Année politique Suisse 1976 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
 
Strassenverkehr
Bei den Unfällen im Strassenverkehr hielt — bei einem konstanten Verkehrsvolumen — die erfreuliche Tendenz des Vorjahres an [43]. Inwieweit die rückläufige Unfallziffer auf die zu Jahresbeginn eingeführte und relativ gut befolgte Gurtentragpflicht zurückzuführen war, muss ungewiss bleiben ; eine Rückgängigmachung dieser Vorschrift, wie sie von westschweizerischen Kreisen gefordert wurde, lehnte der Bundesrat aber kategorisch ab [44]. Bei der Regelung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten verfügte der Bundesrat die definitive Festlegung der Limiten auf 130 km/h für Autobahnen und 100 km/h für die übrigen Ausserortsstrassen. Die Innerortshöchstgeschwindigkeit wurde — entgegen der Empfehlung einer Reduktion auf 50 km/h durch die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) — auf 60 km/h belassen, da sich die zuständigen Stellen von gezielten Massnahmen für die Verkehrssicherheit mehr versprachen [45]. Erste derartige Massnahmen stellten die im Rahmen der revidierten Verkehrszulassungsordnung neu eingeführte theoretische Führerprüfung für die Benützer von Motorfahrrädern sowie die Erhöhung des Mindestalters für das Führen von schweren Motorrädern (über 125 ccm) von 18 auf 20 Jahre dar [46]. Ebenfalls zum Zwecke der Unfallverhütung wurde — im Sinne des Verursacherprinzips — ein Gesetz über einen Beitrag von maximal 1 % der Haftpflichtprämie zugunsten eines Fonds verabschiedet. Dieser soll bestehenden einschlägigen Organisationen (BfU und ähnliche) zugute kommen. Bei diesem Geschäft ging es allerdings nicht um eine effektive Neuerung, sondern um die Legalisierung einer eingespielten Praxis [47].
In einer Volksabstimmung wurde über die Errichtung einer staatlichen Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherungsanstalt entschieden. Die vom Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) im Jahre 1972 eingereichte Initiative erhielt im Abstimmungskampf einzig von den Linksparteien und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund Unterstützung. Die Verbände der Strassenbenützer (insbesondere der Touring Club der Schweiz), welche zu Beginn der siebziger Jahre dem Vorhaben nicht unfreundlich gegenübergestanden waren, erklärten sich vollauf befriedigt von den vom Bundesrat in der Zwischenzeit vorgenommenen bezw. in Aussicht gestellten Massnahmen zur Verbesserung des Kontrollsystems, welches die Versicherungspflichtigen vor ungerechtfertigten Prämienerhöhungen schützen soll [48]. Während die Initianten auf die grossen Gewinne hinwiesen, welche in der Versicherungsbranche dank dem hohen Monopolisierungsgrad und ihrer kartellmässigen Organisation erzielt werden, befürchteten die Gegner von der Vorlage einen Schritt auf dem Wege zur Errichtung eines sozialistischen Wirtschaftssystems [49]. Wenn die Initiative in der Volksabstimmung schliesslich mit 301 587 Ja gegen 939 713 Nein deutlich abgelehnt wurde, hielt man ihr doch in weiten Kreisen zugute, dass sie mitgeholfen hatte, die Missstände, welche in dieser Branche zeitweise aufgetreten waren, zum Verschwinden zu bringen [50].
Im Einklang mit den Initianten des Volksbegehrens für zwölf autofreie Sonntage deponierte J.-F. Aubert (lib., NE) im Nationalrat eine Motion, welche — aus formalen Gründen — diese Vorschrift über eine Veränderung des Strassenverkehrsgesetzes einführen will. Der Automobil Club der Schweiz (ACS) drohte, jegliches derartige Gesetz mit einem Referendum zu bekämpfen [51]. Weitere Vorstösse zur Verminderung der Umweltbelastung durch den Strassenverkehr werden an anderer Stelle behandelt [52].
 
[43] Unfälle : — 4,7 % (Verletzte : — 4,4 % ; Todesopfer : — 5,6 %, wobei im Innerortsverkehr ca. — 10 %). Verkehrsvolumen : Einer um 4,0 % erhöhten Ziffer von in Verkehr gesetzten Personenwagen stand ein Rückgang der ausländischen Einreisen um ungefähr 4 % gegenüber (Basler Zeitung, ddp, 9, 8.2.77).
[44] SPJ, 1975, S. 110 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 800 ff. Tragdisziplin : SZ, 144, 24.6.76. Opposition : TLM, 139, 18.5.76.
[45] Presse vom 30.11.76 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1733 f. ; vgl. auch SPJ, 1975, S. 110.
[46] AS, 1976, Nr. 48, S. 2423 ff. ; NZZ (sda), 253, 28.10.76.
[47] SPJ, 1975, S. 110 f. ; BBI, 1976, I, S. 1109 f. ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 466 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 265 ff. ; AS, 1976, Nr. 50, S. 2731 ff.
[48] SPJ, 1972, S. 97 ; SPJ, 1974, S. 87 f. ; BBI, 1976, II, S. 873 ff. (Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes) ; Touring, 38, 23.9.76 ; wf, Dok., 28/29, 12.7.76. Vgl. auch oben, Teil I, 4b (Versicherungen).
[49] gk, 26, 12.8.76 ; 27, 26.8.76 ; 28, 2.9.76 ; Vat., 200, 22.8.76.
[50] BBI, 1976, III, S. 1153 ff. (Abstimmungsresultat) ; Tat, 214, 10.9.76 ; JdG, 218, 18.9.76. Vgl. auch SPJ, 1972, S. 97. Sämtliche Stände lehnten die Initiative ab.
[51] SPJ, 1975, S. 111 ; Motion Aubert : Verhandl. B.vers., 1976, IV, S. 22 ; 24 heures, 239, 12.10.76. ACS : Ldb, 259, 6.11.76 ; für weitere Kritik an der Vorlage vgl. auch VO, 238, 15.10.76 ; TLM, 289, 15.10.76.
[52] Vgl. unten, Teil I, 6d (Luftverunreinigung und Lärm).