Année politique Suisse 1976 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
 
Eisenbahn
Weiterhin im Zeichen der Finanzknappheit, aber auch der allgemeinen wirtschaftlichen Krise standen die Eisenbahnen. Während marktwirtschaftlich orientierte Stimmen den Bahnen den Verzicht auf betriebswirtschaftlich nicht rentable Leistungen nahelegten und ihnen hauptsächlich im Güterverkehr noch eine wesensgerechte Aufgabe zuerkannten, hielt allen voran Bundesrat Ritschard an einer gesamtpolitischen Betrachtungsweise fest, nach welcher die Bahn als notwendige Infrastrukturleistung auch für den Personenverkehr zu betrachten ist und demzufolge nicht unbedingt eigenwirtschaftlich sein muss [17].
In der Rechnung der SBB für das Jahr 1975 erreichte das Defizit mit 622,8 Mio Fr. (Vorjahr : 234,1 Mio Fr.) eine neue Rekordhöhe. Dabei war nun auch erstmals ein Fehlbetrag in der Betriebsrechnung von 16,8 Mio Fr. zu verzeichnen [18]. Im Jahre 1976 steigerte sich das Defizit der Gesamtrechnung weiter auf rund 700 Mio Fr., mit einem unveränderten Betriebsverlust von 16,5 Mio Fr. Immerhin gelang es — dank Einsparungen beim Aufwand — deutlich unter dem budgetierten Defizit von 793 Mio Fr. abzuschliessen. Volumenmässig hielt sich der Rückgang beim Personenverkehr mit 1,1 % (1975 : 4,1 %) in Grenzen, während beim Güterverkehr sogar eine in erster Linie dem Transitverkehr zu verdankende Steigerung um 11,4 % (1975 : — 25,4 %) verzeichnet werden konnte [19]. Die weiterhin ansteigenden Fehlbeträge waren nach dem Vorsteher des EVED nicht allein durch die Konjunktur, sondern ebensosehr durch die Verkehrsstrukturen bedingt [20].
Wenn auch die Sparmassnahmen der SBB, wie zum Beispiel der durch die Aufforderung zur vorzeitigen Pensionierung zusätzlich geförderte Personalabbau, allgemein gewürdigt wurden, waren Kritiker nicht zu überhören, welche grössere unternehmerische Freiheiten für die Bundesbahnen propagierten, wobei sie sowohl bei der Personalpolitik wie bei der Preisgestaltung eine stärkere Ausrichtung auf die Marktbedingungen verlangten. Während die erste Forderung von den Verantwortlichen nicht zuletzt aus sozialpolitischen Gründen abgelehnt wurde, fand die zweite teilweise Eingang in die am 27. Oktober in Kraft gesetzten Tariferhöhungen für den Personenverkehr [21]. Die anhaltend schlechte Ertragslage der Bundesbahnen — für das Jahr 1977 wurde ein Defizit von 770 Mio Fr. budgetiert — bewog die zuständigen Stellen aber auch zur intensiveren Auseinandersetzung mit längerfristigen Sanierungskonzepten. Nach ersten Untersuchungen könnten mit massiven Streckenstillegungen gewisse Einsparungen erzielt werden ; einer solchen Lösung stehen aber ernsthafte staatspolitische Bedenken entgegen. Das Problem wird noch genauer abgeklärt. Mehr versprach sich die Leitung der SBB von einer Aufteilung der Investitionen in verkehrswirtschaftlich rentable, welche weiterhin auf eigene Rechnung ausgeführt würden, und konjunktur- oder staatspolitisch bedingte, welche über den allgemeinen Bundeshaushalt zu finanzieren wären [22].
Der weiteren Verbesserung der rentablen Ost-West-Transversale soll die neue Linie Olten-Rothrist dienen, deren Erstellung vom Verwaltungsrat bewilligt wurde und die nicht zuletzt für die Einführung eines publikumsattraktiven Taktfahrplanes bessere Voraussetzungen schaffen wird [23].
