Année politique Suisse 1976 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
 
Strassenbau
Bedeutend umstrittener als in den Vorjahren war der Nationalstrassenbau. Während sich bis anhin parlamentarische Vorstösse vorzugsweise für die beschleunigte Inangriffnahme einzelner Teilstücke einsetzten, war im Berichtsjahr eine gegenläufige Tendenz feststellbar, indem die Streichung gewisser Bestandteile des Nationalstrassenbauprogramms gefordert wurde. Basierten frühere Einwände gegen die Nationalstrassenführung mehrheitlich auf den Vorstellungen des Umweltschutzes, wurden nun auch verkehrs- und raumordnungspolitische Einwände geltend gemacht. Dabei geriet gerade die Finanzierung des Nationalstrassenbaus über die Treibstoffzölle — bisher als Prunkstück der Strassenbaufinanzierung gewertet — vermehrt unter Beschuss. Nach Ansicht der Kritiker führt diese Finanzierungsart zu einem überdimensionierten Autobahnsystem, welches dem privaten Verkehr einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den öffentlichen Verkehrsmitteln verschafft [30]. Dem wurde entgegengehalten, dass sich die Erstellung von Autobahnen nach dem Bedarf richte und dass durch sie viele Ortschaften von den Belästigungen des Durchgangsverkehrs befreit worden seien [31]. Eine Lockerung der Zweckgebundenheit der Treibstoffzölle verlangte eine parlamentarische Initiative von Nationalrat M. Schär (ldu, ZH). Eine Zusatzbelastung der Nationalstrassenbenützer möchte Nationalrat R. Schatz (fdp, SG) über den Verkauf sog. Vignetten einführen ; ein Vorhaben, das auch die Delegierten der SPS an ihrem Parteitag begrüssten [32]. Dass diesen Vorschlägen von Seite der organisierten Strassenbenützer Opposition erwuchs, erstaunt nicht ; aber der Direktor des Eidg. Amtes für Strassen- und Flussbau bekundete ebenfalls keine Bereitschaft, das bisherige System zu verändern [33]. Eine Modifikation des Finanzierungssystems wurde einzig dadurch vorgenommen, dass Bundesbeiträge nun auch an die Unterhalts- und Betriebskosten städtischer Nationalstrassentunnels ausgerichtet werden [34].
Insgesamt wuchs im Berichtsjahr das Nationalstrassennetz nur um 23,1 km (1975: 41 km) an. Damit standen 975,4 km oder rund 53 % des geplanten Netzes im Betrieb ; im Bau befanden sich am Jahresende 364 km (1975: 253 km) [35]. Gesamthaft bedeutender als die neu eröffneten Teilstücke war der Durchbruch beim Gotthard- und beim Seelisbergtunnel der N 2 [36]. In Umweltschutzkreisen konnten zwei Erfolge verbucht werden : der Bundesrat entschied sich für die von der betroffenen Bevölkerung gewünschte rechtsufrige Führung der N 2 bei Faido, und der Lausanner Gemeinderat verzichtete auf den Bau des umstrittenen Autobahnzubringers im Osten der Stadt [37]. Nach wie vor rief die Errichtung des Expressstrassennetzes in Zürich (Y) Protest hervor. Beim Vorantrieb des zum Nordast gehörenden Milchbucktunnels kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei [38]. Eine neue Konzeption könnte sich für die Autobahnverbindungen zwischen der deutschen und der welschen Schweiz ergeben : die Regierungen der Kantone Waadt und Freiburg sprachen sich für den Verzicht auf den Bau des Teilstückes Yverdon-Murten der N 1 aus und legten Pläne für den Ausbau der bestehenden Kantonsstrasse vor [39].
