Année politique Suisse 1975 : Enseignement, culture et médias / Médias
Radio und Fernsehen
Die Auseinandersetzungen um Radio und Fernsehen verschärften sich erneut. In einem stark von Emotionen belasteten Klima, in welchem Dokumentation gegen Gegendokumentation stand, hatten sich die zuständigen Instanzen mit einer
Flut von Beschwerden und Beanstandungen zu befassen
[21]. Diese betrafen meist die Darstellung, die politisch brisante Themen wie der Jurakonflikt, der Atomkraftwerkbau in Kaiseraugst, der Strafvollzug oder die Aktivitäten von Soldatenkomitees in den Informationssendungen gefunden hatten
[22]. Klagen richteten sich auch gegen die Sendung « Kassensturz », die nach der Auffassung des Gewerbeverbandes verschiedene gewerbliche Branchen verunglimpfte. Der angriffige « Kassensturz » behandelte Konsumentenfragen und gehörte zu den beliebtesten und meistbeachteten Sendungen
[23]. Zu einem Eklat führte ein Kommentar des Bundeshausredaktors H. U. Büschi zur parlamentarischen Behandlung der Frage des Schwangerschaftsabbruchs, in welchem die Haltung der CVP-Fraktion hart und nach Ansicht der Betroffenen « unsachlich » und « einseitig » kritisiert worden war. TV-Programmdirektor G. Frei entschuldigte sich in der Folge in aller Form am Bildschirm, was nun seinerseits wieder vielfach auf wenig Verständnis stiess und zu Protesten der Fernsehjournalisten und zu parlamentarischen Vorstössen führte
[24]. Kleinere Reportagen über das lokale politische Geschehen in Romont (FR), Aarberg (BE) und Kerns (OW) und über die Spitalplanung im Thurgau wurden von den kritisierten Kreisen als « Zerrbilder » zurückgewiesen
[25]. Ein Konflikt zwischen EMD und Schweizer Fernsehen führte .zum Abbruch der Produktion des Fernsehspiels « Feldgraue Scheiben »
[26]. Daneben wäre noch, vor allem als Illustration der verhärteten Fronten, die eine Behandlung « heikler » Themen scheinbar kaum mehr zuliessen, auf die Zensurmassnahmen im Falle eines Films über « Schweizer im spanischen Bürgerkrieg » hinzuweisen. Zwei Minuten Film mit Aussagen der Spanienkämpfer zur Frage, was sie unter Demokratie verständen, fielen der Schere zum Opfer, erschienen aber nachher in der Presse und wurden vielfach als eher harmlos empfunden
[27].
Trotz der gespannten Lage kamen die
parlamentarischen Beratungen des neuen Verfassungsartikels für Radio und Fernsehen bis auf wenige, materiell unbedeutende Fragen zu einem Abschluss. Verantwortlich für die umgehende Behandlung waren nicht zuletzt die Probleme des Kabelfernsehens, die dringlich nach einer Lösung verlangten. Rufe nach einer umfassenden verfassungsrechtlichen Ordnung des gesamten Kommunikationsbereichs mussten demgegenüber in den Hintergrund treten
[28]. Der Ständerat überwies der Grossen Kammer Ende Januar einen sehr detaillierten Entwurf, dessen wesentlichste Punkte wir bereits erwähnt haben
[29]. Besondere Beachtung fand die Befürwortung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz, welche hauptsächlich von den Westschweizer und Tessiner Standesherren, die allgemein liberalere Auffassungen vertraten, bekämpft worden war. Im Nationalrat verdeutlichten längere Debatten einmal mehr die Standpunkte. Einem Lager konservativ-bürgerlicher Ratsherren, welche die umstrittenen Medien als mächtige «vierte Gewalt » einer stärkeren Kontrolle zu unterwerfen suchten, standen vorwiegend linke, aber auch liberale und christlichsoziale Exponenten gegenüber, welche die unerlässliche Kritikfunktion der Medien unterstrichen und insbesondere auch die Verankerung der Freiheit der Programmschaffenden forderten. Dass es in dieser Frage zu keinem schwerwiegenden Bruch kam, war in einer wichtigen Verhandlungsphase einem differenzierten Kompromissvorschlag von A. Müller-Marzohl (cvp, LU) zu verdanken, der eine freiheitliche Gestaltung der Programme «im Rahmen der Richtlinien » vorschlug. Die Grosse Kammer straffte im übrigen die Vorlage in einigen Punkten und übertrug ausserdem dem Bund die im Hinblick auf das Kabelfernsehen bedeutsame Kompetenz, für die Verbreitung von Programmen Konzessionen zu erteilen
[30]. Die Kommentatoren fanden für die Debatten und für deren Ergebnisse nicht überall gute Worte. Hans Tschäni sprach gar von einer überempfindlichen, engdenkenden Politikergeneration, die das Risiko der Freiheiten nicht mehr akzeptiere
[31].
