Année politique Suisse 1973 : Politique sociale / Groupes sociaux
Frauen
Die Stellung der Frau in der Schweiz war das Thema verschiedenster Diskussionen
[25]. In den Frauenverbänden versuchte man über die Rolle der Frau in der Gesellschaft Klarheit zu gewinnen und die Ausräumung noch bestehender Benachteiligungen, etwa im Zivilrecht, in der Ausbildung oder im Berufsleben, zu erwirken, wobei sich die Forderung nach einem Hausfrauenlohn als am meisten umstritten erwies
[26]. Die Fragen der politischen Rechte und Pflichten der Frau sind schon an anderer Stelle zur Sprache gekommen
[27].
Obwohl in der Auseinandersetzung um den straflosen Schwangerschaftsabbruch die Positionen schon im Vorjahr weitgehend bezogen worden waren, setzte sich die öffentliche Diskussion in zahllosen Zeitungsartikeln und Podiumsgesprächen fort
[28]. Eine vom EJPD eingesetzte
Expertenkommission unter dem Vorsitz von Prof. H. Schultz, welche die von der 1971 eingereichten Initiative aufgeworfene Frage zu prüfen hatte, konnte sich auf keine bestimmte Lösung einigen und legte deshalb drei Varianten für eine begrenzte Zulassung des Eingriffes vor
[29] : die erste stützte sich auf die sogenannte einfache Indikation mit medizinischer, ethischer und eugenischer Begründung — zu der sich das EJPD unter Anführung juristischer Gründe bekannte
[30] —, die zweite auf eine erweiterte Indikation mit zusätzlicher sozialer Begründung und die dritte, eine Fristenlösung, erklärte jeglichen Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen straffrei ; diese wurde von der Kommissionsmehrheit empfohlen. Weil angesichts der unterschiedlichen Handhabung der bestehenden Regelung grosse Zweifel an der Möglichkeit einer korrekten Praxis der sozialen Indikation geäussert wurden, fand die zweite Lösung wenig Anklang. Für die engere Indikationslösung erklärten sich besonders die Kirchen, die ihnen nahestehenden Parteien und Organisationen sowie die vorwiegend katholischen Kantone
[31]. Ihr Standpunkt gründet auf einem persönlichen Grundrecht, dem Recht auf Leben, welches sie grundsätzlich von der Zeugung an geschützt wissen möchten. Gleichzeitig erliess man den Aufruf zu vermehrter Hilfe für jene, die durch eine unerwünschte Schwangerschaft in soziale Not geraten. Ausserdem wurden vermehrte soziale Erziehung und Aufklärung gefordert
[32]. Zur ersten Lösung neigten auch namhafte Ärzte ; die Ärzteschaft äusserte sich aber in der Vernehmlassung nicht als Einheit
[33]. Für die Fristenlösung optierten die meisten Parteien, die Mehrheit der dem Bund Schweizerischer Frauenorganisationen (BSF) angeschlossenen Frauenverbände und nebst mehreren Kantonen besonders auch die, im Februar gegründete Vereinigung für straflosen Schwangerschaftsabbruch
[34]. Ihre Argumente basieren hauptsächlich auf der Mündigkeit und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, auf der umstrittenen Annahme von jährlich 50 000 illegalen Eingriffen und insbesondere auf der unsozialen und ungleichen Handhabung der geltenden Gesetzgebung ; sie alle betrachten jedoch den Schwangerschaftsabbruch nur als Notlösung ; Aufklärung und Verhütung seien vorzuziehen
[35].
Das Parlament bewilligte eine Erstreckung der Frist für die Behandlung des Volksbegehrens durch den Bundesrat um ein Jahr ; zur Verzögerung des Entscheids trugen auch neu aufgetauchte Fragen wie diejenigen der freien Arztwahl und der Zuweisung der Kosten bei
[36]. Die Vereinigung für straflosen Schwangerschaftsabbruch und die Vereinigung « Ja zum Leben » drohten, für den Fall einer ihnen nicht genehmen Regelung, mit einer zweiten Initiative beziehungsweise mit dem Referendum, und die Frauenbefreiungsbewegung Zürich lehnte mit Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau grundsätzlich alle drei Vorschläge ab
[37].
[25] Vgl. SPS-Parteitag : AZ, 118, 16.5.73 ; Tw, 130, 6.6.73 ; Bericht der Nationalen Schweizerischen Unesco-Kommission : NZZ, 531, 15.11.73 ; ferner : NZZ, 104, 4.3.73.
[26] So im BSF (Bund, 70, 25.3.73 ; TA, 104, 7.5.73 ; Lib., 274, 30.8.73 ; Jahresbericht 1973 des BSF), im Coop-Frauenbund (Bund, 48, 18.2.73), in der Zürcher Frauenzentrale (NZZ, 456, 2.10.73). Zu den Rechten der Frau in der AHV vgl. GdL, 97, 27.4.73, zum Hausfrauenlohn TLM, 322, 18.11.73.
[28] Vgl. SPJ, 1972, S. 121 f. und zur allgemeinen Diskussion : Vat., 44, 22.2.73 ; AZ, 45/46, 23./24.2.73 ; 55, 7.3.73 ; 71, 26.3.73 ; Ldb, 52, 3.3.73 ; Lib., 143, 23.3.73 ; Ww, 14, 4.4.73 ; NBZ, 182, 8.6.73 ; Tw, 142, 21.6.73 ; Bund, 144, 24.6.73 ; NZZ, 354, 3.8.73 ; 440, 23.9.73. Vgl. ferner eine Petition an den Regierungsrat von SO für die Durchsetzung der Legalität nach Beistandsverweigerungen durch Ordenskrankenschwestern bei legalen Schwangerschaftsabbrüchen (TA, 6, 9.1.73 ; NZ, 96, 26.3.73).
[29] JdG, 160, 12.7.73 ; 163, 16.7.73 ; NZZ, 317, 12.7.73 ; 322, 15.7.73 ; Vat., 159, 12.7.73.
[30] AZ, 160, 12.7.73 ; Lib., 234, 13.7.73 ; Tw, 161, 13.7.73 ; 192, 18.8.73.
[31] Vgl. EJPD, Zusammenfassung der Vernehmlassungen der Kantonsregierungen, der politischen Parteien und der interessierten Organisationen zur straflosen Unterbrechung der Schwangerschaft, Bern 1974 (vervielf.) ; NZZ, 555, 29.11.73.
[32] Vgl. A. Sustar, „Zur strafrechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruches — Fristenlösung und Indikationslösung“, in Civitas, 28/1972-73, S. 604 ff. ; Ldb, 19, 24.1.73 ; Vat., 28, 3.2.73 ; NZZ, 71, 12.2.74.
[33] VO, 20, 25.1.73 ; TA, 250, 27.10.73.
[35] AZ, 27/28, 2./3.2.73 ; 126, 1./2.6.73 ; Domaine public, 228, 24.5.73 ; TG (sda), 174, 28.89.7.73.
[36] BBI, 1973, II, Nr. 45, S. 857 ff. ; NZZ, 577, 12.12.73.
[37] NZZ (sda), 319, 13.7.73 ; (sda), 323, 16.7.73 ; GdL (sda), 194, 21.8.73 ; Zeitdienst, 26/1973, S. 307 f.
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