Année politique Suisse 1975 : Chronique générale / Politique étrangère suisse
 
Bilaterale Beziehungen
Bei den bilateralen Beziehungen zu anderen Staaten tat sich nur wenig, das verbreitete Beachtung fand. Persönliche Kontakte zwischen hohen Funktionären sind auch im nachbarlichen Verhältnis von Bedeutung [30] ; insbesondere trug der Besuch des italienischen Aussenministers Rumor in der Schweiz dazu bei, die Zielkonflikte zwischen dem Emigrations- und dem Immigrationsland etwas zu entschärfen und offene Fragen einer Lösung näher zu bringen. In der Folge einigte sich die gemischte Kommission für Fremdarbeiterfragen auf eine neue Regelung, die zwar an der bundesrätlichen Stabilisierungs- und Abbaupolitik keine Abstriche vornimmt, jedoch Lebensbedingungen und soziale Sicherheit der italienischen Gastarbeiter etwas zu verbessern verspricht [31].
Als immer wichtiger erweisen sich Institutionen und Konferenzen, die grenzüberschreitende Regionalprobleme behandeln und an denen sich die betroffenen Gliedstaaten und Verwaltungseinheiten direkt beteiligen [32]. Besonders dringend scheinen die Probleme im Gebiet des Oberrheins zu sein, das ohne grenzüberschreitende Planung einer chaotischen Entwicklung entgegengeht. Da die deutsch-französisch-schweizerische Konferenz für regionale Koordination, die seit fünf Jahren auf der Ebene von Regierungsbezirken, Departements und Kantonen periodisch zusammentritt, wegen unterschiedlicher Kompetenzen der Verhandlungspartner nicht genügte, wurde auf Regierungsebene eine « Commission tripartite » institutionalisiert. In der Presse blieb umstritten, ob sich damit die Probleme lösen liessen oder ob sie nur verwaltet würden [33].
Die Opposition gegen eine Einlagerung atomarer Raketensprengköpfe durch die französische Armee nahe der Schweizer Grenze blieb im wesentlichen auf den direkt betroffenen Jura beschränkt und konnte den Bundesrat zu keiner Demarche in Paris veranlassen [34]. Innere Entwicklungen in Spanien lösten hingegen auch in der Schweiz eine landesweite Welle des Protestes aus, die insbesondere in Genf einen Höhepunkt erreichte. Todesstrafen für militante, des Polizistenmordes mit juristisch zweifelhaften Methoden schuldig gesprochene Regimegegner und die Vollstreckung der Urteile hatten zahlreiche Demonstrationen, Resolutionen, Hungerstreiks, Kirchen- und Konsulatsbesetzungen zur Folge [35]. Der Bundesrat, der die spanische Regierung um Begnadigung der Verurteilten ersucht hatte, sah sich veranlasst, dem Beispiel anderer europäischer Staaten zu folgen und den Schweizer Botschafter in Madrid zu Konsultationen nach Bern zurückzurufen [36]. Während bürgerliche Kreise diese wohl eher ungewöhnliche Reaktion zum Teil heftig kritisierten oder gar als Neutralitätsverletzung verurteilten [37], verlangte die politische Linke härtere Massnahmen und forderte den Bundesrat auf, sofort ein Waffenausfuhrverbot gegen Spanien zu erlassen [38].
Schwierigkeiten ergaben sich auch im Verhältnis zu den USA. Handelspolitische Probleme veranlassten den Ständerat, seine Zustimmung zur Ratifikation des von den Amerikanern gewünschten Rechtshilfeabkommens zu verzögern [39]. Die Ernennung eines US-Botschafters für die Schweiz erregte zweimal Missfallen in der Öffentlichkeit, da sowohl unbedachte Äusserungen P. Dominicks als auch die diplomatische Vergangenheit seines Nachfolgers N. Davis zu neutralitätspolitischen Bedenken Anlass geben konnten [40]. Mit einer kritischen Distanzierung von Staatssekretär Kissingers Warnung, eine militärische Intervention gegenüber Ölproduzenten sei im Fall wirtschaftlicher Strangulation des Westens nicht ausgeschlossen, suchte Bundespräsident Graber die Glaubwürdigkeit unserer Neutralitätspolitik zu bekunden, wie das auch andere neutrale Mitgliedstaaten der Internationalen Energieagentur für angebracht hielten. Diese Reaktion wurde jedoch als moralische Schulmeisterei bezeichnet, die ihrerseits gegen die nötige neutralitätspolitische Zurückhaltung verstosse [41].
 
[30] Vgl. E. Diez, « Grenznachbarliche Beziehungen », in Handbuch..., S. 891 ff. Reisediplomatie : vgl. Gesch.ber., 1975, S. 17.
[31] Besuch Aussenminister Rumors in der Schweiz : Presse vom 22. und 23.4.75. Verhandlungen der Kommission : Presse vom B. und 9.7.75. Zur Frage der italienischen Grenzgänger : BBI, 1975, II, Nr. 29, S. 345 ff. (Botschaft des BR betreffend Besteuerung und Finanzausgleich). Wenig konzessionsbereit zeigte sich die Schweiz in den Verhandlungen der spanisch-schweizerischen Kommission für Fremdarbeiterfragen : Presse vom 5.11.75. Vgl. auch unten, Teil I, 7d (Politique à l'égard des étrangers) und SPJ, 1974, S. 38, 72 und 115 ff. Vgl. ferner S. Ronzani, « Ausländische Arbeitskräfte », in Handbuch..., S. 833 ff.
