Année politique Suisse 1974 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Grund- und Mittelschulwesen
Schwerpunkte im Primar- und Mittelschulwesen bildeten die interkantonale Schulkoordination und die zahlreichen und unterschiedlichen Reformbestrebungen der Kantone. Da der Bund nach der Ablehnung der Bildungsartikel im März 1973 weiterhin zuwenig Kompetenzen besitzt, um im Bereich dieser Bildungsstufen tätig zu werden, versuchten die Kantone auf der Ebene von regionalen Abkommen, die dringlichsten Fragen einer Lösung näher zu bringen [3]. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) schickte den Bericht einer Expertenkommission für Fremdsprachenunterricht in die Vernehmlassung. Der Bericht empfiehlt, den Beginn des Unterrichts in der ersten Fremdsprache für Deutschschweizer Schüler ins vierte Schuljahr zu legen. In der Westschweiz soll der Deutschunterricht bereits vom dritten Schuljahr an eingeführt werden. Einzelne Kantone hatten schon seit längerer Zeit umfangreiche und meist positiv verlaufene Versuche durchgeführt [4]. Die EDK erliess weiter Empfehlungen für die Erleichterung des Schulübertritts zwischen den Kantonen [5]. Die Nordwestschweizer Regionalkonferenz der EDK unterbreitete den Regierungen der angeschlossenen Kantone Aargau, Basel-Land, Basel-Stadt, Bern, Freiburg, Luzern und Solothurn einen Vertragsentwurf zu einem regionalen Schulabkommen. Dieses soll die gegenseitige Aufnahme von Schülern und Lehrlingen aus den Partnerkantonen regeln und eine optimale Auslastung des Schul- und Lehrangebotes gewährleisten. Es dürfte damit Probleme beseitigen, die bisher angesichts der verwirrend verlaufenden Kantonsgrenzen verschiedentlich zu Missstimmungen geführt hatten [6].
Das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens zum Expertenbericht « Mittelschule von morgen » wurde von der EDK einer provisorischen Wertung unterzogen [7]. Die eingegangenen 167 Antworten ergaben ein ausserordentlich breites Meinungsspektrum [8]. Hochschulkonferenz, Wissenschaftsrat, Technische Hochschulen, Schulleiterkonferenzen, die beiden Lehrerdachverbände (Verein schweizerischer Gymnasiallehrer und Konferenz schweizerischer Lehrerorganisationen) sowie die Gewerkschaften hielten eine umfassende Mittelschulreform im Prinzip für notwendig oder wünscbar. Die Antworten der Mehrzahl der Kantone, der Hochschulen sowie der Arbeitgeberverbände, die sich gegen die vorgesehenen Reformen aussprachen, liessen jedoch kaum annehmen, dass an eine Verwirklichung der Empfehlungen des Berichts gedacht werden kann.
Während auf eidgenössischer Ebene Reformbestrebungen grossen Hindernissen begegnen, scheinen die zahlreichen kantonalen und kommunalen Bemühungen eher Aussicht auf eine Realisierung zu besitzen. Unverkennbar ist dabei, dass die Westschweizer Kantone, vor allem der « Pionierkanton » Genf [9], weitergehende Schritte unternehmen als manche in Schulfragen konservativere Stände der deutschen Schweiz. Das Walliser Schulwesen wurde durch die im Herbst erfolgte Einführung der Orientierungsschule (cycle d'orientation) tiefgreifend umstrukturiert [10]. Der Tessiner Grosse Rat nahm ein Mittelschulgesetz an, das eine Vereinheitlichung für das 6. bis 9. Schuljahr bringt und diese Periode in einen Beobachtungs- und einen Orientierungszyklus einteilt [11]. Die Annahme eines neuen Bundesgesetzes über Schweizerschulen im Ausland ist schon an anderer Stelle erwähnt worden [12].
In Lugano und in Genf kam es zu Gymnasiastenstreiks ; die Mittelschüler forderten, die Abwesenheitskontrolle in eigener Regie durchführen zu können. Die Vorgänge am Lyzeum von Lugano erregten erhebliches Aufsehen und endeten schliesslich mit dem Beschluss des Tessiner Staatsrats, die Versammlungen der Mittelschüler des ganzen Kantons offiziell anzuerkennen [13]. Dagegen wurden in Zürich zwei Schüler, deren politische Tätigkeit gegen Disziplinarvorschriften verstiess, vom Besuch des Gymnasiums Freudenberg ausgeschlossen [14], und der aargauische Regierungsrat beschloss, dem als Militärgegner bekannten André Froidevaux das Lehrerpatent zu entziehen [15].
 
[3] Vgl. SPJ, 1973, S. 126 f. und 130 f.
[4] TLM, 61, 2.3.74; TG, 108, 10.5.74 ; NZZ (sda), 219, 13.5.74 ; 503, 28.11.74; vgl. auch Mitteilungen der Schweiz. Dokumentationsstelle für Schul- und Bildungsfragen, 13/1974, Nr. 50, S. 29 und 13/1974, Nr. 51, S. 1 ff.
[5] NZZ, 23, 15.1.74.
[6] NZ, 202, 1.7.74 ; TA, 155, 8.7.74 ; NZZ, 478, 30.10.74.
[7] Mitteilungen der Schweiz. Dokumentationsstelle für Schul- und Bildungsfragen, 13/1974, Nr. 50, S. 1 ff. ; NZZ (sda), 441, 23.9.74.
[8] Vgl. SPJ, 1973, S. . 131 f. ; NZZ, 194, 28.4.74 ; Bund, 207, 5.9.74 ; Lib., 261, 13.8.74.
[9] Bund, 167, 21.7.74; Ww, 33, 14.8.74; JdG, 200, 207, 209, 211, 214, 236, 237, 242, 243, 255, 257, 258, 262, 263, 288, 289, 291, 292, 295, 28.8.-18.12.74 (Artikelserien).
[10] NZZ, 329, 18.7.74 ; TLM, 224, 17.8.74 ; 233, 21.8.74 ; 281, 8.10.74.
[11] Dov., 235, 12.10.74 ; NZZ, 466, 16.10.74 ; Bund, 275, 24.11.74.
[12] Vgl. oben, Teil I, 2.
[13] Genf : TG, 72, 27.3.74 ; Lugano : NZZ, 145, 27.3.74 ; NZ, 98, 28.3.74 ; TLM, 146, 20.5.74 ; Bund, 134, 12.6.74 ; Bresche, Nr. 32, Juni 1974.
[14] NZ, 43, 8.2.74 ; 68, 2.3.74 ; TA, 33, 9.2.74.
[15]NZ, 254, 16.8.74 ; 255, 17.8.74 ; TA, 188, 16.8.74 ; Ostschw., 221, 21.9.74.