Année politique Suisse 1975 : Chronique générale / Finances publiques
 
Situation der öffentlichen Finanzen
Die Situation der öffentlichen Finanzen verschlechterte sich 1975 erneut. Der Bundesfinanzhaushalt befand sich in der schwierigsten Lage seit dem 2. Weltkrieg und stellte die schweizerische Konkordanzdemokratie vor aussergewöhnliche Bewährungsproben. Demgegenüber verlief die Entwicklung der Kantonshaushalte weniger dramatisch und nur schwach defizitär. Ausschlaggebend dafür war der Umstand, dass die Einnahmen der Kantone zur Hauptsache aus den direkten Einkommenssteuern stammten, die auf früheren, ertragreichen Bernessungsjahren basierten. Die Einkünfte des Bundes reagierten dagegen viel rascher auf die Rezession. Beobachter sahen aber auch für die Kantone und Gemeinden ab 1977 namhafte Steuereinbussen voraus [1].
Insgesamt schlossen die Rechnungen der Kantone für das Jahr 1974 bei Ausgaben von 17,0 Mia Fr. und Einnahmen von 16,4 Mia Fr. zum zwölften aufeinanderfolgenden Mal mit einem Defizit ab. Der Anteil des Fehlbetrags von 592 Mio Fr. (Vorjahr : 507 Mio Fr.) an den Gesamtausgaben war jedoch mit 3,5 % ungefähr gleich hoch wie 1973, während er 1971 und 1972 über 7 % betragen hatte. Der Anteil der Passivzinsen an den Gesamtausgaben, der im Zusammenhang der Diskussionen über die zunehmende Verschuldung der öffentlichen Hand immer mehr Beachtung findet, belief sich auf 3,9 % und hatte sich seit 1970 nicht erhöht [2].
Wie bereits in den zwei Vorjahren trafen Bund und Kantone eine Vereinbarung über die Budgetrichtlinien. Nachdem für 1975 der Ausgabenzuwachs gegenüber den Voranschlägen von 1974 auf 12 % begrenzt worden war, sah man für die Budgets von 1976 eine Limitierung des Ausgabenwachstums auf höchstens 9 % vor. Im Sinne einer konjunkturgerechten Budgetierung sollte die reale Zunahme der Gesamtausgaben soweit als möglich auf die Investitionen entfallen. Der generelle Personalstopp, der, wie unten ausgeführt wird, für die Bundesverwaltung galt, wurde auch auf die kantonalen Verwaltungen ausgedehnt. Einer weiteren Abschwächung der Konjunktur wollte man mit Eventualhaushalten begegnen, die rasch zusätzliche Investitionen einleiten könnten [3].
Diese später vom Bund, von 13 Kantonen und einigen grösseren Städten ausgearbeiteten Konjunkturzusätze erschwerten die Beurteilung der Voranschläge für das Jahr 1976. Nach einer Zusammenstellung der eidgenössischen Finanzverwaltung musste mit einem Rekorddefizit von rund 3,4 Mia Fr. gerechnet werden. Das Budget des Bundes enthielt, wie unten näher ausgeführt wird, einen Fehlbetrag von 1188 Mio Fr. Das Defizit der Kantone, welche die vorgesehene Zuwachsrate der Ausgaben von 9 % im Durchschnitt einhielten, betrug laut Voranschlägen 1390 Mio Fr., während dasjenige der Gemeinden wie im Vorjahr mit 800 Mio Fr. beziffert wurde. Rund 7,8 % der geplanten Ausgaben wurden somit nicht durch laufende Einnahmen gedeckt. Wie eine Ironie des Schicksals mutete es an, dass 1972, in einer Zeit ausgesprochener Hochkonjunktur, sogar 8,3 % der Ausgaben durch Neuverschuldung finanziert worden waren [4]. — Vermehrt rückten Budget- und Steuerfragen in den Vordergrund der kantonalen und kommunalen Politik [5]. Der Genfer Staatsvoranschlag erlebte eine Irrfahrt, die erst im Juni ein Ende fand [6]. Die wiederholte Verwerfung der kommunalen Budgets in Bern und Biel liess auf eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit der defizitären und Steuererhöhungen nach sich ziehenden Finanzpolitik der öffentlichen Hand schliessen. Den nachdrücklichen, aber wenig differenzierten Sparappellen der Bürger, die sich vor allem gegen überdimensionierte Verwaltungskosten zu richten schienen, standen Versicherungen der Behördevertreter gegenüber, dass jede weitere Sparmassnahme nur noch auf Kosten wichtiger staatlicher Dienstleistungen durchgeführt werden könnte [7].
Die Finanzpolitik des Bundes hatte zwei widersprüchlichen Tendenzen gerecht zu werden. Unter dem Eindruck des « Sparbefehls », den Volk und Stände am 8. Dezember 1974 mit der Verwerfung einer neuen Finanzordnung erteilt hatten, wurden zunächst über Budgetabstriche und gewichtige Umlagerungen die Ausgaben gekürzt. Bereits im Frühjahr zeigte sich jedoch, dass die angestrebte restriktive Ausgabenpolitik zugunsten von konjunkturpolitisch notwendigen, gezielten Beschäftigungsanstössen gelockert werden musste. Etliche Budgetkürzungen wurden daher im Rahmen des von den eidgenössischen Räten in der Sommersession bewilligten ersten Konjunkturprogrammes wieder rückgängig gemacht [8]. Mehr als nur aufgehoben wurden die Sparprogramme ferner durch die konjunkturbedingt grosszügige Budgetierung für das Jahr 1976.
