Année politique Suisse 1972 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Forschung
In seinen Richtlinien zur Regierungspolitik betonte der Bundesrat, dass eine leistungsfähige Forschung für die Erreichung aller grossen nationalen Ziele unerlässlich sei
[66]. Als verfassungsrechtliche Grundlage für entsprechende Massnahmen unterbreitete er dem Parlament zusammen mit dem definitiven Entwurf zu den Bildungsartikeln einen Art. 27 quater, der die Förderung der wissenschaftlichen Forschung sowie die Errichtung bzw. die volle oder teilweise Übernahme von Forschungsstätten durch den Bund zu ermöglichen hatte. Beide Räte stimmten ihm ohne Opposition zu
[67].
Zur Beantwortung der in den Richtlinien formulierten Frage, wo und wieweit der Staat der Forschung die Richtung weisen oder aber einzig finanzielle Unterstützung gewähren solle, wurden verschiedene Berichte veröffentlicht
[68]. Für die künftige Ermittlung der dringlichen Forschungsbedürfnisse schlug der Wissenschaftsrat vor, ein ständiges Informationssystem zu schaffen ; ausserdem verlangte er einen beschleunigten Ausbau der Forschungsstatistik sowie die Verstärkung der interuniversitären Information und Koordination. Eine Sonderförderung unter Einsatz zusätzlicher Bundesmittel sollte insbesondere den Bildungswissenschaften, bestimmten Bereichen der Sozialwissenschaften (Soziologie, Politologie, Massenkommunikationsforschung), der Informatik und Dokumentation sowie der Ökologie und Umweltforschung zugute kommen.
Die Frage, ob der Bund auch die wirtschaftlich motivierte Forschung vermehrt zu fördern habe, wurde bejaht, da für die Klein- und Mittelbetriebe die eigene Forschung zu aufwendig ist, so dass sie ohne Unterstützung in der Innovationskonkurrenz in Rückstand zu geraten drohen. Der Wissenschaftsrat unterstützte den Vorschlag der Kommission Allemann, die neue Förderungsinstanz in den Nationalfonds zu integrieren : ein spezieller Forschungsrat für die wirtschaftlich motivierten Projekte, in welchem Privatwirtschaft und Behörden vertreten wären und dem ein eigener Förderungskredit zur Verfügung stände
[69], sollte dem für die Grundlagenforschung zuständigen Gremium zur Seite treten.
Auf Grund positiver Stellungnahmen des Wissenschaftsrates und des Rates für Gesamtverteidigung befasste sich der Bundesrat mit der
Schaffung eines Friedensforschungsinstituts
[70]. In der Folge begann in der Öffentlichkeit eine intensive Auseinandersetzung über dessen Aufgabenbereich. Militärs und bürgerliche Kreise neigten zu einem eher traditionellen Programm der Erforschung internationaler Beziehungen ; das Institut sollte als Beratungsinstanz für auswärtige und militärische Angelegenheiten dienen
[71]. Demgegenüber sprachen sich Kreise der Linken, kirchliche Stimmen sowie einzelne Sozialwissenschafter für eine mehr gesellschaftskritisch ausgerichtete Zielsetzung aus
[72]. Der Bundesrat betraute einen Arbeitsausschuss mit der Beschaffung der Grundlagen für eine Vorlage zuhanden des Parlaments
[73]. Einem anderen gesellschaftlich relevanten Forschungsbedürfnis diente der Beschluss des Schweizerischen Schulrates, der ETH Zürich ein Institut für Toxikologie anzugliedern, das sich hauptsächlich mit der Frage der Gesundheitsgefährdung durch chemische Substanzen befassen soll
[74].