Die
Reorganisationsbestrebungen der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) nahmen mit der Publikation einer Studie zur « Funktion und Struktur der Trägerschaft SRG » ihren Fortgang. Während die Reformvorschläge, die allgemein auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen SRG und Öffentlichkeit abzielten, in der Presse eine gute Aufnahme fanden, wurde der Umstand kritisiert, dass der Bericht lediglich in ein SRG-internes Vernehmlassungsverfahren geschickt worden war
[32].
An der Genfer Lang- und Mittelwellenkonferenz der Internationalen Fernmeldeunion (UIT) einigten sich 112 Länder auf eine Neuzuteilung der Sendefrequenzen. Die Schweiz konnte ihre vier Mittelwellensender (Beromünster, Sarnen, Sottens, Monte Ceneri) behalten ; Beromünster wird allerdings seine Emissionen ab 23. November 1978 zugunsten einer schon bisher auf der gleichen Frequenz sendenden algerischen Station einstellen müssen. Auch das Fürstentum Liechtenstein erhielt eine Welle zugesprochen, erklärte jedoch, seine Radiopolitik eng mit der Schweiz abstimmen zu wollen
[33].
[21] NZZ, 170, 25.7.75 (G. Padel) ; 193, 22.8.75 ; 199, 29.8.75 (F. Honegger) ; Tw, 176, 31.7.75 ; TA, 193, 22.8.75 ; NZ, 364, 22.11.75. Vgl. auch SPJ, 1974, S. 148 f.
[22] Zum Jura-Konflikt vgl. Kleine Anfrage Hofer (svp, BE) in Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1055. Zu Kaiseraugst vgl. LNN, 173, 29.7.75. Zum Strafvollzug vgl. Ldb, 88, 18.4.75. Zu den Soldatenkomitees vgl. Ldb, 244, 22.10.75. Vgl. ferner oben, Teil I, 1b (Droit pénal), 1d (Question jurassienne), 3 (Armée) und 6a (Atomkraftwerke).
[23] Tw, 17, 22.1.75 ; Bund, 26, 2.2.75 ; TA, 289, 12.12.75 ; R. Schawinski, Kassensturz, das Buch zur Sendung über « Konsum, Geld und Arbeit », Bern 1975. Zu einem umstrittenen Beitrag (« Fall Adams ») vgl. weiter Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1528 und oben, Teil I, 2.
[24] Vgl. oben, Teil I, 7d (Avortement) ; Vat., 57, 10.3.75 ; NZZ, 61, 14.3.75 ; BN, 64, 17.3.75 ; Bund, 215, 15.9.75. Vgl. auch die Einfachen Anfragen von Renschler (sp, ZH) und Barchi (fdp, TI) in Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1047 f.
[25] Romont : TG, 63, 17.3.75. Aarberg : Bund, 88, 17.4.75. Kerns : Vat., 241, 17.10.75. Spitalplanung im Thurgau : NZZ, 158, 11.7.75.
[26] Presse vom 11./12.3.75 ; Tw, 102, 3.5.75.
[27] Presse vom 11.12.75 ; NZZ, 290, 13.12.75 ; Vat., 296, 20.12.75 (W. Hofer).
[28] LNN, 23, 29.1.75 (J. Tobler) ; Ww, 38, 24.9.75 (H. O. Staub). Vgl. auch Amtl. Bull. StR, 1975, S. 14 ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1343, 1351, 1361.
[29] Vgl. SPJ, 1974, S. 148 ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 1 ff. ; Presse vom 28./29.1.75. Vgl. ferner Ww, 5, 5.2.75 (StR P. Dreyer) ; NZZ, 123, 31.5.75 ; 225, 29.9.75 ; Bund, 133, 11.6.75.
[30] Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1329 ff., 1380 ff. ; Presse vom 1./2.10.75. Vgl. auch SPJ, 1971, S. 152. — Im Frühjahr 1976 konnte die Vorlage schliesslich verabschiedet werden (vgl. NZZ, 67, 20.3.76).
[32] Zu einem 1973 erschienen Zwischenbericht vgl. SPJ, 1973, S. 139 f. Vgl. weiter NZZ, 49, 28.2.75 ; 72, 27.3.75 ; Vat., 50, 1.3.75 ; NZ, 83, 15.3.75 ; TA, 111, 16.5.75.
[33] Vgl. SPJ, 1974, S. 149 ; NZZ, 277, 28.11.75 ; TA (sda), 278, 29.11.75 ; 289, 12.12.75.
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