Année politique Suisse 1972 : Economie / Politique économique générale
 
Konjunkturlage
Die schweizerische Wirtschaft stand 1972 erneut im Zeichen einer teilweise äusserst angespannten Konjunkturlage [19]. Trotz Ausweitung der zunehmend binnenwirtschaftlich orientierten Gesamtnachfrage vollzog sich indessen das ökonomische Wachstum nur schleppend, was auf die voll ausgelasteten Kapazitäten und den ausgetrockneten Arbeitsmarkt zurückzuführen war. So fielen die Wachstumssätze beim Aussenhandel [20] und bei der industriellen Produktion [21] recht mässig aus. Obwohl die Meldungen über Betriebsschliessungen und Unternehmungszusammenschlüsse anhielten, flaute die im Vorjahr aufgetretene Rezessionsangst weitgehend ab [22]. Die alles überschattende Inflation wartete auch 1972 mit bedenklichen Rekorden auf. Die übermässige Expansion des Investitionsvolumens, die gewaltige Steigerung der Konsumnachfrage bei ungenügendem Güterangebot und zunehmendem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften sowie eine sich in antizipierten Käufen und der Flucht in Sachwerte äussernde Inflationsmentalität führten zur höchsten Teuerungsrate seit dem Jahre 1942 [23].
Der Landesindex der Konsumentenpreise erreichte einen Stand von 128,1, was eine Steigerung von 6,7 % gegenüber dem Vorjahr bedeutete. Als wichtigste Teuerungsfaktoren fielen hauptsächlich Preiserhöhungen im Nahrungs- und Genussmittelsektor, in Teilbereichen des Dienstleistungsgewerbes sowie in den Sparten Bekleidung und Verkehr ins Gewicht. Auch beim Grosshandel konnte eine Erhöhung des Preisniveaus festgestellt werden [24]. Die infolge Ausfalls der Nationalen Buchhaltung nach einer Schätzung des Eidg. Statistischen Amtes vorgenommene Ermittlung des Bruttosozialproduktes ergab rund 115 Mia Fr. und lag damit real um 4,7 % über dem entsprechenden Wert des Vorjahres [25]. Das Fehlen von präzisen Erhebungen war für die OECD Anlass, in ihrem jährlichen Bericht darauf hinzuweisen, dass die gegenwärtige statistische Durchleuchtung der schweizerischen Wirtschaft einer aufmerksamen Konjunkturbeobachtung nicht zu genügen vermöge [26]. Der Bundesrat beschloss in der Folge, das konjunkturpolitische Informationssystem durch die Bereitstellung von Frühindikatoren einerseits sowie durch eine breitere und tiefere Erfassung wirtschaftlicher Gesamtgrössen andererseits zu verbessern. Zudem wurde das Eidg. Statistische Amt beauftragt, eine Stichprobenerhebung über Produktion und Kostenstruktur der Unternehmungen des sekundären und tertiären Sektors durchzuführen. Diese Massnahme soll es ermöglichen, die seit zwei Jahren unterbrochene Berechnung des Sozialproduktes wieder aufzunehmen [27].
 
[19] Für Überblicke vgl. BN, 387, 31.12.72 ; NZZ, 609, 31.12.72 ; 24, 16.1.73 ; ferner Vat., 301, 28.12.72 ; Mitteilung Nr. 218 der Kommission für Konjunkturfragen, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 46/1973, Heft 1. Vgl. auch SPJ, 1971, S. 67 f.
[20] Vgl. unten, S. 70.
[21] Der provisorische Index der industriellen Produktion wurde für 1972 mit 149 Punkten (1963 = 100) berechnet, was gegenüber 1971 einer Zuwachsrate von 2 % entspricht ; vgl. Die Volkswirtschaft, 46/1973, S. 156 ff.
[22] BN, 387, 31.12.72 ; vgl. auch SPJ, 1971, S. 67.
[23] Mitteilung Nr. 218 der Kommission für Konjunkturfragen, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 46/1973, Heft 1. Zum Mangel an qualifizierten Arbeitskräften vgl. besonders : Crise des métiers — menace économique, La Suisse devant la pénurie de main-d'oeuvre, hrsg. von Rencontres Suisses, Lausanne 1972.
[24] NZZ (sda), 12, 9.1.73. Der Grosshandelspreisindex stieg um 3,6 % (Vorjahr : 2,5 %) : Die Volkswirtschaft, 46/1973, S. 105.
[25] Mitteilung Nr. 218 der Kommission für Konjunkturfragen, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 46/1973, Heft 1, S. 8.
[26] NZZ, 131, 17.3.72.
[27] NZZ (sda), 310, 6.7.72 ; 405, 31.8.72 ; NZ, 348, 9.9.72. Verwaltungsinterner Bericht von EDI, EFZD und EVD über die Verbesserung des konjunkturpolitischen Informationssystems. Vgl. ferner Vat., 240, 14.10.72.