Für den Ausbau der Alpentransitlinien wurde im Berichtsjahr ein lang erwarteter Entscheid getroffen. Die Bundesversammlung verabschiedete — ohne namhafte Opposition — einen verzinslichen Objektkredit von höchstens 620 Mio Fr. für den Ausbau der Lötschbergstrecke auf durchgehende Doppelspur. Das mit der Vorlage gekoppelte Versprechen, die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS) nach dem Ausbau durch die SBB zu übernehmen, wurde allerdings von den Räten mit der Begründung abgelehnt, dass die Frage der Verstaatlichung von Privatbahnen nur im Rahmen eines gesamtschweizerischen Konzepts möglich sei. Da der Bundesrat den Baubeginn vom formellen Entscheid Italiens über die Errichtung des Grenzbahnhofs Domodossola II abhängig machte, dieser aber aus verschiedenen Gründen noch nicht zustandekam, wurde der Doppelspurausbau vorerst in reduziertem Ausmass mit Mitteln des Kantons Bern und der BLS in Angriff genommen [24]. Der eingangs erwähnte enge Zusammenhang zwischen Strassenbau- und Eisenbahnpolitik wurde beim Lötschberg-Projekt deutlich vor Augen geführt. Die Dringlichkeit dieser Kapazitätserweiterung wurde nämlich nicht zuletzt damit begründet, dass nach der Eröffnung des Nationalstrassentunnels durch den Gotthard die SBB Alternativen zum Güterverkehr auf der Strasse anbieten müsse, um nicht einen grossen Teil des lukrativen Transitgeschäftes an das Autotransportgewerbe zu verlieren. Ein derartiges Alternativangebot glaubt man im sog. Huckepackverfahren (Transport von beladenen Lastwagen auf speziellen Eisenbahnwaggons) gefunden zu haben. Von der für diese Transportart notwendigen Ausweitung der Tunnelprofile auf der Gotthardlinie — die ersten Kredite dafür wurden bereits bewilligt — und der Verlagerung des übrigen Transitverkehrs auf die verbesserte Lötschbergstrecke erhoffen sich die SBB eine Aufrechterhaltung ihrer bisherigen Marktposition [25].
Bedeutend grössere Emotionen erzeugte der vom Bundesrat beantragte Zusatzkredit von 85 Mio Fr. (wovon 63,2 Mio Fr. teuerungsbedingt) für den Furkabasistunnel. Obwohl die mehr als 100 % betragende Kostenüberschreitung schlussendlich akzeptiert werden musste, kam es zu heftigen Angriffen gegen den Förderer des Projektes, alt Bundesrat R. Bonvin. Neben der als zumindest fahrlässig bezeichneten Projektierung und Budgetierung waren auch Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Entlassung des Oberbauleiters Coudray sowie die Pläne für ein Pumpspeicherwerk in Gletsch über dem Trasse der alten Furka-Oberalpbahn geeignet, dieses Alpendurchquerungsunternehmen in einem fragwürdigen Licht erscheinen zu lassen. Das Parlament, dessen Mitglieder sich « hinters Licht geführt » vorkamen, beauftragte eine Kommission mit der weiteren Abklärung der erhobenen Vorwürfe [26].
Die Behörden bekundeten — unter anderem aus Gründen der Arbeitsbeschaffungspolitik — eine nach wie vor freundliche Haltung gegenüber den Privatbahnen, indem sie zur Deckung des Investitionsbedarfs einen Rahmenkredit von 500 Mio Fr. für die Zeitspanne von 1976-80 bewilligten. Eine erste Tranche von 158 Mio Fr., welche noch um kantonale Beiträge aufgestockt wurde, erlaubte den Unternehmen eine gemeinsame und damit kostengünstigere Rollmaterialbeschaffung [27]. Wie bereits im Vorjahr lehnten die Räte einen Antrag des Bundesrates auf eine Subventionskürzung bei der Tarifannäherung ab [28]. Ein langes Seilziehen um die Wiederinstandstellung der Bahnlinie Zweisimmen-Lenk wurde vom Bundesrat entschieden, indem er — entgegen den Wünschen der Berner Regierung — die Beibehaltung der Schmalspur beschloss [29].
 
[17] F. Wanner, « Fragen an die Verkehrspolitiker », in Schweizer Monatshefte, 56/1976-77, S. 762 ff.; W. Ritschard, in Documenta, 1976, Nr. 3, S. 3 ff. Vgl. auch das Votum von NR J.-F. Aubert (lib., NE) in Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1442 f.
