Année politique Suisse 1972 : Chronique générale / Politique étrangère suisse / Aussenwirtschaftspolitik
Mit dem Abschluss eines
Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und den Europäischen Gemeinschaften wurde, wie weiter oben schon ausführlich dargestellt, 1972 eine neue Epoche der schweizerischen Aussenhandelspolitik eingeleitet
[67]. Das Abkommen entstand als Frucht einer seit rund 15 Jahren verfolgten Politik unseres Landes, angesichts der starken wirtschaftlichen Auslandabhängigkeit eine Verbesserung der europäisch-schweizerischen Handelsbeziehungen herbeizuführen. Das am 22. Juli in Brüssel unterzeichnete Vertragswerk sieht primär die Schaffung einer Freihandelszone für industrielle Erzeugnisse vor. Diese soll in einem schrittweisen Zollabbau in fünf Stufen zu je 20 % bis 1977 verwirklicht werden. Eine verlangsamtere Zollbeseitigung wurde für Produkte der Papierindustrie, gewisse Metalle und tiefpreisige Uhren vereinbart. Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse blieben generell von den Bestimmungen des Freihandelsabkommens ausgeschlossen
[68]. Für die Nahrungsmittel wurde ferner ausgehandelt, grundsätzlich nur das Industrieschutzelement abzubauen, während ein Teil der Zölle als bewegliches Agrarschutzelement aufrechterhalten bleibt. Zur Sicherung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen für den grenzüberschreitenden Warenverkehr im gesamten Raum der Freihandelszone wurden die Wettbewerbsregeln der Europäischen Gemeinschaften für verbindlich erklärt. Obwohl diese wesentlich schärfer gehalten sind als die entsprechenden Vorschriften der Schweiz, konnte ein Einbruch des Wettbewerbsrechtes der EWG in das schweizerische Kartellrecht vermieden werden. Um weiter zu verhindern, dass Waren aus Drittstaaten (z. B. USA, Japan) systematisch über das Land mit dem niedrigsten Aussenzolltarif in die Freihandelszone eingeführt werden und dort vom freien Warenaustausch profitieren, drängte sich die Einführung von strengen, für die Schweiz neuen Ursprungsregeln auf. In den Genuss des Zollabbaus gelangen somit nur jene industriellen Produkte, die im Raume der Freihandelszone einem vorgeschriebenen Verarbeitungsprozess unterlagen. Durch die Schaffung einer Schutzklausel wurde schliesslich dafür gesorgt, dass die Vertragsparteien das Recht behalten, unter bestimmten Bedingungen wieder Handelsschranken einzuführen ; dies vor allem in Fällen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und bei ernsthaften Verletzungen des Abkommens. Mit der Anwendung und Durchführung des Freihandelsabkommens betrauten die beteiligten Parteien in der Folge als gemeinsames paritätisches Organ eine sog. Gemischte Kommission
[69].
Wie der Bundesrat in seiner Botschaft an die eidgenössischen Räte ausführte, ist das mit den Europäischen Gemeinschaften ausgehandelte Abkommen über den freien Warenverkehr mit ganz erheblichen aussenwirtschaftlichen Konsequenzen für die Schweiz verbunden. Rund 90 % des schweizerischen Handels mit der erweiterten EWG werden ganz oder teilweise durch das Abkommen erfasst. Der zollfreie Handel betrifft somit 62 % der gesamten Einfuhren der Schweiz und 44 % ihrer Exporte. Aufgrund des Abkommens fällt ferner für schweizerische Ausfuhren nach den EWG-Staaten eine durchschnittliche Zollbelastung von 8,6 % weg. Diese Zollfreiheit bedeutet für die schweizerische Exportindustrie eine Gleichstellung mit den Mitgliedstaaten der EWG sowie einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber Anbietern aus Drittländern im Ausmass der erwähnten Zollsenkung
[70]. Das Freihandelsabkommen trat nach Billigung durch Parlament und Volk auf den 1. Januar 1973 in Kraft
[71].
[67] Zu den politischen Aspekten des Freihandelsabkommens vgl. oben, S. 36 ff.
[68] BBI, 1972, II, Nr. 41, S. 653 ff. Zur Problematik Landwirtschaft und Freihandelsabkommen vgl. unten, S. 81 f.
[69] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 31/32, 31.7.72 ; 33/34, 14.8.72 ; 36, 4.9.72 ; Europa, 1972, Nr. 7/8, S. 2 ff.; ferner Gerhard Winterberger, a Die Schweiz und die EWG, Bestandesaufnahme und Würdigung », in Schweizer Monatshefte, 52/1972-73, S. 403 ff.; Jörg Thalmann, Das Schweizer EWG-Handbuch, Frauenfeld 1972.
[70] BBI, 1972, II, Nr. 41, S. 719 ff. ; BN, 251, 22.7.72 ; NZZ, 397, 26.8.72 ; 398, 27.8.72.
[71] Vgl. oben, S. 38 f. Zum ergänzenden Uhrenabkommen vgl. oben, S. 64.
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