Année politique Suisse 1976 : Chronique générale
Résumé
Misstrauen gegenüber unerprobten Neuerungen und Beschränkung auf das Nächstliegende charakterisieren die schweizerische Politik des Jahres 1976. Sie unterscheidet sich damit in den Grundzügen nicht von derjenigen der drei vorangegangenen Jahre. Das Nächstliegende war weiterhin der Kampf gegen die Rezession und die Milderung ihrer Auswirkungen. Soweit es hiezu der Zustimmung der Bürger bedurfte — für die neue Verfassungsgrundlage der Arbeitslosenversicherung oder für die Verlängerung der Preisüberwachung — war eine solche leicht zu erhalten. Als weniger naheliegend und deshalb entbehrlich beurteilte die Mehrheit der Urnengänger dagegen das Raumplanungsgesetz, das Entwicklungshilfedarlehen an die IDA sowie die Verfassungsgrundlage für Radio und Fernsehen, ungeachtet der mehrjährigen Vorbereitung dieser Vorlagen. Volksbegehren — ihrer vier gelangten zum Entscheid — fanden aber noch weniger Gnade, um so weniger, je weiter sie von links kamen, in eigenartigem Kontrast zum relativen Wahlerfolg der Linken im Herbst 1975.
Der Bundesrat als Hauptinitiator der Staatstätigkeit legte sich seinerseits Beschränkung auf ; dazu veranlasste ihn nicht nur die Zurückhaltung der Stimmbürger, sondern ebensosehr die rezessionsbedingte Verknappung der Staatsfinanzen. Seine Regierungsrichtlinien für die neue Legislaturperiode brachten dies deutlich zum Ausdruck. Allererste Priorität räumte er der Beschaffung zusätzlicher Staatseinkünfte durch die Mehrwertsteuer ein. Um die politischen Kräfte und die Bürgerschaft für dieses Ziel zu gewinnen, zog er einerseits energischer als je die Sparschraube an ; anderseits versuchte er durch einen Umbau der direkten Bundessteuer und durch einen wieder erhöhten Einsatz von Bundesmitteln für die AHV. die unteren und mittleren Einkommensschichten für die stärkere Belastung des Konsums zu entschädigen. Die eidgenössischen Räte folgten ihm dabei lustlos, aber ohne ernsthafte Opposition. Sie gaben ausserdem ihre Zustimmung zu neuen Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, die zum Teil auf dem Dringlichkeitswege in Kraft gesetzt wurden. Der Bundesrat verzichtete jedoch nicht darauf, einige seit langem vorbereitete Projekte zur Fortentwicklung des sozialen Rechtsstaats dem Parlament zuzuleiten, so einen neuen Konjunkturartikel, das Gesetz über die berufliche Vorsorge, die neunte AHV-Revision, einen Ausbau der Unfallversicherung sowie eine Neukonzeption für die Hochschul- und Forschungsförderung. In der Verwaltung trieb man auch die Umweltschutzgesetzgebung und die Revision der Krankenversicherung voran. Das EPD wurde überdies nicht müde, durch Unterzeichnung multilateraler Abkommen den Reformdruck zu verstärken.
Kraftproben im Ausmass der Besetzungsaktion von Kaiseraugst wiederholten sich nicht ; im Berner Südjura kam es freilich zu neuen Entladungen, und in der Westschweiz wurde das Arbeitsklima konfliktreicher. Unruhig blieben auch bäuerliche Kreise, während das Gewerbe seinem Rezessionsunmut im Rahmen der Referendumsdemokratie Luft machte. Die Urnen wurden aber trotz Verschärfung der Problemlage kaum stärker benützt als im Vorjahr. In der vom Beschäftigungsmangel besonders betroffenen jungen Generation vermerkte man vorwiegend eine Tendenz zur Anpassung ; die Aufstöberung eines privaten « Subversionsarchivs a im politisch stark polarisierten Zürich gab immerhin Anlass zu einer landesweiten Diskussion über die Grenzen zwischen Staatsschutz und persönlicher Freiheit.
Schockartig wirkte die Bekanntgabe der langjährigen Verratstätigkeit eines hohen Offiziers für die Sowjetunion. Die öffentlichen Reaktionen liessen jedoch in der Regel keine Zweifel an der traditionellen Neutralitäts- und Verteidigungspolitik erkennen. Die internationale Verflechtung unseres Landes wird aber durch die wirtschaftliche Entwicklung weiter gefördert. Dabei setzt sich die Tendenz zur Verlagerung der Produktion ins kostengünstigere Ausland und zur Verschiebung der inländischen Wirtschaftstätigkeit auf den Dienstleistungssektor fort. Diese Tendenz bildet den Hintergrund zur zusehends schärferen Kritik an einem überdimensionierten Wachstum des Finanzplatzes Schweiz.
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P.G.