[18] BBI, 1976, II, S. 741 ff.
[19] NZZ (sda), 30, 5.2.77.
[20] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 533. Vgl. auch oben, Gesamtverkehrskonzeption.
[21] Pensionierung : NZZ, 73, 27.3.76 ; NZZ (sda), 243, 16.10.76. Beamtenstatus : NZZ, 119, 22.5.76 ; 170, 23.7.76 ; 211, 9.9.76. Tariferhöhungen : NZZ, 79, 3.4.76 ; Presse vom 9.7.76.
[22] Budget : Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1435 ff. ; Amtl. Bull. SIR, 1976, S. 562 ff. Streckenstillegungen : W. Ritschard, in Documenta, 1976, Nr. 3, S. 3 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 568 ; Bund, 118, 21.5.76. Vom dabei zu erwartenden Widerstand der Öffentlichkeit zeugten auch die Proteste gegen die vom Eidg. Amt für Verkehr vorgeschlagene Umstellung von drei defizitären Nebenlinien im Waadtland auf Busbetrieb (TLM, 145, 24.5.76 ; 298, 24.10.76 ; 24 heures, 287, 8.12.76 ; 295, 17.12.76). Investitionen : NZZ, 119, 22.5.76 ; vgl. dazu auch P. Mäder, Die Investitions- und Finanzierungspolitik der Schweizerischen Bundesbahnen seit dem Sanierungsgesetz von 1944, Bern und Frankfurt a. M. 1976.
[23] NZ, 160, 9.7.76 ; TA, 157, 9.6.76. Eine interne Arbeitsgruppe erachtete die integrale Einführung des Taktfahrplanbetriebs auf dem Netz der SBB bis 1981 als realisierbar (TA, 60, 12.3.76).
[24] BBI, 1976, I, S. 581 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 536 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 201 ff. ; BBI, 1976, II, S. 1063. Zum Übernahmeversprechen vgl. auch BüZ, 50, 28.2.76. Baubeginn : W. Ritschard, in Documenta, 1976, Nr. 5, S. 2 f. ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1151 ff. ; Bund, 205, 2.9.76 ; 267, 13.11.76 ; BN, 221, 22.9.76 ; vgl. auch SPJ, 1975, S. 107.
[25] BBI, 1976, I, S. 592 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 556 ; NZ, 250, 13.8.76. Vgl. dazu auch die als Postulate überwiesenen Motionen von Meier (sp, BE), der eine Finanzierung der Huckepackinfrastrukturen über die Treibstoffzölle fordert (Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1263 ff.), und Müller (na, ZH), der eine Finanzierung mittels sog. Vignetten für Strassentransportfahrzeuge verlangt (Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1078 f.). Allgemein zum Huckepacksystem äussert sich F. Hegener, « Huckepack : Ein Problem — oder eine Chance für die Zusammenarbeit von Schiene und Strasse im Dienste der Wirtschaft », in Schweiz. Archiv für Verkehrswissenschaft und Verkehrspolitik, 31/1976, S. 117 ff.
[26] BBl, 1976, II, S. 1093 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 465 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1454 ff. ; BBI, 1976, III, S. 1059 f. Vgl: dazu auch die Untersuchungen in Bund, 117, 20.5.76 ; 212, 10.9.76. Zur Verteidigung des Projektes, resp. von Alt-BR Bonvin vgl. 24 heures, 288, 9.12.76 ; TLM, 359, 24.12.76. Vgl. auch SPJ, 1971, S. 107 1973, S. 90 sowie oben, Teil I, 6a (Wasserkraftwerke).
[27] SPJ, 1975, S. 108 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 89 ff. ; BBI, 1976, I, S. 1069 ; LNN (sda), 36, 13.2.76.
[28] SPJ, 1975, S. 108 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1397 ff. Vgl. dazu auch H. R. Zihlmann, « Die Tarifannäherung — Hintergründe und Problematik », in Schweiz. Archiv für Verkehrswissenschaft und Verkehrspolitik, 31/1976, S. 277 ff.
[29] TA, 62, 153.76 ; NZZ, 297, 18.12.76.