Année politique Suisse 1972 : Infrastructure, aménagement, environnement / Protection de l'environnement
Natur- und Heimatschutz
Die 1971 eingereichten Motionen, die grössere Leistungen und erweiterte Befugnisse des Bundes im Bereich von Natur- und Heimatschutz anstrebten und dies mit einer Revision von Art. 24 sexies BV zu erreichen suchten, wurden im Herbst von beiden Räten überwiesen. Bundesrat Tschudi empfahl allerdings, vorerst die definitive Gestaltung und die Auswirkungen des Raumplanungsgesetzes abzuwarten, und versäumte nicht, an die angespannte Finanzlage zu erinnern
[20]. Ein Vertreter der Landesplanung postulierte dagegen den jährlichen Einsatz von rund 100 Mio Fr. für Landschaftsschutz und Landschaftspflege, um die erforderlichen Entschädigungen ausrichten zu können
[21]. Besondere Vorstösse galten dem
Schutz der Alpenlandschaften. Gegenüber einer rein wirtschaftlich orientierten Entwicklung der Berggebiete wurde einerseits die Erhaltung von Naturlandschaften ohne technische Anlagen, anderseits die Pflege der alpinen Kulturlandschaft verlangt. Die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege kündigte an, dass sie gegen die Konzessionierung von touristischen Transportanlagen, die sich nicht auf eine normgerechte Zonenplanung stützten, Einsprache erheben werde, und sie befürwortete eine gezielte Strukturhilfe an Bergbauern, um eine Verwilderung alpinen Kulturlandes, die auch den Tourismus beeinträchtigen würde, zu vermeiden
[22].
Eine breite Öffentlichkeit wurde auf die Gefährdung wertvoller Landschaften durch die Aktionen des Journalisten
Franz Weber aufmerksam. Dieser bekämpfte durch Gründung von Komitees, Sammlung von Unterschriften, Eingaben an die Behörden und Verhandlungen mit den Gemeinden Überbauungen am Genfer See (Lavaux) und im Wallis (Montana, Val d'Anniviers) sowie die Nationalstrassenführung am Sempachersee, erregte damit aber auch heftige Widerstände und hatte nur teilweise Erfolg
[23]. Im übrigen veranlasste der Bundesbeschluss über dringliche Raumplanungsmassnahmen die Kantone, gewisse Landschaften vorläufig unter Schutz zu stellen, z. B. das Gebiet der Oberengadiner Seen
[24]. Ein Begehren nach mehr Bundesmitteln und nach steuer- und konjunkturpolitischen Erleichterungen für die Erhaltung von Baudenkmälern und Ortsbildern wurde vom Bundesrat mit Zurückhaltung aufgenommen ; dafür erhielt die ETH Zürich ein Institut für Denkmalpflege
[25]. Der Schweizer Heimatschutz schuf auf Grund eines Legats einen Henri-Louis-Wakker-Preis für vorbildliche Ortsbildpflege und erkor das Städtchen Stein am Rhein (SH) als erste Preisträgerin. Einen Ansporn für die Bestrebungen zur Erhaltung wertvoller Ortsbilder bot der Beschluss des Europarates, 1975 ein Jahr der Denkmalpflege und des Heimatschutzes durchzuführen
[26].
Im Herbst legte die Landesregierung den eidgenössischen Räten den Entwurf zu einem neuen Verfassungsartikel vor, der den
Tierschutz zur Bundessache erklären soll. Bis dahin sind auf diesem Gebiet vorwiegend die Kantone zuständig ; moderne Tierschutzgesetze besitzen aber nur deren vier. Der Vollzug der Tierschutzgesetzgebung wird im Entwurf primär den Kantonen überlassen, wobei sich immerhin der Bund — analog zum Wasserwirtschaftsartikel — eine eigene Vollziehungskompetenz vorbehält. Wie in anderem Zusammenhang gezeigt worden ist, soll der neue Artikel das Schächtverbot der Bundesverfassung ersetzen. Das Vernehmlassungsverfahren zeitigte keine grundsätzliche Gegnerschaft ; allerdings wandte sich der Israelitische Gemeindebund gegen eine provisorische Beibehaltung der Schächtklausel in einer Übergangsbestimmung, und die CVP wünschte die gleichzeitige Unterbreitung des Ausführungsgesetzes
[27]. Eine Spannung zwischen Tier- und Naturschutzanliegen ergab sich dadurch, dass im Nationalpark die Hirschbestände so sehr überhand nahmen, dass sie innerhalb und ausserhalb des Schutzgebietes grosse Schäden anrichteten. Eine vom EDI genehmigte Vereinbarung der Bündner Regierung mit der Nationalparkkommission, während mehreren Jahren eine grössere Anzahl Tiere abschiessen zu lassen, wurde sowohl in Jäger- wie in Tierschutzkreisen missbilligt
[28].
[20] Gleichlautende Motionen von NR Binder (cvp, AG) und StR Bächtold (fdp, SH) : Amtl. Bull. NR, 1972, S. 1431 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 612 ff. Vgl. SPJ, 1971, S. 122 ; zum Raumplanungsgesetz vgl. oben, S. 101 f.
[21] R. Stüdeli, Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (Ldb, 221, 23.9.72).
[22] Vgl. Postulate Schalcher (evp, ZH) und Wyer (cvp, VS) (Amtl. Bull. NR, 1972, S. 2079 ff. u. 2141 ff.), ferner NZZ, 389, 22.8.72 ; 481, 15.10.72. Zur Entwicklung der Berggebiete vgl. oben, S. 59 f. und 80.
[23] F. Weber : TG, 163, 14.7.72. Lavaux : TLM, 39, 8.2.72 ; 70, 10.3.72 ; 332, 27.11.72 ; TG, 65, 18./19.3.72 ; TLM (sda), 329, 24.11.72. Montana : TLM, 85, 25.3.72 ; 227, 14.8.72 ; 256, 12.9.72. Val d'Anniviers : TLM, 259, 15.9.72 ; 292, 18.10.72 ; 330, 25.11.72. Sempachersee : Vat., 161, 13.7.72 ; vgl. auch oben, S. 95.
[24] Oberengadin : NBüZ, 175, 3.6.72 ; vgl. SPJ, 1971, S. 123.
[25] Vgl. Postulat Akeret (svp, ZH) (Amtl. Bull. NR, 1972, S. 1694 ff.; Ldb, 231, 5.10.72). Institut : NZZ, 109, 5.3.72 ; 578, 11.12.72.
[26] Wakker-Preis : Tat, 194, 19.8.72. Heimatschutzjahr : NZZ (sda), 178, 17.4.72 ; 429, 14.9.72.
[27] BBl, 1972, II, Nr. 50, S. 1478 ff. Moderne Gesetze besitzen FR, GE, VD und ZH. Zum Schächtverbot vgl. oben, S. 16. Vgl. auch SPJ, 1970, S. 97 ; 1971, S. 95.
[28] TA, 189, 16.8.72 ; 241, 16.10.72 ; NZZ (sda), 394, 24.8.72 ; 495, 23.10.72 ; NBüZ, 309, 2.10.72.
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