Année politique Suisse 1977 : Chronique générale / Politique étrangère suisse
 
Aussenhandel
Die Bedeutung der Aussenwirtschaft für die ökonomische Entwicklung der Schweiz ist in den letzten Jahren ständig gewachsen. Rohstoffarmut, Enge des Binnenmarktes und Begrenztheit der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche wiesen den Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland zwar schon immer eine Schlüsselrolle zu, die sich nun aber im Zeichen der Rezession und ihrer allmählichen Überwindung noch einmal wesentlich verstärkt hat. Da angesichts der demographischen Situation und der angespannten Finanzlage des Bundes von der Binnennachfrage vorläufig keine entscheidenden Impulse auf das Konjunkturgeschehen zu erwarten sind, erscheint einerseits der Export von Gütern und Dienstleistungen erst recht als tragende Säule unserer Volkswirtschaft, während andererseits der Export von Kapital oft die lukrativste Möglichkeit der Gewinnrealisierung darstellt [64].
Dass die Verschiebung zugunsten des Exportsektors und die gleichzeitige Verlagerung der Produktion ins kostengünstigere Ausland Erscheinungen sind, die in ihrer Widersprüchlichkeit den tendenziellen Interessengegensatz zwischen Werkplatz Schweiz und Finanzplatz Schweiz noch akzentuieren, haben wir bereits vor einem Jahr betont [65]. Doch sowohl die erhöhte Exportquote als auch die stärkere internationale Kapitalverflechtung signalisieren beide dasselbe ernstzunehmende Dilemma, dass die ökonomische Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland gerade in einem Zeitpunkt globaler Krisenerscheinungen und Unsicherheiten beschleunigt zunimmt. Es erstaunt deshalb wenig, wenn die zuständigen Behörden den internationalen Problemen vermehrte Aufmerksamkeit schenken und bestrebt sind, bei der Sicherung des Weltwirtschaftssystems im Sinne liberaler Ordnungspolitik tatkräftig mitzuwirken [66].
Der schweizerische Aussenhandel hatte sich bereits 1976 weitgehend erholt; 1977 wies er nun wertmässig sogar noch höhere Wachstumsraten auf als im Vorjahr. Dieser bemerkenswerte Erfolg kontrastiert mit der Entwicklung des Welthandels, dessen Expansion sich gegenüber 1976 halbiert hat. Die schweizerischen Exporte nahmen nominal um 14% auf 42 159 Mio Fr. zu, während der Wert der eingeführten Waren gar um 17% auf 43 026 Mio Fr. anstieg und damit das Rekordniveau von 1974 übertraf. Volumenmässig verzeichneten die Ausfuhren wie 1976 einen Anstieg von 12%, wogegen die Zunahme der Importe mit real 10% leicht hinter der Steigerung des Vorjahres zurückblieb. Insgesamt schloss die Handelsbilanz mit einem Einfuhrüberschuss von 867 Mio Fr. ab, im Gegensatz zu 1976 also mit einem Passivsaldo, der aber, verglichen mit früheren Jahren, immer noch als aussergewöhnlich tief bezeichnet werden kann [67].
Die unterschiedlichen Prozentwerte zwischen dem nominalen und dem realen Wachstum bringen zum Ausdruck, dass sich' die Importpreise, insbesondere jene der Nahrungsmittel, infolge der ausländischen Inflation stärker erhöht haben als die Mittelwerte der schweizerischen Exporte. Deren Expansionsschwerpunkt lag zudem bei den relativ billigen Konsumgütern, vor allem den Nahrungs- und Genussmitteln, und bei den weniger arbeitsintensiven industriellen Zwischenprodukten. Die traditionell exportorientierte Maschinenindustrie hatte aufgrund der weltweit flauen Investitionskonjunktur vorerst Mühe, an die Ausfuhrerfolge der eben erwähnten Branchen anzuschliessen. Während die 1976 besonders stark expandierenden Bereiche der Textilien und Bekleidung sowie der chemischen Produkte nur noch eine mässige Steigerung ihrer Auslandverkäufe zu erzielen vermochten, sind die Uhrenexporte, die auch noch im Vorjahr einen schweren Rückschlag hinnehmen mussten, wieder kräftig angestiegen.
