Année politique Suisse 1975 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
 
Eisenbahnen
Besonders ausgeprägt wurden die Eisenbahnen von den Auswirkungen der wirtschaftlichen Rezession und der Finanzknappheit erfasst. Der starke Verkehrseinbruch seit Mitte 1974 verschärfte das eisenbahnpolitische Dilemma. So sahen sich namentlich die SBB widersprüchlichen Anforderungen gegenüber : auf der einen Seite drängten betriebswirtschaftliche Überlegungen zur Erhöhung des Eigenwirtschaftlichkeitsgrades durch Spar- und Rationalisierungsmassnahmen, auf der andern verlangten verkehrspolitische Gesichtspunkte eine Steigerung der Attraktivität, konjunkturpolitische einen Ausbau der Anlagen und die Funktion als öffentlicher Verkehrsträger die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen. Nach dem Direktionspräsidenten R. Desponds zwang diese Entwicklung die SBB, « einige ehrgeizige Projekte einzufrieren » [10].
Die Pläne für neue Alpentransversalen verloren an Aktualität ; zugleich verdichtete sich die Opposition gegen das Splügen-Projekt in Graubünden und gegen den Ausbau der Gotthardzufahrten in der Innerschweiz [11]. Dagegen wurden in der Frage des Ausbaus der Lötschberg-Linie auf Doppelspur bedeutende Fortschritte erzielt. Nachdem sich der Vorsteher des EVED persönlich in die langwierigen Verhandlungen zwischen dem Bund und dem Kanton Bern eingeschaltet hatte, gelang es, die unterschiedlichen Auffassungen in der Finanzierungsfrage auf einen Nenner zu bringen. Wie der bernische Regierungsrat in Beantwortung einer Interpellation im Grossen Rat ausführte, konnte der Kanton Bern ein Bundesdarlehen von 620 Mio Fr. zu « variablen Zinsen » aushandeln ; unter Vorbehalt einer Sanktionierung durch die eidgenössischen Räte sei nun für 1976 mit dem Baubeginn zu rechnen [12]. In seinem Rechenschaftsbericht über die abgelaufene Legislaturperiode stellte der Bundesrat zudem ein langfristiges Transitkonzept in Aussicht, mit dem der zunehmenden Umfahrung der Schweiz begegnet werden soll [13].
In zeitliche Ferne rückten ebenfalls die Schnellbahnprojekte. Dies führte zur Überweisung eines Postulates Meizoz (sp, VD), in dem der Bundesrat angefragt wird, ob die Verwirklichung der Schnellbahn Genfersee-Bodensee nicht beschleunigt werden könnte. Gegen das entsprechende Teilstück Bern-Olten meldete allerdings die bernische Regierung erhebliche Bedenken an, während die solothurnische gar einen Verzicht forderte [14]. Eingeweiht wurde nach siebenjähriger Bauzeit die Heitersberglinie, woraus für die Strecke Bern-Zürich eine Fahrzeitreduktion von 7 Minuten resultierte [15]. Forderungen nach dem Ausbau verschiedener Eisenbahnstrecken namentlich in der Ostschweiz, nach der Verbesserung des Leistungsangebotes sowie nach der Erhaltung westschweizerischer Schmalspurbahnen gaben Anlass zu parlamentarischen Vorstössen [16].
