Année politique Suisse 1975 : Chronique générale / Finances publiques / Sanierung des Bundeshaushalts
Drei Massnahmen bezogen sich auf die Einnahmeseite. Aus Erhöhungen der Warenumsatzsteuer (Wust), der Verrechnungssteuer und der Wehrsteuer (West) erwartete der Bund für 1976 Mehrerträge von 985, 350 und 65 Mio Fr. Im neuen Voranschlag für das Jahr 1975 konnte das Defizit in der Finanzrechnung, das nach der Verwerfung der Bundesfinanzordnung am 8. Dezember 1974 auf 1800 Mio Fr. beziffert worden war, letzten Endes auf 458 Mio Fr. herabgesetzt werden. Dieser Betrag erschien jedoch schon bald als unrealistisch. Die improvisierte Kürzungsrunde, die der Bundesrah im Februar in eigener Kompetenz durchführte (400 Mio Fr. Subventionsabbau und 100 Mio Fr. Kürzungen bei den Departementen) verdeutlichte noch, was bereits bei den Beratungen im Parlament zum Ausdruck kam und wohl für viele Bürger eine überraschende und schmerzhafte Einsicht bedeutete : die Möglichkeit, im zunehmend durch Übertragungen an Dritte gekennzeichneten Bundeshaushalt die verlangten « echten Einsparungen » vorzunehmen, erwies sich als sehr beschränkt
[15]. So wurden die Lasten weitgehend auf Dritte überwälzt — vor allem auf die ihre Beitragssätze erhöhenden Sozialwerke, auf die Krankenkassen, auf die Kantone und die Konsumenten, welche nach dem Abbau der Butterverbilligung für Butter wie für Margarine höhere Preise hinnehmen mussten
[16]. Der dekretierte Opfergang wurde denn auch von weiten Kreisen mit Unbehagen und Ernüchterung aufgenommen, zumal diese gewiss nur kurzfristige Lösung des Finanzproblems noch vom Urnengang des 8. Juni abhing. Vor allem die Linksparteien kritisierten den « Abbau des Sozialstaats » ; die Sozialdemokraten hielten, in einer vor den Schlussabstimmungen im Nationalrat verlesenen Erklärung, das Finanzpaket nur im Sinne einer Übergangslösung und aus staatspolitischen Gründen für annehmbar
[17].
Eine weitere Bewährungsprobe, die in vielem derjenigen vom 8. Dezember 1974 gleichkam, hatten die Bundesfinanzen am
8. Juni zu bestehen, als
Volk und Stände über fünf Finanzvorlagen zu befinden hatten. Über die Verlängerung des Währungsbeschlusses haben wir an anderer Stelle berichtet
[18]. Zwei Vorlagen betrafen die 1974 verabschiedeten Beschlüsse über Zollzuschläge auf Benzin und Heizöl, gegen welche vom Landesring und von den Mieterverbänden das Referendum ergriffen worden war
[19]. Zwei weitere Abstimmungsgegenstände ergaben sich aus den Beratungen des Parlaments von Ende Januar. Eine
Erhöhung der Warenumsatz- und der Wehrsteuer hatte schon am 8. Dezember 1974 zur Diskussion gestanden. Die neue Vorlage setzte die geltenden Sätze bei der Wust lediglich auf 5,6 bzw. 8,4 % hinauf und erhöhte — nach einem Vorschlag der Kommission des Nationalrats — das Wehrsteuermaximum auf 11,5 % bei den natürlichen und auf 9,8 % bei den juristischen Personen
[20]. Ausserdem lag erneut die « Ausgabenbremse » vor, die am 8. Dezember 1974 zwar mit grosser Mehrheit gutgeheissen worden war, jedoch nicht in Kraft treten konnte, weil sie an die Annahme der Steuererhöhungen gebunden war.
