Année politique Suisse 1976 : Infrastructure, aménagement, environnement / Sol et logement
 
Mietwesen
Der hohe Leerwohnungsbestand, der sich während des ganzen Jahres auf rund 2 % hielt, hatte im Mietwesen wohl eine Preisstabilisierung zur Folge, nicht aber die vielfach erwartete Verbilligung. Gelegentliche Abschläge wurden durch eine Verteuerung der neuerstellten und der renovierten Objekte mehr als ausgeglichen. Ein Grossteil der leerstehenden Wohnungen befindet sich eben im Besitz finanzkräftiger Unternehmungen (Anlagefonds, Banken, Versicherungen, Pensionskassen), die lieber vorübergehend gewisse Verluste in Kauf nehmen, als dass sie eine allgemeine Senkung des Preisniveaus zulassen [32]. Die Herabsetzung der Hypothekarzinsen seit Jahresbeginn schlug kaum auf die Mieten durch, obwohl der Schweizerische Hauseigentümerverband empfahl, Zinsverbilligungen mindestens bei Althypotheken an die Mieter weiterzugeben, sofern früher entsprechende Erhöhungen der Mietzinse vorgenommen worden seien [33].
Weil der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen von 1972 die Anfechtung von Mietzinsen nur bei Vertragsabschluss und bei Heraufsetzungen zulässt, konnten die zuständigen Bundesstellen vorerst nicht mehr tun als der Interessenverband [34]. Sozialdemokratische Vorstösse im Nationalrat verlangten dagegen eine Ergänzung des Erlasses, damit — analog zum neuen Preisüberwachungsbeschluss — auch Senkungen der Vermieterkosten, mit denen man 1972 noch nicht gerechnet hatte, an den Mieter weitergegeben werden müssten. Ausserdem lag seit 1973 die Volksinitiative für einen wirksamen Mieterschutz vor ; diese will einerseits alle Mietzinse unter Bewilligungspflicht stellen und als Grundlage für ihre Beurteilung nur ausgewiesene Kosten anerkennen, anderseits den Kündigungsschutz für Mieter und Pächter ausdehnen, indem sie nicht bloss den Aufschub, sondern auch die Aufhebung einer als ungerechtfertigt bewerteten Kündigung ermöglichen würde [35].
Da der erwähnte Beschluss im Juli 1977 ausläuft, sah sich der Bundesrat aufgrund von Art. 34 septies BV genötigt, Ersatz zu schaffen. Gleichzeitig hatte er nun aber auch zur Mieterschutzinitiative Stellung zu nehmen. Die Wiedereinführung der Mietpreiskontrolle lehnte er unter Hinweis auf frühere Erklärungen ab, und den Kündigungsschutz gedachte er im Rahmen der geplanten Revision der mietrechtlichen Bestimmungen des Obligationenrechts zu erweitern. Deshalb empfahl er im Juni den Räten eine Verwerfung des Volksbegehrens, jedoch nicht ohne ihnen einen Gegenvorschlag zu unterbreiten. Formell sollte dieser darin bestehen, dass die Kompetenz des Bundes zur Missbrauchsgesetzgebung definitiv auf das ganze Land ausgedehnt würde. Nach Art. 34 septies BV beschränkte sich diese Befugnis auf Mangelgebiete, und nur der befristete Preisüberwachungsbeschluss erlaubt seit Ende 1972 die gleichmässige Erfassung sämtlicher Gemeinden [36]. Materiell trug aber der Bundesrat den aus Mieterkreisen und Linksparteien gestellten Begehren dadurch Rechnung, dass er für den neuen Missbrauchsbeschluss im Oktober einige Verschärfungen beantragte. Der Mieter sollte vor allem die Weitergabe von Kostensenkungen beanspruchen können und im Falle einer Anfechtung des Mietzinses vor einer nachträglichen Kündigung besser geschützt sein [37].