Geradezu als Stein des Anstosses im Nationalstrassenprogramm erwies sich der Rawiltunnel der N6. Dieses Projekt, für welches die Sondierbohrarbeiten im Berichtsjahr aufgenommen wurden, scheint in Anbetracht der bewilligten Investitionen in den parallel dazu verlaufenden Eisenbahntunnel der BLS zu einem « Testfall der Verkehrspolitik » zu werden. Während sich die Befürworter (insbesondere die Regierungen der Kantone Bern und Wallis) von der Autobahn eine verbesserte touristische Erschliessung der betroffenen Gebiete (Simmental, Saanenland und mittleres Wallis) erhoffen, befürchten die Gegner einen Transitverkehr, der neben der Zerstörung ebendieser Erholungslandschaften eine ruinöse Konkurrenz für die BLS bringen würde. Dass die Stimmung für den Bau des Rawiltunnels nicht allzu günstig ist, zeigte die von ungefähr einem Drittel des Nationalrates unterzeichnete Motion von F. Rubi (sp, BE), welche eine Streichung dieses Vorhabens aus dem Bauprogramm verlangt [40].
Eine grundlegende Veränderung der Kompetenzordnung, wie sie die im Jahre 1974 eingereichte Volksinitiative für Demokratie im Nationalstrassenbau fordert, wurde vom Bundesrat vor allem mit der Begründung abgelehnt, dass das vorgeschlagene Verfahren zu einer unheilvollen Zerstückelung des als Ganzes konzipierten Netzes führen könnte [41]. Eine gewisse Ernüchterung gegenüber den in den Hochkonjunkturjahren geplanten kantonalen Strassenbauprogrammen war in den Kantonen Zürich (Rückweisung des Hochleistungsstrassenprogramms durch den Kantonsrat) und Aargau (Verzicht auf den Bau von projektierten kantonalen Autobahnen) festzustellen [42].
 
[30] TA, 125, 1.6.76 ; Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz, Bulletin, 1976, Nr. 2. Vgl. auch SPJ, 1974, S. 96 f. ; 1975, S. 109 f.
[31] J. Jakob, « Aktuelle Probleme des Nationalstrassenbaus », in Schweiz. Archiv für Verkehrswissenschaft und Verkehrspolitik, 31/1976, S. 97 ff.
[32] Initiative Schär : Verhandl. B.vers., 1976, IV, S. 10 ; TA, 287, 8.12.76. Initiative Schatz : Verhandl. B.vers., 1976, IV, S. 9. SP : TW, 259, 4.11.76 ; vgl. auch SPJ, 1975, S. 109.
[33] Strassenbenützer : Auto (Organ des ACS), 1976, Nr. 9 ; Bund, 112, 14.5.76. Eidg. Amt : J. Jakob in Schweiz. Archiv für Verkehrswissenschaft und Verkehrspolitik, 31/1976, S. 97 ff. Schweiz. Archiv für Verkehrswissenschaft und Verkehrspolitik, 31/1976, S. 97 ff.
[34] NZZ (sda), 7, 10.1.76.
[35] Gesch.ber., 1976, S. 49 ff.
[36] Gotthard : Presse vom 25., 26 und 27.3.76. Seelisberg : Presse vom 24.7.76.
[37] Faido : NZ, 275, 4.9.76. Lausanne : JdG, 23, 30.1.76.
[38] NZ, 117, 13.4.76 ; 124, 21.4.76 ; 146, 11.5.76 ; Focus, 1976, Nr. 74, S. 40 f. ; Nr. 75, S. 36 ff.
[39] TA, 121, 26.5.76 ; GdL, 173, 28.7.76 ; vgl. auch SPJ, 1974, S. 96 f.
[40] Testfall : NZZ, 107, 8.5.76. Befürworter : TW, 255, 30.10.76 ; Bund, 285, 4.12.76. Gegner : Bund, 279, 27.11.76. Motion Rubi : Verhandl. B.vers., 1976, IV, S. 36 ; Ldb, 138, 18.6.76. Vgl. dazu auch SPJ, 1966, S. 79.
[41] SPJ, 1974, S. 97 ; BBl, 1976, II, S. 1133 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 479 ff. ; NZ, 228, 24.7.76.
[42] Zürich : TA, 292, 14.12.76. Aargau : NZZ, 56, 8.3.76.