Année politique Suisse 1972 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
Strassenverkehr
Im Strassenverkehr kam es zu gewissen Einschränkungen der individuellen Freiheit im Gebrauch des Automobils, die dem verstärkten Umweltbewusstsein in der öffentlichen Meinung Rechnung trugen. Zunächst wurde freilich eine Vergrösserung der zulässigen Längenmasse und Gewichte für Lastwagen und Lastenzüge gesetzlich verankert : der Nationalrat schloss sich der von der Ständekammer Ende 1971 gebilligten Kompromissfassung an, und die Vertreter des Umweltschutzes verzichteten auf ein Referendum, nachdem sie in Gesprächen mit der Eidg. Polizeiabteilung und den interessierten Verbänden für ihre Anliegen Zusicherungen erreicht hatten
[31]. Der Bundesrat verfügte noch im Sommer, dass die für ein bestimmtes Gewicht geforderte Motorleistung erhöht werde. Strengere Vorschriften über die Abgasentwicklung der Motorfahrzeuge wurden gleichfalls in Aussicht gestellt, doch wollte der Bundesrat dabei nicht über die Massnahmen der europäischen Länder, aus denen der Grossteil der Personenwagen importiert wird, hinausgehen, da ihm eine schweizerische Sonderregelung zu umständlich und zuwenig wirksam erschien. Der Ständerat hiess den Beitritt zu einem von mehreren Staaten Europas unterzeichneten Abkommen gut
[32].
Der 1971 vom Bundesrat veröffentlichte Bericht über die Bekämpfung der
Verkehrsunfälle, der auf Ausserortsstrassen mit Ausnahme der Autobahnen eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h befürwortete, wurde im Frühjahr in beiden Räten diskutiert. Dabei kamen einige Vorbehalte gegenüber der geplanten Geschwindigkeitsbeschränkung zum Ausdruck. Da der Bericht nur zur Kenntnisnahme vorgelegt wurde, überwies der Nationalrat ein Postulat, das einen dreijährigen Versuch mit der 100-km/h-Grenze nebst anderen Massnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit ausdrücklich empfahl. Zur Unterstützung des Versuchs in der Öffentlichkeit bildete sich ein Komitee « Aktion 100 » ; der Automobil-Club der Schweiz reichte dagegen der Bundeskanzlei eine Petition mit 174 000 Unterschriften ein, die sich gegen eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung wandte
[33]. Im Sommer entschloss sich der Bundesrat, von Anfang 1973 bis Ende 1975 den Versuch durchzuführen ; wie im Bericht vorgesehen, ermächtigte er die Kantone, in besonderen Fällen die Grenze etwas höher anzusetzen. Er ordnete auch wissenschaftliche Erhebungen über das Fahrverhalten an. Einer Meinungsumfrage zufolge sollen unter den Automobilisten die Befürworter der Massnahme leicht überwiegen
[34]. Als zusätzliche Einschränkungen wurden die Einführung einer Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h für Neufahrer sowie eine Herabsetzung der Innerortsgeschwindigkeit auf 50 km/h gefordert
[35]. Das EJPD bereitete seinerseits weitere Regelungen vor, so die Einführung eines Verkehrsunterrichts für fehlbare Fahrzeuglenker, wie er im Kanton Bern als Alternative zum Entzug des Fahrausweises erprobt wurde, oder die Verpflichtung zum Tragen von Sicherheitsgurten
[36]. Auf Neujahr 1973 wurde im übrigen das Bundesgesetz über die Ordnungsbussen samt einem Katalog von Mindestbeträgen in Kraft gesetzt
[37]. Eine umfassende Initiative ging von der Neuen Helvetischen Gesellschaft aus : durch eine allgemeine Bewegung sollte die Zahl der Verkehrsopfer kräftig gesenkt werden
[38].
Gegen die Verwendung von Stiftreifen im Winter regte sich vermehrt Opposition. Der Kanton Waadt führte angesichts der verursachten Strassenschäden eine gesetzliche Abgabe von 100 Fr. pro Jahr ein
[39]. Der Bundesrat verschärfte darauf die eidgenössischen Bestimmungen und drohte ein völliges Verbot an, wenn nicht Stiftreifen mit geringeren Schadenwirkungen auf den Markt kämen ; diese Massnahme liess den Spikes-Absatz merklich sinken
[40].