Regional betrachtet, waren an den Mehreinfuhren namentlich die Bundesrepublik Detatschland und die übrigen EG-Staaten beteiligt. Im Gegensatz zum Vorjahr hat sich indes das Schwergewicht des Exportwachstums etwas von den Märkten in den westlichen Industriestaaten auf die übrigen Wirtschaftsräume verlagert. In welchem Ausmass die Entwicklung der schweizerischen Warenausfuhr den internationalen Durchschnitt übertroffen hat, geht daraus hervor, dass unsere Exporte 1977 auf praktisch sämtlichen wichtigeren Teilmärkten real etwa doppelt so stark gestiegen sind wie jene der Gesamtheit der Industriestaaten. Per saldo resultierte aus dem Handel mit der EWG ein Defizit von 9226 Mio Fr., während sich der Aktivsaldo aus dem Handel mit Entwicklungsländern um 930 Mio auf 5204 Mio Fr. erhöhte [68].
Die Ertragsbilanz dürfte den Rekordüberschuss des Jahres 1976 von 8,7 Mio Fr. wiederum erreicht haben. Dass sich der Saldo nicht entsprechend der Passivierung der Handelsbilanz verminderte; ist darauf zurückzuführen, dass die Nettoeinnahmen aus Dienstleistungen sowie aus Arbeits- und Kapitaleinkommen abermals angewachsen sind; wie schon im vorangegangenen Jahr haben in erster Linie die Eingänge aus Kapitalerträgen zugenommen [69]. Der.beträchtliche Überschuss aus unseren Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland ist einerseits positiv zu werten, indem er belegt, dass die Schweiz nicht über ihre Verhältnisse lebt und ihren Wohlstand nicht mit Verschuldungen im Ausland bezahlt. Andererseits zeigt er die ständig sich verstärkende Gläubigerposition der Schweiz, welche es den Schuldnern immer mehr erschwert, ihren Verzinsungsund Rückzahlungsverpflichtungen nachzukommen, da uns das Ausland zu wenig Waren und Dienstleistungen verkaufen kann [70]. Seitens der Schuldnernationen wird denn auch oft die Forderung laut, Länder mit Ertragsbilanzüberschüssen hätten durch verstärktes Defizitspending und weiteres Aufwärtsfloaten ihrer Währungen Exportmöglichkeiten für die Weichwährungsländer zu schaffen, um dergestalt ihre internationale konjunkturpolitische Verpflichtung zu erfüllen. Demgegenüber betonte Bundesrat Brugger, die Schweiz leiste ihren Beitrag zur Gesundung der Weltwirtschaft durch ihre niedrige Inflationsrate, den hohen, frei flottierenden Schweizerfranken und die Teilnahme an internationalen Stützungsaktionen für gefährdete Währungen; Länder mit hoher Inflationsrate und defizitärer Aussenbilanz könnten nicht von ihren binnenwirtschaftlichen Anpassungszwängen und den damit verbundenen realwirtschaftlichen Opfern dispensiert werden [71].
In den zehn Jahren von 1967 bis 1976 addierten sich die Ertragsbilanzüberschüsse der Schweiz auf 24 Mia Fr., was einer Summe von 4000 Fr. pro Kopf der Bevölkerung entspricht. Ob aber tatsächlich dem Volk diese Situation zugute kommt, kann mit Fug bezweifelt werden, bedeutet doch der ständige Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken, der nicht zuletzt durch diese Ertragsbilanzüberschüsse zustande kommt, eine langfristige Gefährdung der Arbeitsplätze in der Schweiz [72]. Über diese Gefährdung kann auch das erzielte Exportresultat nicht hinwegtäuschen, denn erst wenn die Auslandnachfrage auf die inländische Investitionstätigkeit übergreift, darf von einer längerfristigen Belebung unserer Gesamtwirtschaft und damit von einer dauerhaften Arbeitsplatzsicherung gesprochen werden. Zwar haben die vorübergehende Stabilität des Schweizerfrankens von Mitte 1976 bis Mitte 1977 sowie die gleichzeitig günstige Kosten- und Preisentwicklung die internationale Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Industrie gefestigt, so dass selbst manche bislang überwiegend inlandorientierte Unternehmen die immer noch schwache Binnennachfrage auf den Auslandmärkten kompensieren konnten [73]. Doch handelte es sich bei diesem Exportboom in weiten Bereichen eher um eine Mengenkonjunktur, wenn man der Klage über die schlechte Ertragslage Glauben schenken darf; jedenfalls liessen die Neuinvestitionen auch in der Exportbranche zu wünschen übrig [74].