[32] Zwei diesbezügliche Kolloquien unter Ägide des Europarates in Genf und Innsbruck : JdG, 19, 24.1.75 ; 20, 25.1.75 ; 29, 5.2.75 ; 218, 19.9.75 ; NZ, 290, 17.9.75. Genfer Region : TLM, 66, 7.3.75 ; JdG, 56, 8.3.75 ; TG, 291, 13.12.75. Alpenländerkonferenz in Davos : BüZ, 234, 5.9.75 235, 6.9.75 ; NZZ, 206, 6.9.75 ; 208, 9.9.75 ; TA, 207, 8.9.75. Vgl. auch Gesch.ber., 1975, S. 37 f.
[33] TA, 55, 7.3.75 ; 255, 3.11.75 ; 256, 4.11.75 ; BN, 104, 6.5.75 ; 254, 31.10.75 ; 257, 4.11.75 Bund, 118, 25.5.75 ; 259, 5.11.75 ; NZ, 344, 4.11.75 ; 359, 17.11.75 ; NZZ, 258, 6.11.75.
[34] Protest der Statthalter des Nordjura : JdG, 12, 16.1.75 ; TG, 12, 16.1.75 ; TLM, 16, 16.1.75. Protest der Gemeindepräsidenten des Bezirkes Pruntrut : NZZ (sda), 136, 16.6.75. Einfache Anfragen Villard (sp, BE) und Wilhelm (cvp, BE) : Amtl. Bull. NR, 1975, S. 596 und 1520 f. NR Allgöwer (ldu, BS) in Tat, 198, 24.8.75. Vgl. auch TA, 31, 7.2.75 ; 163, 17.7.75 ; 24 Heures, 147, 28.6.75 ; NZZ, 164, 18.7.75 ; Bund, 170, 24.7.75 ; Vat., 171, 26.7.75.
[35] Vgl. die Presse von September und Anfang Oktober 1975. Vgl. auch H. Widmer, « Spanien und wir : eine Herausforderung an die Vernunft », in Schweizer Rundschau, 74/1975, S. 372 ff.
[36] Vgl. die Presse vom 30.9.75. Vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1308 und Amtl. Bull. StR, 1975, S. 579 (Erklärungen der Ratspräsidenten).
[37] Kritik am bundesrätlichen Entscheid : BN, 227, 30.9.75 ; NZZ, 226, 30.9.75 ; 24 Heures, 226, 30.9.75 ; 252, 7.10.75 ; Vat., 236, 11.10.75 ; Bund, 238, 12.10.75. Interpellation Schwarzenbach (rep., ZH) : Verhandl. B.vers., 1975, IV, S. 40. Wortgefecht im StR : Amtl. Bull. StR, 1975, S. 581 und 586 f. Unschöne Szenen im NR anlässlich einer von den Sozialdemokraten geforderten Schweigeminute für die spanischen Regimeopfer : GdL, 230, 3.10.75.
[38] Positive Beurteilung der bundesrätlichen Reaktion : BZ, 228, 30.9.75 ; 229, 1.10.75 ; LNN, 226, 30.9.75 ; 230, 8.10.75 ; TG, 227, 30.9.75 ; Tw, 228, 30.9.75 ; 230, 2.10.75 ; VO, 225, 30.9.75. Forderung, Waffenlieferungen nach Spanien zu verbieten : NZ, 304, 30.9.75 ; TA, 226, 30.9.75 BZ, 235, 8.10.75 ; Verhandl. B.vers., 1975, IV, S. 51 (Einfache Anfragen Renschler, sp, ZH und Riesen sp, FR). Spanien ist der drittgrösste Waffenabnehmer der Schweiz, vgl. NZ, 289, 16.9.75 24 Heures, 251, 6.10.75 ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 582 (Einfache Anfrage Schmid, sp, SG). Vgl. ferner U. Schwarz, « Waffenausfuhrpolitik », in Handbuch..., S. 813 ff.
[39] Handelspolitische Schwierigkeiten : Vgl. unten (Staatliche Unterstützung der Exportindustrie). Staatsvertrag mit den USA : BBI, 1974, II, S. 580 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1885 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 427 ff. ; Bund, 63. 17.3.75 ; BZ, 63, 17.3.75 ; 140, 19.6.75 Ostsc/nv., 1971, 25.7.75. Vgl. auch SPJ, 1974, S. 38 und 72.
[40] Affäre Dominick : TG, 26, 1.2.75 ; 32, 7.2.75 ; 36, 13.2.75 ; 44, 22.2.75 ; 24 Heures, 27, 3.2.75 ; 35, 12.2.75 ; TA, 32, 8.2.75 ; NZZ, 36, 13.2.75 ; Ldb, 129, 9.7.75. Affäre Davis : 24 Heures, 220, 23.9.75 ; 252, 30.10.75 ; 255, 4.11.75; NZ, 328, 21.10.75 ; TLM, 300, 28.10.75 ; 304, 31.10.75 ; TG, 259, 6.11.75 ; TA, 243, 20.10.75 ; 252, 30.10.75 ; Bund, 254, 30.10.75 ; JdG, 293, 16.12.75 ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1529 (Einfache Anfrage Ziegler, sp, GE).
[41] Erklärung BR Grabers : NZZ (spk), 6, 9.1.75 ; JdG (ats), 7, 10.1.75. Kritik : NZZ, 7, 10.1.75 ; Vat., 9, 11.1.75 ; Tat, 48, 26.2.75 ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 573 (Dringliche Einfache Anfrage Allgöwer, ]du, BS). Vgl. aber auch VO, 8, 11.1.75. Internationale Energieagentur (Organ des Internationalen Energieprogramms) : vgl. oben, Neutralität, und unten (Multilaterale Wirtschaftsbeziehungen).