Zur Weiterentwicklung der
europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung ratifizierte das Parlament die fünf Übereinkommen der europäischen Ministerkonferenz für Wissenschaft und Technologie (COST), die 1971 unterzeichnet worden waren. Vor allem soll die Zusammenarbeit in Fragen des Umweltschutzes intensiviert werden
[75]. Das Parlament genehmigte auch oppositionslos einen Verpflichtungskredit von 21 Mio Fr. für die vom Bundesrat beantragte Beteiligung der Schweiz an der Entwicklung eines Satellitensystems für Flugsicherung, Wetterbeobachtung und Fernmeldeverbindungen durch die Europäische Organisation für Weltraumforschung (ESRO)
[76]. Eine Konferenz der Kommission « Parlament und Wissenschaft » des Europarates, die im April in Lausanne tagte, vertrat die Auffassung, dass die Parlamente ihre Kontrolle über wissenschaftspolitische Entscheide der Verwaltungen verstärken müssten. Sie schlug der Strassburger Versammlung die Schaffung verschiedener neuer Institutionen (europäische Datenbank, europäische Stiftung für die Wissenschaft, europäisches Amt für technologische Evaluation und interparlamentarische Union für Wissenschaft und Technik) vor
[77]. Die Entwicklung einer bilateralen wissenschaftlichen Zusammenarbeit wurde in besonderen Gesprächen mit Österreich zu fördern versucht
[78].
[66] BBI, 1972, I, Nr. 15, S. 1046 ff. ; vgl. oben, S. 19.
[67] BBI, 1972, I, Nr. 6, S. 375 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 120 ff., 141, 721 ; Amtl. Bull. NR, 1972, S. 1049, 1092, 1517, 1854. In der Volksabstimmung vom 4.3.1973 wurde der Forschungsartikel mit 616 878: 339 508 Stimmen und 19 : 3 Ständen angenommen : NZ, 72, 5.3.73. Vgl. auch SPJ, 1971, S. 148 ; Wissenschaftspolitik, 1/1972, Nr. 1, S. 68 ff.
[68] Zum Folgenden vgl. „Bericht der Kommission zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung an das EVD zuhanden des Schweizerischen Wissenschaftsrates über ein neues Konzept für die wirtschaftlich motivierte Förderung der Forschung durch den Bund“, in Wissenschaftspolitik, 1/1972, Nr. 2, S. 57 ff. ; Schweizerischer Wissenschaftsrat, „Ermittlung der dringlichen Forschungsbedürfnisse“, in Wissenschaftspolitik, 1/1972, Nr. 5, S. 10 ff. ; „Bericht der Arbeitsgruppe Cerletti des Wissenschaftsrates zum neuen Konzept für die wirtschaftlich motivierte Förderung der Forschung durch den Bund“, in Wissenschaftspolitik, 1/1972, Nr. 5, S. 28 ff. Vgl. auch SPJ, 1970, S. 157 ; 1971, S. 148.
[69] Man denkt an 20-25 % der Aufwendungen für die Grundlagenforschung.
[70] GdL, 28, 3.2.72 ; TA, 28, 3.2.72 ; 83, 10.4.72 ; Tw, 42, 19.20.2.72.
[71] NZZ, 49, 30.1.72 ; 114, 8.3.72 ; 121, 12.3.72 ; 243, 28.5.72 ; 320, 12.7.72 ; Bund, 68, 21.3.72 ; NZ, 228, 27.5.72. Im Dezember wurde ein Verein zur Förderung der wissenschaftlichen Konflikt.. und Friedensforschung gegründet, der sich dafür einsetzen will, dass die mit öffentlichen Geldern finanzierte Friedensforschung vorurteilsfrei und wissenschaftlich erfolgt : NZZ (sda), 542, 20.12.72.
[72] NZ, 106, 5.3.72 ; 167, 12.4.72 ; 277, 8.7.72 ; NZZ, 240, 26.5.72 ; TA, 143, 22.6.72.
[73] TA, 213, 13.9.72 ; GdL, 215, 13.9.72 ; Tat, 217, 15.9.72. Vgl. oben, S. 49.
[74] NZZ (sda), 86, 21.2.72.
[75] BBl, 1972, I, Nr. 5, S. 165 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 213 ff., 272 ; Amtl. Bull. NR, 1972, S. 423 ff., 672. Vgl. auch SPJ, 1971, S. 149 f.
[76] BBl, 1972, II, Nr. 39, S. 509 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1972, S. 728 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1972, S. 2000 f. ; vgl. SPJ, 1971, S. 149.
[77] TA, 85, 12.4.72 ; Lib., 162, 12.4.72 ; Bund, 85, 12.4.72 ; NZZ, 176, 16.4.72 ; NZ, 177, 18.4.72 ; AZ, 91, 19.4.72.
[78] NZZ (sda), 252, 2.6.72.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Ce texte a été scanné à partir de la version papier et peut par conséquent contenir des erreurs.