Année politique Suisse 1977 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Parteiensystem
Die Beziehungen zwischen den vier Regierungsparteien wurden 1977 namentlich von der Finanzpolitik geprägt. In der ersten Jahreshälfte setzten sie sich gemeinsam für das im Vorjahr vereinbarte "Finanzpaket ein, das zur Sicherung der erforderlichen Einnahmen eine Mehrwertsteuer vorsah und im sog. Sparpaket seine ausgabendrosselnde Ergänzung erhielt [1]. Mit dem Scheitern der Steuervorlage am 12. Juni stürzte aber die eine der beiden tragenden Säulen des Kompromissgebäudes ein. Über der Frage nach den zu ziehenden Konsequenzen entzweite sich die Regierungskoalition. Während die bürgerlichen Parteien das Hauptgewicht auf das Sparen legten, riefen die Sozialdemokraten nach neuen Einnahmenquellen. Sie lehnten nicht nur einen weiteren Subventionsabbau durch die «Finanzmassnahmen 77» (Sparpaket II) ab, sondern machten im letzten Abstimmungskampf des Jahres auch gegen das von der äussersten Linken angefochtene erste Sparpaket Front, dies um so mehr als am 4. Dezember zugleich ihre Reichtumsteuerinitiative vor das Volk kam [2]. Parallel dazu erhoben sie Einwände gegen Militärkredite, um der Forderung nach «Opfersymmetrie» Nachdruck zu verleihen [3]. In den Volksabstimmungen der zweiten Jahreshälfte standen die sozialdemokratischen Parolen zu den meisten Vorlagen denjenigen der bürgerlichen Regierungsparteien entgegen [4]. Grundsätzlich hielt aber die SP an der Viererkoalition fest, mochte sie auch wieder stärker das Bedürfnis nach einer Profilierung gegenüber ihren Partnern empfinden. Das veränderte Verhalten wurde mit dem Herannahen der Nationalratswahlen von 1979 in Verbindung gebracht; von diesen scheint man da und dort Verschiebungen zu erwarten, die sich auf die Regierungszusammensetzung auswirken könnten [5].
Unter dem Eindruck der Niederlage der Regierungskoalition vom 12. Juni verwies man erneut auf das geringe Durchsetzungsvermögen der Parteien [6]. Hatten doch wiederum mehrere, namentlich freisinnige Kantonalformationen dem Konsens der Zentralorgane opponiert und freisinnige Parlamentarier an vorderster Front gegen das Verständigungswerk gekämpft [7]. Das Ausscheren von Fraktionsflügeln bei der Kompromissbildung im Parlament wurde als Belastung der Koalition gewertet [8]. Zur Stärkung der Parteien forderte man von verschiedener Seite deren Subventionierung durch den Bund [9].
 
[1] Vgl. oben, Teil I, 5 (Finanzpaket, Finanzplanung), ferner SPJ, 1976, S. 174.
[2] Vgl. oben, Teil I, 5 (Finanzpaket, Finanzplanung, Reichtumsteuerinitiative).
[3] Vgl. oben, Teil I, 3 (Rüstung, Inhastrukturanlagen), zur «Opfersymmetrie» insbes. Anm. 6.
[4] Vgl. oben, Teil I, 1c (Volksrechte), 5 (Finanzplanung, Reichtumsteuerinitiative), 6c (Mietwesen) und d (Luftverunreinigung und Lärm). Bei der Initiative für die Fristenlösung (Teil I, 7d, Avortement) und bei der Zivildienstvorlage (Teil I, 3, Zivildienst) verliefen die Fronten anders.
[5] LNN, 294, 16.12.77. Vgl. auch Vat., 271, 19.11.77; TA, 304, 29.12.77.
[6] 24 Heures, 136, 14.6.77; JdG, 152, 4.7.77; 164, 18.7.77; BaZ, 154, 8.7.77; Vat., 271, 19.11.77. Vgl. auch Bund, 87, 15.4.77.
[7] Vgl. oben, Teil I, 5 (Finanzpaket, Finanzplanung), insbes. auch Anm. 13, ferner TW, 85, 13.4.77.
[8] LNN, 294, 16.12.77. Zur Fraktionsdisziplin der Bundesparlamentarier vgl. H. P. Hertig, «Party cohesion in the Swiss Parliament», in Legislative studies quarterly, 3/1978, S. 63 ff.
[9] So Parteipräsident Hubacher (TA, 226, 28.9.77) und das Aktionsprogramm der SVP (vgl. unten, Schweizerische Volkspartei). Vgl. SPJ, 1973, S. 160.