Année politique Suisse 1974 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
 
Strassenbau
Der Nationalstrassenbau machte nur gedämpfte Fortschritte. 1974 wurden 62 km (1973 : 81 km) neue Strecken dem Verkehr übergeben, darunter Verbindungen zwischen Zürich und Winterthur sowie zwischen Lausanne und dem oberen Ende des Genfersees. Das befahrbare Netz erreichte damit eine Länge von 914 km, nahezu 50 % des geplanten Ausmasses. Im Bau standen am Jahresende bloss 261 km (1973 : 303 km). Ein doppelter Druck belastete das grosse Investitionswerk : einerseits verschlechterten sich die finanziellen Voraussetzungen, anderseits hielten die Widerstände aus Umweltschutzmotiven an [27].
Da die Einnahmen aus den Treibstoffzöllen merklich zurückgingen, die Finanzlage des Bundes aber eine Abtragung der seit 1961 geleisteten Vorschüsse wünschbar erscheinen liess, beschloss dar Bundesrat — wie an anderer Stelle erwähnt — eine neue Erhöhung des Zollzuschlags (von 20 auf 30 Rp. pro 1) ; zugleich beantragte er den A-fonds-perdu-Beitrag aus der Bundeskasse, welcher bisher dem Anstieg der Zollsätze gefolgt war, auf dem 1972 erreichten Stand (150 Mio Fr.) zu belassen. Der Beschluss wurde Ende August wie seine Vorläufer vorsorglich in Kraft gesetzt. Er führte dazu, dass der Jahresertrag der Treibstoffzölle 1974 noch einmal etwas zunahm ; seine Genehmigung durch die Räte wurde freilich durch das Referendum angefochten. Der Bundesvorschuss an den Nationalstrassenbau konnte einstweilen um rund 100 Mio Fr. (auf ca. 2,6 Mia Fr.) reduziert werden [28].
Die verschiedenen Bewegungen gegen die planmässige Verwirklichung des Nationalstrassennetzes fanden in parlamentarischen und ausserparlamentarischen Vorstössen Ausdruck. Die westschweizerische Opposition gegen den Bau der N1 im ländlichen Gebiet zwischen Yverdon und Avenches äusserte sich in einem Offenen Brief an die eidgenössischen Räte und in zwei Nationalratspostulaten. In Luzern reichte Franz Weber eine kantonale Volksinitiative ein, die eine Standesinitiative gegen die geplante Linienführung für die N2 am rechten Ufer des Sempachersees anstrebte. Im Kanton Schaffhausen wurde eine Initiative lanciert, die sich gegen eine Autobahnverbindung zwischen der deutschen E70 und der schweizerischen N4 wandte, indem sie den Kanton zum Schutz der Rheinlandschaft vor dem Bau zusätzlicher Nationalstrassen verpflichten wollte. Schliesslich kam auf eidgenössischer Ebene Franz Webers Volksbegehren « Demokratie im Nationalstrassenbau » zustande, welches Konzeption, Linienplanung und Ausführung dem fakultativen Referendum unterstellen möchte, und zwar unter Einschluss aller bis 1973 noch nicht gebauten Strecken [29],
Die finanziellen Schwierigkeiten veranlassten den Bundesrat im Oktober zu einer erneuten Erstreckung des Bauprogramms, doch zugleich liess er dieses durch das EDI gründlicher überprüfen. Andeutungen der Verwaltung wurden dahin interpretiert, dass man der Vollendung des nationalen Strassenkreuzes (West-Ost und Nord-Süd-Verbindung) die Priorität einräumen wolle [30]. Für die Bauarbeiten des Jahres 1975 sah das Bundesbudget 986 Mio Fr. vor (ohne Nebeneinnahmen aus Rückerstattungen der Kantone ; 1974 : 935 Mio Fr.) [31].