Da die Kapitalverwertung im Inland infolge der hohen Lohnstückkosten und der währungsbedingten Nachteile oder Unsicherheiten wenig rentabel erschien, erhöhten sich gleichzeitig mit der Exportquote auch die Auslandsinvestitionen und damit die Multinationalisierung unserer Volkswirtschaft [75]. Ähnlich wie die Konzentrationsbewegung durch Unternehmenszusammenschlüsse stellt auch die Multinationalisierung ein zyklisches Phänomen dar, genauer eine aufsteigende Wellenbewegung, die in unmittelbarer Nähe von bedeutenden Stagnationsperioden der inländischen Wirtschaft ausgeprägte Höhepunkte aufweist. Die Begrenztheit des nationalen Marktes der Schweiz verleitet selbst relativ kleine und mittlere Betriebe zur Auslagerung der Produktion, und auch was die grossen Multis mit Unternehmen in mehr als zehn Ländern betrifft, steht die Schweiz mit 5,1 Einheiten pro Million Einwohner eindeutig an der Spitze aller Länder, verglichen etwa mit 1,4 Einheiten als Masszahl für die USA [76].
Der mit der Multinationalisierung in Verbindung stehende Kapitalexport vermag zwar vorübergehend den Druck auf den Schweizerfranken etwas zu mildern, doch längerfristig sind damit die Probleme der Zahlungsbilanz nicht gelöst, denn der über den Zinsendienst erhöhte Ertragsbilanzüberschuss und die jederzeit mögliche Repatriierung der schweizerischen Vermögen verschieben die Schwierigkeiten nur auf die Zukunft [77]. Bezüglich der durch Multis penetrierten Entwicklungsländer ist in diesem Zusammenhang nachgewiesen worden, dass auf lange Sicht kumulativ mehr Finanzressourcen aus der Dritten Welt herausfliessen, als jemals hineingeflossen sind [78]. Es ist deshalb verständlich, dass entwicklungspolitisch engagierte Kreise die oft aggressive Strategie schweizerischer Grossunternehmen in der Dritten Welt heftig kritisieren und dass verschiedene internationale Organisationen bestrebt sind, Verhaltenskodices für multinationale Firmen aufzustellen [79].
 
[64] Vgl. Lage und Probleme der schweizerischen Wirtschaft. Gutachten, Bern 1977, insbes. S. 306 ff.; P.R. Jolles, «Die Lage der schweizerischen Aussenwirtschaft», in Documenta, 1977, Nr. 5, S. 28 ff.; NZZ, 211, 9.9.77; 226, 27.9.77; Vat., 226, 28.9.77; 24 Heures, 239, 14.10.77. Zum Kapitalexport vgl. auch unten, Teil I, 4 b.
[65] Vgl. SPJ, 1976, S. 63 ff. und 69 f.
[66] Vgl. BR Brugger in Amtl. Bull. NR, 1977, S. 126 ff. und in Amtl. Bull. StR, 1977, S. 555 ff.; P. R. Jolles, Die Schweiz in den Bestrebungen nach Neuorientierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, Zürich 1977 (Schriftenreihe des Vororts, IH; dem., «Weltwirtschaftsfragen», in Documenta; 1977, Nr. 6, S. 25 ff ; BBl, 1977, II, S. 1310 ff. (Neunter Aussenwirtschaftsbericht); 1978, 1, S. 410 ff. (Zehnter Aussenwirtschaftsbericht). Zum weltwirtschaftlichen Rahmen vgl. D. Frei, Wirtschaftliches Wachstum und die Zukunft des internationalen Systems, Zürich 1977 (Kleine Studien zur Politischen Wissenschaft, 117); NR Jaeger (Idu, SG), Welthandel und Wachstum, Diessenhofen 1977; W. W. Leontief u.a., Die Zukunft der Weltwirtschaft. Bericht der Vereinten Nationen, Stuttgart 1977; 0. Long, «Wohin steuert die Weltwirtschaft», in Wirtschaftspolitische Mitteilungen, 34/1978, Nr. 1; C. Lutz, «Weltwirtschaft im Wandel», in Schweiz. Bankverein, Der Monat, 1977, Nr. 5, S. 16 ff.; F. P. Walthard, «Die Schweiz in einer sich rasch ändernden Welt», in Wirtschaftspolitische Mitteilungen, 33/1977, Nr. 12. Vgl. auch LNN, 32, 8.2.77; wf, Artikeldienst, 8, 21.2.77; wf, Dok., 11, 14.3.77 SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 12.