Der Nationalrat stimmte im Dezember den Vorschlägen der Exekutive ohne wesentliche Änderungen zu. Die Linke vermochte weder die Initiative durchzusetzen noch eine Verstärkung des Kündigungsschutzes in den Gegenvorschlag oder in den Missbrauchsbeschluss einzufügen ; ebensowenig gelang es ihr, die Bewertung angefochtener Mietzinse allein auf die Höhe der Kosten zu gründen und eine Berücksichtigung der « orts- oder quartierüblichen » Preislage auszuschalten. Die dem Hauseigentum nahestehenden Kreise begnügten sich im wesentlichen damit, die Vorschläge des Bundesrates für die Missbrauchsbekämpfung zu verteidigen ; sie brachten dabei auch einige mieterfreundliche Korrekturen, die von einer Mehrheit der vorberatenden Kommission unterstützt wurden, zu Fall. Als jedoch der Gewerbepolitiker Fischer (fdp, BE) beantragte, den Beschluss zum definitiven Gesetz zu erheben, um damit die gegen die Mieterinteressen behaupteten Stellungen zu konsolidieren, drang er nicht durch [38].
Die in Art. 34 septies BV gebotene Möglichkeit, das Mietverhältnis auf allgemeinverbindlich erklärte Kollektivverträge abzustützen, befindet sich im EJPD noch in Prüfung. Am Schweizerischen Juristentag wies der Vizedirektor der Justizabteilung, Prof. H. Hausheer, auf die Grenzen dieses Rechtsinstruments hin : es vermöge den angestrebten Interessenausgleich nur herbeizuführen, wenn die Partner über eine genügende Organisationsmacht verfügten [39].
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[32] Zum Leerwohnungsbestand vgl. oben, Anm. 26. In den 40 Gemeinden, in denen das BIGA Mietpreiserhebungen durchführt, stieg der Durchschnittswert von November 1975 bis Mai 1976 um 1,2 %, von Mai bis November 1976 noch um 0,7 % (Die Volkswirtschaft, 49/1976, S. 668). Vgl. dazu Bund, 7, 11.1.76 ; Tat, 69, 22.3.76 ; 309, 31.12.76 ; ferner R. Loertscher, Eine empirische Untersuchung über die Entwicklung der Mietpreise in der Agglomeration Zürich, Diss. Zürich (1975), sowie SPJ, 1975, S. 118.
[33] Der schweizerische Hauseigentümer, 4, 15.2.76.
[34] NZZ (sda), 72, 26.3.76 (Erklärung des Bundesamtes für Wohnungswesen und des Beauftragten für die Preisüberwachung). Vgl. SPJ, 1972, S. 106 f., sowie R. Müller. Der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972. Diss. Zürich 1976.
[35] Vorstösse : Motionen der SP-Fraktion und NR Grobets (sp, GE) : Amtl. Bull. NR, 1976, S. 512 f. u. 845 f. Preisüberwachungsbeschluss: SPJ, 1975, S. 68. Initiative: SPJ, 1972, S. 107 ; 1973, S. 103 ; 1975, S. 118. Vgl. auch aus klassenkämpferischer Sicht : Arbeitskollektiv der Roten Hilfe Zürich, S'Mieterbüechli, Zürich o.].
[36] BBI, 1976, II, S. 1345 ff. Zur Revision des Mietrechts im OR vgl. unten, Anm. 39, zum Preisüberwachungsbeschluss SPJ, 1972, S. 63 f.
[37] BBI, 1976, III, S. 849 ff. Nach bisheriger Regelung fehlt ein Kündigungsschutz, wenn zwischen Vermieter und Mieter ein Vergleich zustandekommt, was bei 80 % der Anfechtungen der Fall ist.
[38] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1617 ff. und 1626 ff. (Missbrauchsbeschluss) sowie 1651 ff. (Initiative und Gegenvorschlag).
[39] H. Hausheer, « Die Allgemeinverbindlicherklärung von Kollektivverträgen als gesetzgeberisches Gestaltungsmittel », in Schweiz. Juristenverein, Referate und Mitteilungen, 110/1976, S. 225 ff. Vgl. auch J.-F. Perrin, « Les conventions déclarées de force obligatoire générale en tant que source de droit », ebd., S. 487 ff., sowie SPJ, 1973, S. 104 ; 1974, S. 108.