Da der Vorschlag, den Bund allgemein auch an den Betriebs- und Unterhaltskosten der Nationalstrassen zu beteiligen, im Vorjahr so günstig aufgenommen worden war, beantragte der Bundesrat dem Parlament eine entsprechende Verfassungsänderung. Die mit der Vorberatung betraute Ständeratskommission neigte jedoch dazu, noch weitere Fragen in die Revision einzubeziehen. So verlangte sie im Herbst vom EDI Auskunft über Möglichkeiten der Erschliessung zusätzlicher Finanzquellen ; dabei zog sie die Einführung von Benützergebühren in Betracht [32]. Auch der Bundesrat begann sich wieder für diesen Finanzierungsmodus zu interessieren und liess ihn durch das EVED näher prüfen. Dies veranlasste die Tessiner Regierung, in Bern erneut ihre entschiedene Opposition gegen besondere Gebühren für die Benützung von Strassentunneln zu bekunden [33].
Der kantonale Strassenbau wurde seinerseits durch Finanzknappheit und geschärftes Umweltbewusstsein weiter eingeschränkt. So sah sich die Zürcher Regierung zu einer kräftigen Reduktion ihres grossangelegten Ausbauprogramms von 1964 veranlasst. In anderen Kantonen brachten negative Volksentscheide den allgemeinen Meinungsumschwung zum Ausdruck, wobei die finanziellen Bedenken im Vordergrund standen [34].
 
[27] Gesch.ber., 1974, S. 57 ff.; vgl. dazu SPJ, 1973, S. 91 f. Zürich-Winterthur : TA, 287, 10.12.74 ; 289, 12.12.74. Genfersee : GdL, 253, 30.10.74 ; TLM, 304, 31.10.74.
[28] Gesch.ber., 1974, S. 63. Vgl. SPJ, 1971, S. 103 ; 1972, S. 94 f., sowie oben, Teil I, 4d.
[29] Westschweiz : GdL (sda), 40, 18.2.74 (Offener Brief) ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 909 ff. (Postulate Thévoz, lib, VD, und Bussey, sp, VD). Luzern : LNN, 200, 30.8.74 ; 265, 15.11.74 ; die Initiative wurde in der Volksabstimmung vom 2.3.1975 stark verworfen (Vat., 51, 3.3.75). Schaffhausen : NZZ (sda), 506, 2.12.74 ; TA, 49, 28.2.75. Eidgenössisches Volksbegehren : BBI, 1974, II, Nr. 38, S. 540 ff.; die 67 817 gültigen Unterschriften stammten vor allem aus den Kantonen ZH, VD und BE. Vgl. auch SPJ, 1973, S. 92.
[30] Bund, 243, 17.10.74 ; Lib., 16, 19./20.10.74. Vgl. SPJ, 1973, S. 92.
[31] Pressemitteilung des EDI ; vgl. SPJ, 1973, S. 91 f.
[32] Bundesrat : BBI, 1974, I, Nr. 22, S. 1384 ff. Kommission : NZZ (sda), 410, 4.9.74. Vgl. SPJ, 1973, S. 93.
[33] Bundesrat : Vat. (spk), 206, 6.9.74. Tessin : NZZ, 433, 18.9.74. Vgl. SPJ, 1966, S. 80 f. Im Bündner Grossen Rat wurde eine Ermächtigung der Kantone zur Gebührenerhebung verlangt (NBZ, 397, 19.12.74). NR Albrecht (cvp, NW) schlug die Einführung einer jährlichen Vignettengebühr für alle Motorfahrzeugbesitzer vor (Amtl. Bull. NR, 1974, S. 553 f.).
[34] Zürich : NZZ, 474, 25.10.74 ; 475, 26.27.10.74 ; TA, 248, 25.10.74. Negative Volksentscheide fielen in Neuenburg (TLM, 126, 6.5.74 ; NZZ, 208, 7.5.74), Graubünden (BN, 247, 22.10.74) und Freiburg (TLM, 344, 10.12.74). Vgl. auch SPJ, 1972, S. 95, sowie unten, Teil II, 4b.