzunehmen sei. Eine Mehrheit der Vemehmlassungen sprach sich für einen Einbezug in den Bildungsartikel aus; eindeutig dagegen wandten sich jedoch der Vorort und der Zentralverband der Arbeitgeber, da sie von einer solchen Änderung eine Gefährdung der Meisterlehre befürchteten [27]. In seiner Eingabe an das BIGA hatte der Schweizerische Gewerkschaftsbund verlangt, dass die Grundausbildung in Fachschulen oder Lehrwerkstätten zu erfolgen habe und durch Praktika in Lehrbetrieben ergänzt werden solle. Weiter wurde die Einführung einer stufenweisen Ausbildung mit Abschluss für jede Stufe befürwortet [28]. Dass die Meisterlehre verbessert und von neugegründeten Lehrlingsgewerkschaften aufgezeigte Missstände beseitigt werden müssten, wurde kaum bestritten [29]. Insbesondere wurde anerkannt, dass mit der Einführung von Berufsmittelschulen [30] für die begabtesten Lehrlinge nur ein Teilproblem gelöst war, und dass auch die schulische Grundausbildung der Normallehren auf anderthalb Schultage pro Woche auszudehnen sei [31]. Die Maschinenindustrie legte ein neues Bildungskonzept vor, das die zahlreichen Berufsarten in fünf Gruppen mit je einer gemeinsamen Grundausbildung zusammenfasste und eine Stufenlehre vorsah [32]. Auch für die Verbesserung der kaufmännischen Lehre lagen Neukonzepte vor, nämlich eine Zweiteilung der Grundausbildung in eine sprachliche und eine rechnerische Richtung und neu eine zweijährige Ausbildung für Bürohilfskräfte [33].
Alle diese Bemühungen um eine Verbesserung der Berufslehre können aber nur langfristig verwirklicht werden, da zuerst die benötigten Lehrkräfte und der Schulraum beschafft werden müssen. Um den Kantonen den Bau von Berufsschulzentren zu erleichtern, beantragte der Bundesrat dem Parlament eine Teilrevision des Berufsbildungsgesetzes [34], die eine Verdoppelung der bisherigen Bundessubventionen an die Gesamtkosten für Berufsschulbauten enthielt [35]. In der Folge erhöhte das Parlament die Höchstansätze und stimmte der Teilrevision zu [36]. Die Vorbereitungsarbeiten für ein in parlamentarischen Vorstössen angeregtes Schweizerisches Institut für. Gewerbelehrerausbildung wurden vom Bundesrat beschleunigt [37]. Gewerkschaftliche Forderungen von Lehrlingsgruppen nach mehr Ferien und höheren Löhnen konnten zum Teil erfüllt werden [38]. So sah der neue Gesamtarbeitsvertrag in der Maschinen- und Metallindustrie vier Wochen Ferien für Jungarbeiter und Lehrlinge vor [39]. Für den Bau eines landwirtschaftlichen Berufsschulzentrums in Changins (VD), das der Eidgenössischen landwirtschaftlichen Forschungsanstalt angegliedert werden sollte, bewilligte das Parlament die notwendigen Kredite [40]. Dagegen verweigerten die freiburgischen Stimmbürger knapp einen Kredit für den Weiterausbau der landwirtschaftlichen Schule Grangeneuve [41], und in Luzern wurde erfolgreich das Referendum gegen den Bau einer milchwirtschaftlichen Schule eingesetzt [42].
 
[27] BBl, 1971, II, S. 1024.
[28] AZ, 53, 5.3.71. Ähnliche Forderungen stellte der Schweiz. Werkbund auf, als Übergangslösung bis zur Einführung einer Gesamtschule mit integrierter Berufsschule: Bund, 248, 24.10.71; vgl. dazu Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 48, 26.11.71.
[29] NZ, 22, 15.1.71; 191, 28.4.71; 266, 15.6.71; 270, 17.6.71; 272, 18.6.71; 295, 2.7.71; BN, 161, 26./27.6.71; 340, 16.8.71; NZZ, 417, 8.9.71; AZ, 227, 29.9.71; Tw, 275, 24.11.71.
[30] Neue Berufsmittelschulen wurden eröffnet in BL (NZ, 28, 19.1.71; 507, 3.11.71); BS (NZ, 30, 20.1.71; 60, 7.2.71); GR (NBüZ, 333, 5.11.71); LU (TA, 239, 13.10.71); SH (NZN, 115, 19.5.71); SO (Vat., 117, 22.5.71); TG (Lb, 94, 24.4.71). Eine erste Berufsmittelschule für kaufmännische Lehrlinge wird in Zürich errichtet: NZZ, 326, 16.7.71.
[31] BBI, 1971, II, S. 1209; Bund, 141, 21.6.71.
[32] NZN, 271, 19.11.71; TA, 274, 23.11.71.
[33] Interpellation Meyer (fdp, LU) und Antwort BR: Sten. Bull. NR, 1971, S. 386 ff.; Tat, 296, 17.12.71; Bund, 182, 8.8.71.
[34] Eine Totalrevision wird von der Kommission Grübel (vgl. SPJ, 1970, S. 151) vorbereitet.
[35] BBI, 1971, II, S. 1207 ff.
[36] Vorschlag BR: 40 % für finanzschwache, 33 % für finanzmittelstarke, 26 % für finanzstarke Kantone; Vorschlag Parlament: 45 % für finanzschwache, 37,5 % für finanzmittelstarke, 30 % für finanzstarke Kantone. NR: Sten. Bull. NR, 1971, S. 1424 ff.; StR: Bund, 56, 7.3.72; Schlussabstimmung: Bund, 59, 10.3.72.
[37] Vgl. SPJ, 1970, S. 151. Motionen Renschler (sp, ZH) und Fischer (fdp, BE): Sten. Bull. NR, 1971, II, S. 389 ff.; NZZ (sda), 415, 7.9.71; TA, 218, 18.9.71; Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 49, 3.12.71.
[38] NZZ (sda), 222, 14.5.71; GdL, 148, 29.6.71; SJ, 18, 1./2.5.71.
[39] JdG, 155, 7.7.71. Vgl. auch NZZ (sda), 529, 12.11.71. In den Kantonen SO und VD beantragten die Regierungen vier Wochen Ferien für Lehrlinge: SO (NZZ, upi, 546, 23.11.71); VD (TLM, 308, 4.11.71; GdL, 261, 9.11.71).
[40] Botschaft in BBI, 1971, II, S. 599 ff.; Bundesbeschluss ebenda, S. 2001 f.
[41] Lib., 206, 7.6.71; GdL, 129, 7.6.71. Vgl. oben, S. 95.
[42] NZZ, 234, 23.5.71; Vat., 278, 29.11.71.