Erstmals seit Beginn der zwanziger Jahre lag am Jahresanfang kein definitives Budget vor. Dieses konnte erst verabschiedet werden, nachdem sich die eidgenössischen Räte im Januar in einer Sondersession mit einem umfangreichen, zehn Vorlagen umfassenden Paket von Massnahmen zur Verbesserung des Bundeshaushaltes befasst hatten [9]. Der Dringlichkeit des Geschäftes entsprechend lag den Vorlagen kein klares Konzept zugrunde ; der Bundesrat begnügte sich mit punktuellen Korrekturen und, wie er selber ausführte, mit « zum Teil recht groben Eingriffen » [10]. Das Parlament, dem in dieser Lage so wenig Spielraum offenblieb, dass von einem beschränkten Vollmachtenregime des Bundesrates die Rede sein konnte [11], übernahm die Anträge weitgehend. Eine Ausnahme bildete die Zurückstellung eines Erlasses zur wirksameren Bekämpfung der Steuerhinterziehung, die freilich gegen den Willen der sozialdemokratischen Fraktion beschlossen wurde. Die übrigen neun Vorlagen wurden mit grossen Mehrheiten verabschiedet, wobei in vier Fällen das Notinstrument des Dringlichen Bundesbeschlusses zur Anwendung kam. Die gewichtigsten Einsparungen brachten eine Reduktion der Bundesleistungen zugunsten der AHV/IV um 540 Mio Fr. und ein Subventionsabbau in der Höhe von 400 Mio Fr., zu dessen Durchführung das Parlament, offenbar in realistischer Einschätzung seiner Möglichkeiten, den Bundesrat ermächtigte. Die Exekutive erhielt übrigens diese Kompetenz zur Herabsetzung von Bundesbeiträgen bis Ende 1977 und machte davon, wie noch gezeigt wird, im Rahmen der Ausarbeitung des Voranschlags für das Jahr 1976 weiteren Gebrauch. Ein bundesrätlicher Antrag, 80 Mio Fr. beim EMD zu kürzen, führte zu grösseren Kontroversen. Schliesslich setzte sich ein Vorschlag der ständerätlichen Kommission durch, nach welchem, verteilt auf alle Departemente, 100 Mio Fr. eingespart werden sollten [12]. Die Anteile der Kantone an den Bundeseinnahmen wurden nicht wie beantragt um 20 %, sondern — nach heftigen Reaktionen der kantonalen Finanzdirektoren [13] — um 10 % herabgesetzt. An Einsparungen ergaben sich dadurch 108 Mio Fr. Noch nicht abschätzbar waren die Auswirkungen von zwei weiteren Sparbeschlüssen. Der Bundesrat wurde ermächtigt, die einmaligen Teuerungszulagen für 1975 und 1976 auf einen festen Betrag zu begrenzen oder abnehmend zu stufen. Auch einer Neuauflage der sogenannten « Ausgabenbremse » wurde zugestimmt [14].
 
[1] Bund, 200, 28.8.75 ; TA, 91, 20.4.76. Vgl. weiter den Rechenschaftsbericht des Bundesrates 1971-1975, in BBI, 1975, I, Nr. 19, S. 1698 ff. und 1717, und R. Bieri, « Der Engpass der Bundesfinanzen », in Bund, 271, 19.11.75 ; 272, 20.11.75.
[2] Vgl. SPJ, 1974, S. 73, insbesondere Anm. 2 ; Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 412 ff.
[3] Presse vom 22.5.75 ; Botschaft des Bundesrates... zum Voranschlag... für das Jahr 1976, S. 3 * und 86 * f.
[4] Die Volkswirtschaft, 49/1976, S. 33 ff. ; wf, Dok. (= Dokumentations- und Pressedienst), 4, 26.1.76.
[5] Ww, 48, 3.12.75 (Report : « Pleitegeier über den Gemeinden »).
[6] Vgl. oben, Teil I, 1e (Elections cantonales et communales) und unten, Teil II, 2b.
[7] Bund, 247, 22.10.75 ; 270, 18.11.75 ; 285, 5.12.75 ; Tw, 292, 13.12.75 ; Vat., 290, 13.12.75. Zum Problem Haushaltdefizit und Verwaltungsapparat vgl. auch Anm. 15.
[8] Gesch.ber., 1975, S. 197 ff. ; BBI, 1975, I, Nr. 19, S. 1651 ff. ; K. Huber, « Die Schweiz vor vier schwierigen Jahren », in Schweizer Monatshefte, 55/1975-76, S. 786 ff. Vgl. weiter SPJ, 1974, S. 73 ff. und oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).
[9] BBl, 1975, I, Nr. 4, S. 334 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 37 ff.
[10] BBI, 1975, I, Nr. 4, S. 365 ; Presse vom 11.1.75 ; NZZ, 14, 18.1.75.
[11] NZZ (sda), 13, 17.1.75 (Stellungnahme der SPS) ; Bund, 25, 31.1.75.
[12] Presse vom 22.1.75 ; TA, 18, 23.1.75 ; 24, 30.1.75 ; NZ, 35, 1.2.75. Das EMD hatte später Kürzungen von 58,5 Mio Fr. hinzunehmen (vgl. Presse vom 4.3.75).
[13] Presse vom 16.1.75 ; NZZ, 19, 24.1.75 ; 21, 27.1.75 ; LNN, 20, 25.1.75.
[14] Zu diesem Bundesbeschluss über die Erschwerung von Ausgabenbeschlüssen vgl. SPJ, 1974, S. 75 f. und BBI, 1975, II, Nr. 24, S. 121 ff.