Die SBB schlossen 1974 mit dem grössten Defizit seit ihrer Sanierung im Jahre 1944 ab. Mit 234,1 Mio Fr. (1973: 92,6 Mio Fr.) resultierte in der Rechnung ein mehr als doppelt so hoher Fehlbetrag wie die budgetierten 105 Mio Fr. [17]. Vornehmlich privatwirtschaftlichen Grundsätzen verpflichtete Kritiker qualifizierten diese. Entwicklung als « alarmierend » und das Festhalten am Eigenwirtschaftlichkeitsprinzip als « Lippenbekenntnis » [18]. War für 1975 ein Defizit von 165,7 Mio Fr. veranschlagt worden, so erreichte es nun tatsächlich rund 650 Mio Fr. 1975 ergab sich überdies erstmals ein Betriebsfehlbetrag von 37,6 Mio Fr. (1974 : 288,4 Mio Fr. Überschuss). Volumenmässig verzeichnete der Personenverkehr einen Rückgang um 4,1 %, der Güterverkehr sogar einen solchen um 25,4 %. Ungünstig wirkte ausserdem eine erhebliche Verschärfung der Konkurrenz auf den Verkehrsmärkten, wobei auch der hohe Frankenkurs die Umfahrung der Schweiz zu begünstigen schien [19]. Mit massiven Preisabschlägen auf den Gütertransporten versuchten die Bahnen, verlorengegangene Marktanteile zurückzugewinnen. Dies hatte heftige Reaktionen des ebenfalls mit Überkapazitäten belasteten Autotransportgewerbes zur Folge, deren Vertreter ein solches Vorgehen als « Dumpingpolitik » etikettierten [20]. Entsprechende tarifpolitische Massnahmen wurden ebenfalls beim Personenverkehr ergriffen. Für den Herbst war zunächst eine Tariferhöhung von 17 % in Aussicht gestellt worden ; nach Kritik von verschiedener Seite wurde sie jedoch reduziert und schliesslich gänzlich fallengelassen. Das gleiche Schicksal erlitt vorläufig der bereits beschlossene Abbau der Rückfahrtrabatte. Dagegen führte man versuchsweise eintägige Generalabonnemente (« Tageskarten »), eine Aktion « 3 für 2 » (von 3 Fahrgästen bezahlen nur 2 den Fahrpreis) sowie Jugendabonnemente (geben Jugendlichen bis zum Alter von 23 Jahren Anrecht zum Bezug von Halbtaxbilletten) ein [21]. Trotz derartigen Bestrebungen rechnete der Voranschlag für 1976 mit einem weiteren Defizitanstieg auf 792,7 Mio Fr. Berücksichtigt war dabei ein Bauaufwand von 980 Mio Fr. (1975 : 992 Mio Fr.). In der entsprechenden Botschaft sprach der Bundesrat nun seinerseits von einer « alarmierenden » Entwicklung, warnte aber vor dem « Trugschluss », die SBB seien « ein marktwirtschaftliches Unternehmen des Transportsektors wie irgend eine private Fabrik ». Mit der Genehmigung des Budgets wandte sich auch das Parlament gegen eine « Redimensionierung » der SBB [22].
Privatbahnfreundlich zeigten sich die Räte insofern, als sie Motionen erheblich erklärten, die sich gegen den Abbau der Tarifannäherungen richteten. Dieser Subventionsabbau war im Zuge des Sparauftrags von Volk und Parlament im Rahmen der Budgetkürzungen für 1975 beschlossen worden. Er hätte die hauptsächlich in den wirtschaftlich schwach entwickelten Gebieten tätigen Transportunternehmungen empfindlich getroffen und zur Erhöhung ihrer Tarife gezwungen. Gestützt auf die Willensäusserungen im Parlament sowie angesichts heftiger Widerstände vorab aus den Privatbahnkantonen wurde der Abbau-Beschluss schliesslich wieder rückgängig gemacht [23]. Weiter verabschiedete der Bundesrat eine Botschaft, in der ein Rahmenkredit von 500 Mio Fr. zur Förderung der konzessionierten Transportunternehmungen in den Jahren 1976-80 beantragt wird. Obschon damit der von den Unternehmungen angemeldete Investitionsbedarf nicht gänzlich gedeckt werden kann, stimmte der Ständerat im Blick auf die prekäre Finanzlage zu [24].
 
[10] Ww, 6, 12.2.75 ; Tat, 69, 22.3.75 ; 24 Heures, 138, 17.6.75 ; NZ, 299, 26.9.75 ; 375, 1.12.75 ; NZZ, 241, 17.10.75 (R. Desponds). Vgl. auch LITRA, Jahresbericht 1974/75, S. 41 ff. sowie SPJ, 1974, S. 95. Zur Gründung einer « Interessengemeinschaft öffentlicher Verkehr » vgl. Ldb, 134, 14.6.75 ; TA (ddp), 246, .23.10.75.