[67] Vgl. Mitteilung der Kommission für Konjunkturfragen (in der Folge zitiert: Mitteilung/Konjunkturfragen), Nr. 250, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 51/1978, Heft 2; SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 25 f.; Schweizerisches Wirtschaftsjahr /977, Zürich 1977 (SBG-Schriften, 53). Vgl. auch SPJ, 1976, S. 71 f.
[68] Vgl. Mitteilung/Konjunkturfragen, Nr. 250; wf, Dok., 10, 6.3.78. Zum wichtigsten Handelspartner BRD vgl. H. J. Meyer-Marsilius in NZZ, 83, 9.4.77.
[69] Vgl. Mitteilung/Konjunkturfragen, Nr. 247 (Beilage zu Die Volkswirtschafi, 50/1977, Heft 7) und Nr. 250; SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 24; LNN, 278, 28.11.77.
[70] Vgl. Bund, 175, 29.7.77; TW, 178, 2.8.77.
[71] BR Brugger in Documenta, 1977, Nr. 5, S. 6 ff. Vgl. auch SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 18 ff.; SBG, Wirtschafts-Notizen, November 1977, S. 7 f.; JdG. 82,.7.4.77. Vgl. ferner unten, Teil I, 4 b (Währungspolitik). '
[72] Vgl. Ww, 1, 5.1.77; LNN, 16, 20:1.77; TW, 178, 2.8.77.
[73] Vgl. BR Brugger in Documenta, 1977, Nr. 2, S. 7 ff.; Gesch.ber., 1977, S. 206; Mitteilung/Konjunkturfragen, Nr. 250.
[74] Vgl. Schweiz. Handels- und Industrie-Verein, Jahresbericht 107/1976-77, S. 23 ff.; wf, Artikeldienst, 16, 18.4.77; wf, Dok., 48, 28.11.77.
[75] Vgl. V. Bornschier, Wachstum, Konzentration und Multinationalisierung von Industrieunternehmen, Frauenfeld 1976 (Soziologie in der Schweiz, 4).
[76] Vgl. Bornschier, op. cit., S. 492 ff. Vgl. auch J. Niehans, «Die Bedeutung multinationaler Unternehmungen für ein kleines Mutterland: Das Beispiel der Schweiz», in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 113/1977, S. 371 ff.; Schweiz. Handels- und Industrie-Verein, Jahresbericht, 107/1976-77, S. 36 fl.; Zeitdienst. 15-17, 15.4.-1.5.77; wf, Dok., 42, 17.10.77.
[77] Vgl. TA, 168, 21.7.77. Vgl. auch SPJ, 1976, S. 71.
[78] Vgl. Bornschier, op. cit., S. 392. Vgl. auch unten, Wirtschaftsbeziehungen zu Entwicklungsländern.
[79] Kritik: Arbeitsgruppe Dritte Welt, Motor Columbus entdeckt Amerika, Bem 1977; Zeitdienst. 1-2, 7.-14.1.77; Focus. Nr. 92, Januar 1978, S. 32 ff; H. Enderlin, Motor Columbus antwortet, Baden 1978. Verhaltenskodices: Revue économique et sociale, 35/1977, Nr. 3 (= Codes de bonne conduite pour sociétés multinationales), S. 107 ff.; BBl, 1977, II, S. 1338; 1978, I, S. 430; NZZ, 277, 25.11.77. Vgl. auch C. Wilms-Wright, «Gewerkschaftliche Gegenstrategie zu den Multis», in Gewerkschaftliche Rundschau, 69/1977, S. 87 ff.