Année politique Suisse 1972 : Politique sociale / Population et travail
 
Löhne
Die Löhne stiegen sowohl in der Privatwirtschaft als auch in der öffentlichen Verwaltung weiterhin [21]. Gewerbe- und Arbeitgeberkreise hielten diese Entwicklung, namentlich im öffentlichen Sektor, für inflationsfördernd, was sich insbesondere bei den parlamentarischen Debatten über den 13. Monatslohn für das Bundespersonal zeigte. Im Nationalrat kritisierten R. Deonna (lib., GE) und R. Eibel (fdp, ZH), im Ständerat H. Herzog (svp, TG) die bereits 1971 beantragte Änderung des Beamtengesetzes [22], da sie der Teuerungsbekämpfung entgegenstehe und das gesamte Lohngefüge störe. Gegen diese Argumente wurden die Personalschwierigkeiten vor allem bei der PTT und der SBB, der Arbeitsfrieden und die Einkommensgerechtigkeit ins Feld geführt [23]. Zu weiteren Diskussionen kam es im Nationalrat bei gewerkschaftlichen Vorstössen über Nebenleistungen, die eine möglichst weitgehende Rückwirkungsklausel bei den Ortszuschlägen herausholen wollten [24]. In der Abstimmung unterlag ein Antrag Eibel, der den 13. Monatslohn als Treueprämie nach Dienstjahren vollgestaffelt auszahlen wollte, mit 124 zu 4 Stimmen [25]. Die Gesetzesrevision wurde schliesslich mit 157 Stimmen ohne Gegenstimme angenommen ; im Ständerat lautete das Ergebnis 35 zu 0 Stimmen [26]. Im Oktober beschloss der Bundesrat die Ausrichtung einer einmaligen Teuerungszulage von 7,5 % für das Bundespersonal [27].
Die massive Erhöhung der eidgenössischen Besoldungen, die einer konsequenten Konjunkturpolitik kaum entsprach, bewog den Chef des EFZD zu einem Appell an die Empfänger : sie sollten ihren 13. Monatslohn im Rahmen einer freiwilligen Solidaritätsaktion ganz oder teilweise stillegen. Der Föderativverband lehnte die Aktion ab, weil der Bundesrat keine Rücksprache mit ihm gepflogen und zu spät appelliert habe [28]. Es wurden auch andere Wege zur Teuerungsbekämpfung über die Lohnpolitik erwogen [29]. Von gewerkschaftlicher Seite wurde mitunter die Forderung nach einem Sparlohn bzw. Investivlohn erhoben [30]. Im Zusammenhang mit der Revision des Aktienrechts wurde vorgeschlagen, zur breiteren Streuung der Vermögen Klein- oder Volksaktien einzuführen [31].
Seit Beginn des Jahres führte der Bundesrat Verhandlungen mit den Personalverbänden des Bundespersonals über eine Revision der Ämterklassifikation [32]. Mitte Oktober stimmte er einem revidierten Ämterverzeichnis zu [33]. Insgesamt wurden 273 bisherige Amtsbezeichnungen fallengelassen und 86 neue aufgenommen (total nun 394). Korrekturen wurden insbesondere zugunsten des handwerklichen Personals vorgenommen, dessen Laufbahn an die der administrativen Berufe angeglichen wurde. Unzeitgemässe Bezeichnungen wurden ersetzt, wie beispielsweise Hilfshandwerker oder Betriebsarbeiter durch Betriebsangestellter, Kanzlist durch Verwaltungsangestellter bzw. Verwaltungsbeamter [34]. In der Wintersession nahmen beide Kammern den bundesrätlichen Entwurf diskussionslos und einstimmig an [35].
 
[21] Vgl. Die Volkswirtschaft, 46/1973, S. 180, sowie oben, S. 64 u. 69.
[22] BBI, 1971, II, Nr. 52, S. 1914 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1972, S. 8 f. u. S. 13 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 360 f.; AZ, 50, 29.2.72 ; Vat., 51, 1.3.72.
[23] Amtl. Bull. NR, 1972, S. 2 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 359 ff. ; NZZ, 101, 29.2.72 ; NZ, 98, 29.2.72.
[24] Angenommen wurde der Vorschlag des BR (Rückwirkung auf 1.10.72) : Amtl. Bull. NR, 1972, S. 35 ff. ; NZZ, 102, 1.3.72 ; Bund, 51, 1.3.72 ; AZ, 51, 1.3.72.
[25] Amtl. Bull. NR, 1972, S. 31 ff. ; Tw, 51, 1.3.72.
[26] Amtl. Bull. NR, 1972, S. 1218 ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 509.
[27] AS, 1972, Nr. 44, S. 2479 f. (7,5 %, mindestens 1188 Fr.).
[28] NZZ (sda), 574, 8.12.72 ; GdL (sda), 288, 8.12.72.
[29] TA, 10, 13.1.73 ; NZZ (sda), 20, 14.1.73 ; 60, 6.2.73.
[30] Gottfried Bombach, Zur Problematik des Sparlohns, Flawil 1972 (Soziale Schriftenreihe des Landesverbandes freier Schweizer Arbeiter, 49) ; Ldb, 229, 3.10.72 ; Oskar Müller, « Investivlohn — eine Antikritik », in Gewerkschaftliche Rundschau, 64/1972, S. 27 ff.
[31] NBüZ, 161, 24.5.72 ; Bund, 119, 24.5.72 ; Vat., 119, 24.5.72 ; Tw, 128, 3.6.72 ; TG, 262, 8.11.72. Vgl. inbes. Zwischenbericht des Präsidenten und des Sekretärs der Arbeitsgruppe für die Oberprüfung des Aktienrechts zum Vorschlag für eine Teilrevision des Aktienrechtes, 1972 (vervielf.).
[32] NZZ (sda), 90, 23.2.72 ; 262, 8.6.72.
[33] Schweizerische Beamten-Zeitung, 21, 19.10.72 ; NZZ (sda), 489, 19.10.72 ; Ostschw., 246, 19.10.72.
[34] BBI, 1972, II, Nr. 46, S. 1209 ff. ; NZZ, 522, 8.11.72.
[35] Amtl. Bull. NR, 1972, S. 2014 ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 822.