Année politique Suisse 1974 : Enseignement, culture et médias / Médias
Presse
Im Pressewesen stellen wir weiterhin Konzentrationsbewegungen fest. Steigende Kosten, der Dienstleistungsabbau der PTT und ein der wirtschaftlichen Entwicklung entsprechender Rückgang des lebenswichtigen Inseratengeschäftes brachten auch für ehrwürdige Presseerzeugnisse entweder den Untergang oder eine Umstrukturierung, die verstärkte Zusammenarbeit oder Fusion mit anderen Blättern bedeutete. Diese Bewegungen liessen auch Kantons- und Parteigrenzen nicht unberührt
[1].
Das « Langenthaler Tagblatt » erschien seit April als Kopfblatt der « Solothurner Zeitung ». Der Entscheid dieses oberaargauischen Regionalblattes, über die Kantonsgrenzen hinaus Anschluss zu suchen, erwuchs zu einem kleinen bernischen Politikum
[2]. Weit mehr Bedeutung hatte der Beschluss der
« Gazette de Lausanne » und des « Journal de Genève », ab Anfang April ihren redaktionellen Teil mit Ausnahme der Lokalseiten gemeinsam zu gestalten. Damit verbanden sich die beiden führenden liberalen Tageszeitungen der französischen Schweiz. Der eher heikle Zusammenschluss, der kaum zu ersetzende Verluste im geistigen Leben der Westschweiz mit sich bringt, löste in allen politischen Lagern ernste Kommentare aus
[3].
Ende Juni ging das « Luzerner Tagblatt » in die Hände der Werbegesellschaft Publicitas über. Die Sanierungsbemühungen des bisherigen Mehrheitsaktionärs, Nationalrat A. C. Brunner, der das Blatt 1972 erworben hatte, waren offensichtlich gescheitert. Der Ringier-Verlag — bereits Besitzer der « Luzerner Neuesten Nachrichten » — lehnte ein Verkaufsangebot mit der Begründung ab, aus grundsätzlichen Überlegungen keine weitere politische Tageszeitung mehr erwerben zu wollen. Der Einstieg der mächtigen Inseratenverwalterin Publicitas ins Zeitungsverlagsgeschäft schien in vielen Augen die redaktionelle Unabhängigkeit zu gefährden. Die Inseratenagentur bezeichnete sich jedoch als « Aktionär auf Zeit » und wies auf geschäftspolitische Interessen hin, die sie zur Übernahme bewogen hätten (Aufrechterhaltung des Inseratenpools « Luzerner Tagblatt »/« Vaterland »)
[4].
Im August wurde bekannt, dass der 107jährige freisinnige « Freie Rätier » sein Erscheinen auf das Jahresende 1974 einstellen werde. Er ging im Nachfolgeblatt der demokratischen « Neuen Bündner Zeitung », der parteiunabhängigen « Bündner Zeitung », auf
[5]. Im Bereich der
christlichdemokratischen Presse erweiterte das Luzerner « Vaterland » sein Kopfblattsystem. Im August wurde das schon vorher mit dem CVP-Blatt verbundene « Glarner Volksblatt » durch eine Regionalausgabe des « Vaterland » ersetzt. Im Dezember wurde vereinbart, die CVP-Blätter « Aargauer Volksblatt » (Baden), « Basler Volksblatt » und « Nordschweiz » (Laufen, BE) neu als Kopfblätter des « Vaterland » erscheinen zu lassen
[6].