Die Auseinandersetzungen um die
Prämien der obligatorischen Haftpflichtversicherung für Motorfahrzeuge nahmen ihren Fortgang, ohne dass es zu einer Entscheidung kam. Die Beschwerden gegen die Tariferhöhungen für 1972, die das Eidg. Versicherungsamt im Vorjahr genehmigt hatte, wurden vom EJPD im September abgewiesen, worauf der Touring-Club (TCS) sich an das Bundesgericht wandte und bei diesem einen weiteren Aufschub der Inkraftsetzung bewirkte
[41]. Inzwischen hatte jedoch die Unfalldirektoren-Konferenz der Versicherungsgesellschaften unter Berufung auf die anhaltende Zunahme der mittleren Schadenhöhe für 1973 Prämienansätze beantragt, die vor allem bei Lastwagen und Motorrädern über den angefochtenen Tarif für 1972 noch hinausgingen, und das Versicherungsamt stimmte wiederum zu. Der TCS beschwerte sich auch gegen die neuen Erhöhungen und erhielt vom EJPD mit Rücksicht auf den hängigen Bundesgerichtsentscheid aufschiebende Wirkung zugestanden, so dass die Ansätze von 1971 weiterhin in Geltung blieben
[42]. Die Initiative für eine bundeseigene Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung wurde vom Verband des Personals öffentlicher Dienste bereits im Frühjahr eingereicht ; sie stiess beim Freisinn und in Unternehmerkreisen auf Ablehnung
[43]. Die Kartellkommission, die vom Bundesrat mit einer Untersuchung beauftragt worden war, empfahl eine Lockerung der Wettbewerbsbeschränkungen und eine Verstärkung der staatlichen Prämienaufsicht ; dass die Errichtung einer staatlichen Anstalt wettbewerbspolitische Vorteile brächte, zog sie jedoch in Zweifel
[44].
[31] Amtl. Bull. NR, 1972, S. 113 ff. ; AS, 1972, Nr. 30, S. 1605 f. ; vgl. SPJ, 1971, S. 104.
[32] Motorleistung : AS, 1972, S. 1577 f. Abgase : Beitritt zu einem in der Wirtschaftskommission für Europa (ECE) ausgearbeiteten Abkommen über Ausrüstung und Bestandteile von Motorfahrzeugen (BBl, 1972, II, Nr. 37, S. 317 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 771 ff.), Überweisung einer vom BR abgelehnten Motion Bratschi durch den NR (Amtl. Bull. NR, 1972, S. 1977 f.). Vgl. SPJ, 1971, S. 106 u. 121 f.
[33] Parlamentsdebatten : Amtl. Bull. NR, 1972, S. 85 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 221 ff. Aktion 100: NZZ (sda), 75, 14.2.72 ; 105, 2.3.72. Petition : GdL (sda), 32, 8.2.72. Vgl. SPJ, 1971, S. 104 f.
[34] Bundesrat : AS, 1972, Nr. 34, S. 1717 f. ; Gesch.ber., 1972, S. 117 ; TA, 256, 2.11.72. Umfrage : TA, 271, 20.11.72.
[35] Postulat Bratschi (sp, BE) (Neufahrer) : Amtl. Bull. NR, 1972, S. 106 ff. 50 km/h innerorts : NZZ (sda), 256, 5.6.72 (Schweiz. Fussgängerschutz-Verband) ; NZZ, 590, 18.12.72 (Zürcher Stadtrat).
[36] Gesch.ber., 1972, S. 117 f. Vgl. dazu Bund, 181, 4.8.72 ; NZZ (sda), 546, 22.11.72 ; TA, 304, 30.12.72.
[37] AS, 1972, Nr. 17, S. 734 ff. ; vgl. SPJ, 1970, S. 108 f.
[38] Mitteilungen der Neuen Helvetischen Gesellschaft, 1971, S. 60 ff. ; 1972, S. 15 ff. u. 59 ff.
[39] Vgl. Postulat Wicky (pda, GE) und mehrere Kleine Anfragen (Amtl. Bull. NR, 1972, S. 749 f., 679 f., 2451). Für die Waadt vgl. oben, S. 78, und unten, S. 152. Vgl. auch NZ, 328, 22.8.72 (Landrat von BL).
[40] Der BR beschränkte die Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h und vereinheitlichte die Verwendungsdauer (AS, 1972, Nr. 44, S. 2481 f.). Vgl. NZZ, 488, 19.10.72 ; 511, 1.11.72 ; ferner SPJ, 1971, S. 106. Zum Absatz vgl. Ww, 47, 22.11.72.
[41] Abweisung durch EJPD : NZZ, 432, 15.9.72. Beschwerde ans Bundesgericht : NZZ (sda). 435, 18.9.72. Aufschub : NZZ (sda), 494, 23.10.72. Vgl. SPJ, 1971, S. 105 f.
[42] Tarif 1973 : NZZ (sda), 490, 20.10.72. Beschwerde : NZZ, 543, 20.11.72 ; vgl. auch Touring, 43, 26.10.72 ; AZ, 260, 4.11.72. Aufschub : NZZ (sda), 609, 31.12.72.
[43] Die Initiative erhielt 62 537 Unterschriften ; wegen eines Formfehlers galten weitere 21 000 Unterzeichner aus der französischen und italienischen Schweiz nur als Petitionäre (BBl, 1972, I, Nr. 19, S. 1162 f. ; TG, 85, 12.4.72). Reaktionen : NZZ, 182, 19.4.72 (FDP) ; wf, Dokumentationsund Pressedienst, 16, 17.4.72.
[44] Veröffentlichungen der Schweizerischen Kartellkommission, 7/1972, S. 111 ff.
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