Année politique Suisse 1974 : Politique sociale / Groupes sociaux / Frauen
In der Auseinandersetzung über die Frage des straflosen Schwangerschaftsabbruchs traf Ende Juni der Bundesrat seinen Entscheid. Nach langwierigen Beratungen
[41] beschloss er, den Stimmbürgern die
Ablehnung der 1971 eingereichten Initiative ohne Gegenvorschlag zu empfehlen, dafür aber auf der Ebene der Gesetzgebung eine Liberalisierung der strafrechtlichen Bestimmungen im Sinne einer erweiterten Indikation (einschliesslich sozialer Beweggründe) zu beantragen. Die Wahl der erweiterten Indikationslösung widersprach allen Erwartungen, hatte doch gerade diese Variante am wenigsten Widerhall gefunden. Bundespräsident Brugger selbst sprach von einem « Ersatz einer schlechten Lösung durch eine weniger schlechte ». Diese ging den einen wegen des Einbezugs der sozialen Indikation bereits zu weit, den anderen dagegen enthielt sie immer noch zu starke Einschränkungen der persönlichen Freiheit und barg vor allem die Gefahr von Unsicherheiten und Ungleichheiten
[42]. Der Entscheid fand aber auch im Regierungskollegium keinen ungebrochenen Rückhalt. Der Chef des zuständigen Departementes, Bundesrat Furgler, erklärte sich aus weltanschaulichen Gründen ausserstande, eine andere als die engere Indikationslösung vor dem Parlament zu verfechten. Um einer drohenden Koalitionskrise zu begegnen, erklärte sich sein Kollege Brugger bereit, die Vorlage in seiner Eigenschaft als Bundespräsident in den Räten zu vertreten. Mit Rücksicht auf die besondere ethische Natur des Problems stimmte der Bundesrat dieser Übertragung zu
[43].
Die öffentliche Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch hielt unvermindert an
[44]. Nachdem sich bereits in der Vernehmlassung die Mehrzahl der befragten politischen Gruppierungen für die Fristenlösung ausgesprochen hatte, ergab nun auch eine Meinungsumfrage eine relative Mehrheit (33 %) zugunsten dieser Lösung ; weitere 9 % der Befragten befürworteten zudem eine völlige Freigabe des Schwangerschaftsabbruches. 29 % waren für den status quo (enge Indikationslösung) und 21 % votierten für die vom Bundesrat beantragte erweiterte Indikationslösung
[45]. Neben die Vereinigung « Ja zum Leben », zu deren neuem Präsidenten alt Bundesrat Bonvin gewählt wurde, trat nun noch die Aktion « Helfen statt töten ». Diese wurde auf Initiative des Schweizerischen Weissen Kreuzes gegründet und vereinigt vor allem Ärzte, Theologen und Pädagogen, welche sich für den Schutz von Mutter und Kind vor unverantwortlichem Schwangerschaftsabbruch einsetzen wollen
[46].
[41] TA, 100, 2.5.74 ; Ww, 19, 8.5.74 ; NZZ, 273, 16.6.74. Vgl. auch ein Votum Allgöwer (]du, BS) bei der Behandlung des Geschäftsberichtes (Amtl. Bull. NR, 1974, S. 718, 722).
[42] BBI, 1974, II, Nr. 40, S. 703 ff. Vgl. Presse vom 25.-26.6.74 und vom 2.-3.10.74 ; ferner als Zusammenfassungen : Vat., 150, 2.7.74 ; 266, 16.11.74 ; Ww, 27, 3.7.74 ; 41, 9.10.74 ; LNN, 154, 6.7.74. BR Brugger : NZZ, 454, 2.10.74. Vgl. ferner Stellungnahmen : JdG, 146, 26.6.74 (Schweiz. Bischofskonferenz) ; 230, 3.10.74 (Pro Veritate) ; Vat., 145, 26.6.74 (CVP) ; 264, 9.10.74 (Vereinigung kath. Laien) ; NZZ (sda), 307, 5.7.74 (SGB) ; TA, 155, 8.7.74 (SP Frauengruppe) ; VO, 249, 28.10.74 (Schweiz. Vereinigung für straflosen Schwangerschaftsabbruch).
[43] Ostschw., 146, 26.6.74 ; NZZ, 292, 27.6.74.
[44] Vgl. u.a. : Profil, 53/1974, S. 12 ff., 198 ff., 324 ff. ; Vat., 120, 25.5.74 ; 126, 1.6.74 ; 154, 6.7.74 ; 260, 9.11.74 ; Bund, 154, 5.7.74 ; 291, 12.12.74 ; ferner : H. Ringeling und H. Ruh (Hrsg.), Schwangerschaftsabbruch. Theologische und kirchliche Stellungnahmen, Basel 1974 ; H. Stamm, Probleme des legalen Aborts in der Schweiz, Liestal 1974. Die Schweiz. Gesellschaft für Familienplanung führte eine Arbeitstagung zu diesem Thema durch (NZZ, 96, 27.2.74 ; BN, 58, 9.3.74). Vgl. auch SPJ, 1971, S. 132 f. ; 1972, S. 121 f. ; 1973, S. 119 f.
[45] Vernehmlassung : SPJ, 1973, S. 119 f. Meinungsumfrage : Ww, 28, 10.7.74 ; Vat., 172, 27.7.74.
[46] NZZ, 300, 2.7.74 ; (sda), 458, 7.10.74 ; (sda), 489, 12.11.74 (Bonvin).
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