Der mühsame Fortgang der Arbeiten an den von der Motion Akeret (svp, ZH) 1973 verlangten
Förderungsmassnahmen
[7] und die Verschlechterung der Bundesfinanzen lässt erwarten, dass die bedrängten Blätter noch vor einer längeren Durststrecke stehen. Prof. Leo Schürmann, Mitglied der die Förderungsmassnahmen ausarbeitenden Expertenkommission, warnte vor einer Überschätzung der Bundeshilfe und appellierte an den Willen und die Fähigkeit der Zeitungen zur Selbsthilfe. Eine Erhaltung der gegenwärtigen Strukturen falle ausser Betracht
[8]. Im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der Meinungspresse stand erneut die PTT im Vordergrund. Sie ging angesichts ihrer prekären Finanzverhältnisse zunehmend zur Einmalzustellung über und zwang damit die Zeitungsbetriebe, die Produktion in die Nacht zu verlegen und damit zusätzlich zu verteuern
[9]. Unter dem Druck der veränderten Zustelldienste erschien die « Neue Zürcher Zeitung » seit Ende September nur noch einmal täglich
[10]. Den weiterhin florierenden Gratisanzeigern begegneten die Luzerner Tageszeitungen mit einer Aufklärungskampagne
[11]. Der Zürcher Rechtsanwalt und Umweltexperte Heribert Rausch erwirkte ein allerdings kostspieliges richterliches Verbot gegen das Einstecken von Gratisanzeigern in seinen Briefkasten
[12].
Im Dezember wandte sich die Presse gegen eine Kritik der Arabischen Liga, die ihr eine proisraelische Haltung im Nahost-Konflikt vorgeworfen hatte. Die gemischte pressepolitische Kommission des Schweizerischen Zeitungsverlegerverbandes und des Vereins der Schweizer Presse stellte fest, dass die Schweizer Presse jeden Versuch ablehne, sie zu einer Gesinnungsneutralität zu bewegen
[13], Die Aufnahme eines ganzseitigen Inserates der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) im « Tages-Anzeiger » und in der « La Suisse » verursachte einigen Wirbel ; der « Tages-Anzeiger » beschloss, inskünftig keine Inserate mehr anzunehmen, deren Inhalt sich auf weltpolitische Krisenherde bezieht
[14].
Im Bereich der Berufsorganisationen der Presse brachte das Jahr 1974 die Kündigung des Kollektivvertrags in der Westschweiz. Der Zentralvorstand des Vereins der Schweizer Presse (VSP) entschloss sich zu diesem Schritt, als sich die in der Union romande de journaux (URJ) zusammengeschlossenen Verleger ausserstande erklärten, die im Oktober von einer paritätischen Kommission VSP/ URJ ausgearbeiteten Revisionen zu genehmigen
[15].
[1] Eine vollständigere Darstellung in TA (ddp), 4, 7.1.75. Vgl. auch « Konzentration im schweizerischen Pressewesen », in Veröffentlichungen der Schweizerischen Kartellkommission, 9/1974, S. 257 ff.
[2] BZ, 39, 16.2.74 ; 43, 21.2.74 ; 45, 23.2.74 ; NZZ, 109, 6.3.74.
[3] GdL, 75, 30./31.3.74 ; TG, 80, 5.4.74 ; NZZ, 164, 8.4.74 ; 525, 24.12.74.
[4] LNN, 148, 29.6.74 ; Ww, 27, 3.7.74 ; VO, 164, 19.7.74.
[5] NBZ, 235, 1.8.74 ; 406, 31.12.74 ; NZZ, 353, 2.8.74.
[6] Vat., 176, 1.8.74 ; 296, 21.12.74 ; NZZ (sda), 518, 16.12.74 ; Ostschw., 304, 31.12.74.
[7] Vgl. SPJ, 1973, S. 138 ; TA, 57, 9.3.74 ; 139, 19.6.74.
[8] TG, 151, 2.7.74 ; Vat., 151, 3.7.74.
[9] GdL, 31, 31.7.74 ; NZZ (sda), 502, 27.11.74 ; 503, 28.11.74 ; TA, 297, 21.12.74. Vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1295 ff.
[10] NZZ, 389, 23.8.74 ; Bund, 165, 18.7.74.
[11] LNN, 119, 24.5.74 ; 120, 25.5.74 ; NZZ, 288, 25.6.74.
[12] TA (ddp), 4, 7.1.75.
[13] BN, 287, 7.12.74 ; NZZ (spk), 514, 11.12.74 ; TG, 290, 12.12.74 ; TA, 297, 21.12.74.
[14] TA, 277, 28.11.74 ; 283, 5.12.74.
[15] Lib., 23, 28.10.74 ; Tat, 300, 24.12.74 ; JdG, 300, 26.12.74.
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