[11] Splügen : Einreichung einer Petition zuhanden des Bündner Grossen Rates, vgl. BüZ, 20, 23.1.75 ; 76, 17.3.75; 120, 3.5.75 ; 281, 25.10.75. Gotthard : TA, 57, 10.3.75. Vgl. auch SPJ, 1974, S. 95.
[12] NZZ, 84, 12.4.75 ; TA, 87, 16.4.75 ; 174, 30.7.75 ; 205, 5.9.75 ; Ldb, 95, 26.4.75. Vgl. auch SPJ, 1974, S. 95.
[13] BBI, 1975, I, Nr. 19, S. 1686 f.
[14] Amtl. Bull. NR, 1975, S. 170 f. ; Bund, 94, 24.4.75 ; SZ, 94, 24.4.75 ; 116, 22.5.75 ; 117, 23.5.75. Vgl. auch SPJ, 1973, S. 90 sowie R. Desponds, « De quelques préoccupations techniques des réseaux de chemins de fer européens », in Revue économique et sociale, 33/1975, S. 285 ff.
[15] Bund, 119, 26.5.75 ; Presse vom 28.5.75.
[16] Amtl. Bull. NR, 1975, S. 167 ff. (Postulat Butty, cvp, FR), S. 571 (Motion Oehler, cvp, SG, vom BR als Postulat angenommen) sowie S. 1376 ff. (Postulat Müller, na, ZH) ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 300 ff.
[17] Amtl. Bull. NR, 1975, S. 654 ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 296 ff. ; BBI, 1915, I, Nr. 20, S. 1745 f. ; Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 138.
[18] Bund, 172, 27.2.75 ; 218, 18.9.75 ; 219, 19.9.75 ; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 24, 16.6.75 ; 36, 8.9.75 ; 43, 27.10.75 ; 49, 8.12.75.
[19] NZZ (sda), 31, 7.2.76.
[20] Preisabschläge : Bund, 170, 24.7.75 ; 255, 31.10.75 ; NZ, 380, 6.12.75 ; 386, 11.12.75. Reaktionen : NZZ, 218, 20.9.75 ; 228, 2.10.75 ; 24 Heures, 268, 19.11.75. Replik von SBB-Vertretern : 24 Heures, 270, 20.11.75 ; NZZ, 279, 1.12.75.
[21] Vat., 87, 16.4.75 ; NZ, 265, 26.8.75 ; 380, 6.12.75 ; Ww, 35, 3.9.75 ; Presse vom 4.9.75 ; Bund, 277, 26.11.75 ; vgl. dazu SPJ, 1974, S. 96.
[22] Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1579 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 740 ff. ; BBl, 1975, II, Nr. 46, S. 1821 ff.
[23] Die umstrittenen Subventionen ermöglichen es den Privatbahnen, ihre Tarife dem tieferen SBB-Tarifniveau anzunähern. Motionen : Amtl. Bull. NR, 1975, S. 904 ff. und 915 ff. (Rubi, sp, BE und Ueltschi, svp, BE) ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 438 ff. und 525 (Bodenmann, cvp, VS). Bundesratsbeschlüsse : AS, 1975, Nr. 15, S. 615 ff. ; Nr. 20, S. 915 ff. Widerstände : Bund, 101, 2.5.75 ; 107, 11.5.75 ; NZZ (sda), 101, 3.5.75 ; 103, 6.5.75 ; Tw, 118, 24.5.75. Zu den Sparmassnahmen vgl. SPJ, 1974, S. 75 f. sowie oben, Teil I, 5 (Massnahmen zur Verbesserung des Bundeshaushaltes).
[24] Amtl. Bull. StR, 1975, S. 696 ff. BBI, 1975, II, Nr. 41, S. 1449 ff.