Année politique Suisse 1975 : Enseignement, culture et médias / Médias
 
Presse
Im Gegensatz zu den Vorjahren, die den Untergang oder die Umstrukturierung von zahlreichen prominenten Blättern gebracht hatten, fehlte es im Pressewesen an markanten Ereignissen. Unter dem Druck der wirtschaftlichen Lage — höchstens 20 von über hundert Tageszeitungen sollen 1974 gewinnbringend gearbeitet haben — setzten sich jedoch die Konzentrations- und Rationalisierungsprozesse fort [6], was zu Substanzverlusten, zu Zerfallserscheinungen und zu einer anhaltenden Beunruhigung führte, die nicht zuletzt auch in Arbeitskonflikten und Entlassungen ihren Ausdruck fand. Vorgänge beim « St. Galler Tagblatt », bei der « National-Zeitung », beim Gratisanzeiger « Züri-Leu » und bei der Frauenzeitschrift « Annabelle » zeugten von einem verstärkten Druck auf die Redaktionen [7]. Den widrigen Umständen zum Trotz wurden verschiedene neue Zeitungsexperimente gestartet. Auf wenig Gegenliebe seitens ihrer Kolleginnen stiess eine sich als Alternativmagazin bezeichnende « Leser-Zeitung », deren Abonnenten zugleich Mitbesitzer und Träger des Unternehmens waren [8]. Im Gegensatz zur « AZ-Wochenzeitung », die als sozialdemokratisch-gewerkschaftliches Nachfolgeorgan der « Zürcher AZ » nicht über eine Nullnummer hinauskam [9], konnte sich die « Leser-Zeitung » einstweilen über Wasser halten. In Zürich und St. Gallen vermittelte eine « Telefonziitig » linke Alternativinformationen [10]. Das Westschweizer Wochenmagazin « L'Hebdo » scheiterte nach fünf Ausgaben an internen Differenzen [11]. In Lausanne, wo der einflussreiche Pressekonzern Lousonna SA (« 24 Heures », « Tribune Le Matin », « La Suisse ») 90 % der Tageszeitungsauflagen der Waadt kontrollierte und eine regionale Depeschenagentur aufzog [12], erschien mit « Lausanne Soir » ein Abendblatt, das freilich nur einer Zweitausgabe der freisinnigen « Nouvelle Revue de Lausanne » gleichkam [13].
Die Delegierten des Vereins der Schweizer Presse (VSP) wiesen eine Übereinkunft mit den Zeitungsverlegern der deutschen Schweiz, die einen Verzicht auf 1972 vertraglich festgelegte Mindestgarantien wirtschaftlicher Natur vorsah, an den Zentralvorstand zurück [14]. In der Westschweiz konnte der Kollektivvertrag zwischen dem Verlegerverband und dem VSP schliesslich doch noch um zwei Jahre verlängert werden. Die Vereinbarung band freilich eine Reihe von dissidenten Verlegern nicht [15].
