Année politique Suisse 1974 : Economie / Politique économique générale / Konjunkturpolitik
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Einzelne Wirtschaftszweige
Die Abflachungstendenz des wirtschaftlichen Wachstums wirkte sich wie bereits erwähnt sehr differenziert auf die einzelnen Wirtschaftszweige aus. Je nach Standort kam es zu Redimensionierungs-, Stagnations- oder gar Rezessionserscheinungen [51], Im Bereiche der Uhrenindustrie zeigte der Absatz trotz Inflation und zunehmend verschärfter Konkurrenzsituation eine starke Aufwärtsentwicklung, was sich in einer mengenmässigen Wachstumsrate von nahezu 10 % ausdrückte. Gegen Jahresende begann sich indessen die Lage in der Uhrenindustrie fühlbar zu verschlechtern. Die ständig stärker ins Gewicht fallende Aufwertung des Schweizerfrankens und der allgemein verlangsamte Wachstumsrhythmus des Welthandels gaben für die fast ausschliésslich exportorientierte Branche zu ungünstigen Zukunftsaussichten Anlass [52]. Die Maschinenindustrie konnte sich auch in dem rauheren konjunkturellen Klima recht gut behaupten. Die Arbeitsreserven gingen nur geringfügig zurück und reichten Ende September aus, dem Produktionszweig für weitere 9 Monate Beschäftigung zu sichern. In der zweiten Jahreshälfte begann jedoch auch hier der Auftragseingang aus dem Ausland zu stagnieren [53].
Die Situation im Fremdenverkehr erfuhr 1974 eine weitere Verschlechterung. Den mit 2,2 % nur leicht zunehmenden Logiernächten von Schweizern stand eine Abnahme der Auslandfrequenz von rund 8 % gegenüber. In den einzelnen Landesgegenden verlief die Entwicklung dabei sehr unterschiedlich. Während sich in Graubünden die Frequenzen auf dem Vorjahresstand halten konnten, ergaben sich im Mittelland, im Tessin und in den Waadtländer Alpen Einbussen bis zu 5 %, in den übrigen Regionen sogar bis zu 12 %, wobei die Genferseegegend, die Zentralschweiz und das Wallis am stärksten betroffen wurden. Das Gastgewerbe konnte im übrigen auf die Jahresmitte einen neuen allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag mit dem Obligatorium für « Service inbegriffen » in Kraft setzen [54].
Beim Detailhandel zeichnete sich trotz wertmässiger Umsatzzunahme ein leichtes Nachlassen der Kaufneigung der Konsumenten ab. Der strukturelle Konzentrationsprozess hielt daneben unvermindert an, und es zeigte sich immer deutlicher, dass der Bedienungsladen wegen seiner hohen Personalkosten im Lebensmittelsektor immer stärker bedrängt wird. Der Verminderung der Verkaufsstellen stand eine Zunahme von Verkaufsflächen, insbesondere in Form von Supermärkten und Discountgeschäften, gegenüber. Die fast wie Pilze aus dem Boden schiessenden neuen Verkaufseinheiten gaben aber auch zu Diskussionen Anlass. So wurde vielfach kritisiert, dass durch den beschleunigten Strukturwandel Überkapazitäten geschaffen würden, welche eine dezentralisierte Warenversorgung nach und nach verunmöglichten [55]. In einem Postulat forderte zudem der Sozialdemokrat Reiniger (SH) den Bundesrat auf, bundesrechtliche Vorschriften zur Einschränkung des Baus von überdimensionierten Einkaufszentren zu erlassen [56].
 
[51] Für Überblicke vgl. Schweizerische Bankgesellschaft, Schweizerisches Wirtschaftsjahr 1974, Zürich 1974 ; Schweizerische Kreditanstalt, Bulletin, 80/1974, Dezember.
[52] Schweizerische Kreditanstalt, Bulletin, 80/1974, Dezember, S. 12 f.
[53] Schweizerische Bankgesellschaft, Schweizerisches Wirtschaftsjahr 1974, Zürich 1974, S. 47 f.
[54] Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 155 ; Schweizerische Nationalbank, Geschäftsbericht, 67/1974, S. 27 ; TA, 150, 2.7.74. Vgl. auch SPJ, 1972, S. 65.
[55] Schweizerische Bankgesellschaft, Schweizerisches Wirtschaftsjahr 1974, Zürich 1974, S. 36 f.; ferner « Einkaufszentren ja/nein », in Plan, 31/1974, Nr. 7/8, S. 12 ff. In verschiedenen Kantonen kam es daneben zur Ausarbeitung von Gesetzen über die Ladenöffnungszeiten. Vgl. dazu unten, Teil II.
[56] Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1839 f.