Im lau und vor allem vom Landesring (LdU) geführten
Abstimmungskampf fanden konjunkturelle Gesichtspunkte starke Beachtung. Für den Fall einer Verwerfung wurden vielerorts schwerwiegende volkswirtschaftliche Konsequenzen befürchtet
[21]. Aus dem Kreis der Bundesratsparteien kamen nur zwei Nein-Parolen : die SPS lehnte die « Ausgabenbremse » und die als besonders unsozial empfundene Heizöl-« Sondersteuer » ab. Gegen eine derartige Mittelbeschaffung auf Kosten des Mieters wandten sich auch der LdU, die Partei der Arbeit, die Nationale Aktion, der Christlichnationale Gewerkschaftsbund und der Mieterverband
[22]. Die übrigen Vorlagen waren weniger umstritten. Eine Erhöhung des Benzinzollzuschlags bekämpften der LdU, die PdA und die Neue Rechte. Eine Verwerfung der « Ausgabenbremse » empfahlen die PdA und die Gewerkschaften
[23]. Ungewohnte Wege ging der Bundesrat mit « Erläuterungen », die dem Stimmbürger zusammen mit den Abstimmungsvorlagen zugestellt wurden. Die Massnahme führte zu Beschwerden und wurde besonders vom LdU scharf kritisiert, zumal einzelne Abschnitte unsorgfältig abgefasst waren
[24]. Während sich in den Fragen des Währungsschutzes und der Ausgabenbeschränkungen wie erwartet grosse befürwortende Mehrheiten einstellten, ergaben sich bei den anderen drei
angenommenen Vorlagen verhältnismässig hohe Anteile von Nein-Stimmen. Beim Heizöl-Zuschlag reichte dies zur Verwerfung
[25]. Die differenzierten Stellungnahmen des Souveräns wurden allgemein mit Erleichterung aufgenommen ; als besonders erfreulich empfand man, dass die beunruhigende Nein-Welle für einmal zugunsten eines Bekenntnisses zu einem leistungsfähigen Staat durchbrochen worden war.
[15] Presse vom 4.3.75. Vgl. weiter NZZ, 18, 23.1.75 ; 19, 24.1.75 ; 34, 11.2.75 ; 128, 6.6.75 Bund, 20, 26.1.75 ; LNN, 25, 31.1.75 ; Ldb, 26, 1.2.75 ; Ww, 5, 5.2.75 ; 10, 12.3.75 ; BüZ, 44, 14.2.75 ; Lib., 197, 31.5.75.
[16] Vgl. BBI, 1975, I, Nr. 45, S. 1748 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 366 ff. Vgl. weiter unten, Teil I, 7c (Assurance-vieillesse et survivants und Assurance-maladie et accidents). Kürzungen bei den Privatbahnsubventionen wurden im Laufe des Jahres aufgrund von parlamentarischen Vorstössen wieder rückgängig gemacht (vgl. unten, Teil I, 6b, Eisenbahnen).
[17] Amtl. Bull NR, 1975, S. 173 f. ; POCH-Zeitung, 28, 16.1.75 ; Tw, 20, 25.1.75 ; 53, 5.3.75 ; VO, 20, 25.1.75 ; 30, 6.2.75.
[18] Vgl. oben, Teil I, 4b (Währungspolitik).
[19] Vgl. SPJ, 1974, S. 77 f. ; Presse vom 7.1.76 ; NZZ (sda), 6, 9.1.76.
[20] Vgl. SPJ, 1974, S. 74 ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 120 ff. Die betreffenden Sätze lauteten 1974 auf 6 bzw. 9 % (Wust) und 12 bzw. 9 % (West).
[21] Vat., 89, 18.4.75 ; TA, 117, 24.5.75 ; NZZ, 119, 27.5.75 ; Ldb, 128, 7.6.75.
[22] LNN, 124, 2.6.75 (O. Stich) ; Ldb, 124, 3.6.75 (A. Heimann) ; Tw, 130, 7.6.75.
[23] NZZ (sda), 85, 14.4.75 ; 86, 15.4.75 ; 102, 5.5.75 ; JdG, 97, 28.4.75.
[24] Tat, 128, 2.6.75 ; 131, 5.6.75 ; NZZ, 138, 18.6.75 ; Bund, 162, 3.7.75. Vgl. auch die Interpellation Heimann (ldu, ZH) in Amtl. Bull. StR, 1975, S. 559 ff. und oben, Teil I, 1c (Droits populaires).
[25] Bundesbeschluss über die Finanzierung der Nationalstrassen (Benzinzollzuschlag) : 721 313 Ja gegen 627 980 Nein. Bundesgesetz über die Änderung des Generalzolltarifs (Heizölzollzuschlag) : 646 687 Ja gegen 694 252 Nein. Bundesbeschluss über die Erhöhung der Steuereinnahmen (Warenumsatz- und Wehrsteuer) : 753 392 Ja gegen 593 045 Nein (17:5 Stände). Bundesbeschluss über die Erschwerung von Ausgabenbeschlüssen : 1 021 315 Ja gegen 323 511 Nein (22:0 Stände). Die Stimmbeteiligung betrug 36,5 %. Vgl. Presse vom 9.6.75 ; Ww, 23, 11.6.75 ; BBl, 1975, Il, Nr. 33, S. 864 ff., 871 ff. ; Nr. 37, S. 1220 ff.
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