Umfassende Presseförderungsmassnahmen, wie sie seit 1967 angestrebt worden waren [16], schienen trotz der Publikation gewichtiger Dokumente noch in weiter Ferne zu liegen. Die Frage, wie der notleidenden Presse geholfen werden kann, blieb auch 1975, nach einer auf breiter Basis geführten Diskussion, offen. Diese stützte sich auf einen über 800seitigen Bericht der 1973 eingesetzten Expertenkommission, die gleichzeitig auch Entwürfe für einen revidierten Verfassungsartikel 55 über das Presserecht, für einen neuen Artikel 55bis über die Presseförderung und für ein Presseförderungsgesetz vorlegte [17]. Art. 55 BV garantiert nach diesen Entwürfen nicht nur — wie bisher — die Pressefreiheit, sondern auch die Freiheit der Meinungsäusserung, der Meinungsbildung und der Information. Art. 55bis BV gibt dem Bund die Kompetenz zum Schutz und zur Förderung einer vielfältigen und unabhängigen Presse. Die erforderlichen Massnahmen, die vorwiegend aus « Infrastrukturhilfe » bestehen, sind im Presseförderungsgesetz festgelegt. Die jährlichen Kosten veranschlagte die Kommission auf rund 56 Mio Fr. Gegenüber dem Vorentwurf von 1973 verzichtete man auf eine Sicherung der inneren Pressefreiheit mit der Begründung, dass die Stellung der Redaktionen und Mitarbeiter im Kollektivvertrag geregelt werden sollte. Im Vemehmlassungsverfahren, in welches die beiden Verfassungsartikel geschickt wurden, stiessen wie schon in den Debatten der Vorjahre die unterschiedlichsten Meinungen aufeinander. Vorbehalte und Bedenken äusserten insbesondere auch Zeitungsleute [18]. Gewisse Erleichterungen für die Meinungspresse ergaben sich durch Beschlüsse der eidgenössischen Räte, die bei der Revision des Postverkehrsgesetzes von den Vorschlägen des Bundesrates abwichen und die beantragten Transporttaxen für abonnierte Zeitungen und Zeitschriften ermässigten. Im Interesse der Förderung der Presse übernahm damit die PTT zu den bereits bestehenden Einnahmeneinbussen von gegen 160 Mio Fr. (1974) zusätzliche Mindereinnahmen von jährlich 20-30 Mio Fr. [19]. Ober die Vorschläge für einen verstärkten Persönlichkeitsschutz, die auch von gemässigten Blättern als unakzeptierbar zurückgewiesen wurden, haben wir bereits berichtet [20].
 
[6] LNN, 52, 4.3.75 ; Tat, 88, 16.4.75 ; TA, 90, 19.4.75 ; NZZ, 135, 14.6.75.
[7] « St. Galler Tagblatt » : Vat., 153, 5.7.75. « National-Zeitung » : TA, 295, 19.12.75 ;« Züri-Leu » : Konzept, 5, 20.5.75. « Annabelle » : NZZ, 51, 3.4.75. Vgl. auch M. Schmid, Demokratie von Fall zu Fall, Zürich 1976, S. 238 ff.
[8] Leser-Zeitung, 1, 13.2.75 ; TG, 38, 15.2.75 ; Vat., 38, 15.2.75.
[9] Vgl. SPJ, 1973, S. 137 ; Tat, 48, 26.2.75 ; Ldb, 82, 11.4.75 ; Vat., 153, 5.7.75. Zur Situation der Linkspresse in der Schweiz vgl. S. Bircher in Profil, 54/1975, S. 320 ff.
[10] TG, 66, 20.3.75 ; NZZ, 67, 21.3.75 ; Ostschw., 303, 30.12.75.
[11] TG, 79, 7.4.75 ; Ww, 15, 16.4.75 ; 24 Heures, 109, 13.5.75 ; Tat, 113, 14.5.75.
[12] Vat., 248, 25.10.75 ; NZZ, 278, 29.11.75 ; NZ, 379, 5.12.75 ; Bund, 286, 7.12.75.
[13] GdL, 257, 4.11.75 ; TA, 259, 7.11.75.
[14] Vgl. SPJ, 1972, S. 139 ; TLM, 313, 9.11.75 ; TA, 261, 10.11.75.
[15] Vgl. SPJ, 1974, S. 148 ; NZZ, 111, 16.5.75 ; 278, 29.11.75 ; JdG, 262, 10.11.75.
[16] Vgl. SPJ, 1967-1974, Teil I, 8c (Presse).
[17] Vgl. SPJ, 1973, S. 138 ; Presse vom 17.6.75 ; NZZ, 139, 19.6.75 ; Bund, 142, 22.6.75 ; 24 Heures, 163, 15.7.75 ; TA, 165, 19.7.75.
[18] NZZ, 145, 26.6.75 ; 260, 8.11.75 ; 266, 15.11.75 ; 275, 26.11.75 ; LNN, 260, 8.11.75 ; Ldb, 270, 21.11.75.
[19] Vgl. oben, Teil I, 6b (PTT).
[20] Vgl. oben, Teil I, 1b (Droits de l'homme) ; Ldb, 286, 10.12.75.